Mehr als schöne Reden
USA und Lateinamerika: Eine Annäherung ist nicht ausgeschlossen
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Barack Obama und Hugo Chávez im April auf dem 5. Amerika-Gipfel treffen würden. Vor der Eröffnungsgala des Gipfels in Trinidad und Tobago war es dann so weit. Obama ergriff die Initiative. Lächelnd schritt der US-Präsident auf seinen venezolanischen Amtskollegen zu und streckte ihm seine Hand aus. Diese "feinsinnige Geste" habe ihn beeindruckt, gestand der Anführer der Bolivarischen Revolution später gegenüber einigen JournalistInnen. Chávez bekräftigte dem US-Amtskollegen seinen Wunsch nach einer Verbesserung der Beziehungen. "Vor acht Jahren habe ich auch Bush die Hand gegeben", wird er zitiert: "Wir wollen Eure Freunde sein."
Tatsächlich scheint ein freundschaftliches, also respektvolles Verhältnis zwischen den Staaten Lateinamerikas und den USA unter Obama möglich. Von alleine aber wird dieser Neuanfang nicht kommen. Bei seiner rund 15-minütigen Rede erklärte sich Obama zu einer neuen Zusammenarbeit mit den Staaten der "Westlichen Hemisphäre", wie der Kontinent in der US-Diplomatensprache bezeichnet wird, bereit. Die 33 Staats- und Regierungschefs hörten aufmerksam zu und bedachten die Ansprache mit höflichem Applaus. Dann begann die wirkliche Gipfelpolitik.
Obama nutze seine erste Zusammenkunft mit den VertreterInnen der lateinamerikanischen und karibischen Staaten, um die fortschreitende Isolation, in die Washington in den beiden Amtszeiten von George W. Bush geraten ist, zu durchbrechen. Am zweiten Tag des Gipfels kam der neue Amtsinhaber zu einem kurzfristig angesetzten Gespräch mit den VertreterInnen der Union Südamerikanische Staaten (UNASUR) zusammen. Es war - von der Presse wenig beachtet - die wohl wichtigste Zusammenkunft auf diesem 5. Amerika-Gipfel.
Denn weniger als ein Jahr nach ihrer Gründung hatte die UNASUR erst am 10. März dieses Jahres einen regionalen Verteidigungsrat ins Leben gerufen. Die Teilnahme der USA als Beobachter an diesem neuen Militärbündnis schloss Brasiliens Verteidigungsminister Nelson Jobim bei der konstituierenden Sitzung des Gremiums indirekt aus. Es sei von "fundamentaler Bedeutung", dass Washington zunächst gute Beziehungen zu Südamerika aufbaue, sagte der Chefdiplomat. Die Änderung der Kuba-Politik sei eine Voraussetzung dafür. Die gescheiterte Kuba-Politik drohte sich damit zu einem sicherheitspolitischen Problem für Washington auszuwachsen. Wie brisant diese Frage für diese US-Regierung ist, zeigte sich in Port of Spain auch darin, dass nach dem rund zweistündigen Gespräch Obamas mit den UNASUR-VertreterInnen keine aussagekräftigen Stellungnahmen an die Presse veröffentlicht wurden.
Stattdessen startete Obama vor laufenden Kameras eine Freundschaftsoffensive, wie sie Lateinamerika seit dem ersten Amerika-Gipfel im Jahr 1994 in Miami im US-Bundesstaat Florida nicht gesehen hat. Die regionalen Gipfeltreffen waren damals, wenige Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, primär ins Leben gerufen worden, um die Pläne einer "Gesamtamerikanischen Freihandelszone" (ALCA) unter der Ägide Washingtons durchzusetzen. Inzwischen ist nicht nur dieses Projekt, das George W. Bush bis zuletzt durchzusetzen versuchte, gescheitert. Auch der Ausschluss des sozialistischen Kubas als einziger Staat der Region von den Gipfeltreffen stößt in Lateinamerika und der Karibik unisono auf Ablehnung.
Obama startet Freundschaftsoffensive
In der Woche vor dem Amerika-Gipfel startete die US-Regierung daher einen letzten Versuch, ihren KritikerInnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Präsident Obama ordnete am Montag zuvor kurzerhand an, eine Reihe repressiver Maßnahmen auszusetzen. ExilkubanerInnen können fortan ohne jede Einschränkung in ihr Herkunftsland reisen und ungehindert Geld nach Kuba überweisen. Zudem haben US-Telekommunikationsunternehmen künftig die Möglichkeit, in Kuba tätig zu werden. "Barack Obama wünscht sich mehr Freiheiten für das kubanische Volk", sagte Präsidentensprecher Robert Gibbs.
Früher im April hatte die US-Kongressabgeordnete Barbara Lee bereits die Aufhebung des Reiseverbots für US-AmerikanerInnen nach Kuba gefordert. Lee war gerade von einer Delegationsreise aus Havanna zurückgekehrt. Politiker wie der US-Senator Richard Lugar hatten zudem für einen grundsätzlichen Kurswechsel plädiert. Dieser sei notwendig, um das angespannte Verhältnis zu Lateinamerika zu verbessern. Der Boston Globe argumentierte indes mit wirtschaftlichen Interessen des Landes gegen die Politik Washingtons: "Wir befinden uns inmitten einer Wirtschaftskrise", hieß es in dem Blatt, "aber wir schließen uns selbst von einem Markt 90 Meilen vor unserer Küste aus."
Die Aussetzung einiger Blockademaßnahmen verfehlte angesichts dieser grundlegenden Kritik ihr Ziel. Für die innenpolitischen KritikerInnen gehen die Korrekturen nicht weit genug. Und auch die lateinamerikanischen Staaten fordern nicht weniger als die Aufhebung der Blockade, die sich - anders als ein einfaches Embargo - auch gegen Drittstaaten richtet.
Doch auf die Blockade selbst ging auch Obama in Trinidad und Tobago nicht ein. Er sei bereit, mit der Führung in Havanna über eine ganze Reihe von Themen zu reden, kündigte er an: "Aber ich will ganz klar sein: Ich bin nicht interessiert an Gesprächen nur um der Gespräche willen." Der 46-jährige Staatschef folgte bei seinen Äußerungen zu Kuba übrigens im Detail den Vorgaben des US-Senators Richard Lugar, der dem liberalen Flügel der Republikanischen Partei angehört. Lugar hatte wenige Wochen vor dem Amerika-Gipfel im Rahmen einer Delegationsreise Havanna besucht, um dort von RegierungsvertreterInnen der mittleren Ebene empfangen zu werden. In seinem rund zwölfseitigen Bericht sprach sich der renommierte US-Außenpolitiker später - wenn auch in verhaltenem Ton - für ein Ende der völkerrechtswidrigen US-Blockade aus. Diese sei in ihrem Versuch gescheitert, Kuba "Demokratie zu bringen".
Die Annäherung an Kuba geht - ungeachtet des medial inszenierten Handschlags mit Venezuelas Präsident Chávez - mit dem Versuch Washingtons einher, Venezuela in Lateinamerika zunehmend politisch zu isolieren. Den PragmatikerInnen in den USA ist klar, dass die Kuba-Blockade eine historische Last aus dem vergangenen Jahrhundert ist. Das Schweigen der rechtsradikalen Organisationen des kubanischen Exils zur Annäherung an Havanna weist darauf hin, dass die neue Kuba-Strategie mit ihnen abgesprochen ist. Während fast ein Dutzend US-Regierungen seit der kubanischen Revolution versucht haben, Kuba ökonomisch (mitunter auch militärisch) zu besiegen, setzt Obama auf das Brandtsche Motto eines "Wandels durch Annäherung".
Vorsichtige Kurskorrekturen gegenüber Kuba
Die eigentliche Gefahr wird in der zunehmenden Führungsrolle Venezuelas und seiner auf einen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" ausgerichteten Bolivarischen Revolution gesehen. Erstmals seit einer Dekade drängen die USA wieder in die lateinamerikanische Politik, um einen Gegenpol aufzubauen. Dass dies nicht nur mit netten Worten, Händeschütteln und wohlfeilen Reden erreicht werden kann, zeigte sich Anfang Mai, als Venezuelas Regierung Vorwürfen aus den USA entgegen trat, nach denen das südamerikanische Land in der Region "terroristische Bestrebungen" unterstützt.
Ende April war der jährliche Terrorismusbericht des US-amerikanischen Außenministeriums veröffentlicht worden. Darin wird der venezolanischen Regierung in einem knapp zweiseitigen Passus unter anderem eine "ideologische Nähe" zu den linksgerichteten kolumbianischen Guerillaorganisationen FARC und ELN vorgeworfen. Auch wird beanstandet, dass es regelmäßige Flugverbindungen zwischen Caracas und Damaskus (Syrien) und Teheran (Iran) gibt.
Auf der Kundgebung zum internationalen Tag der Arbeit am 1. Mai bezeichnete Venezuelas Staatschef Hugo Chávez den US-Bericht als eine "weitere Unverschämtheit" der Regierung in Washington. Angesichts der Vorwürfe werde der Unterschied zwischen den Versprechen der neuen Regierung von Barack Obama und der Realität der US-Politik deutlich, so Chávez: "Es geht hier nicht um schöne Reden, sondern um die Realität - und deswegen weisen wir diese Unverschämtheit der Obama-Regierung entschieden zurück."
USA wollen Venezuela isolieren
Der Bericht des Washingtoner Außenministeriums drohte das Verhältnis zwischen Venezuela und den USA nach dem Amerika-Gipfel wieder zu belasten. Zumal in den USA zunehmend Stimmen gegen Venezuela laut werden. Die führende US-Tageszeitung Washington Post kritisierte Präsident Obama in einem Leitkommentar unlängst entschieden. Als Präsident der Vereinigten Staaten hätte er die peruanische Regierung öffentlich unterstützen müssen, nachdem diese dem mutmaßlich korrupten Oppositionsführer Manuela Rosales nach dessen Flucht aus Venezuela "politisches Asyl" gewährt hatte.
Der Strategiewechsel ist deutlich erkennbar: Die USA setzen nicht mehr auf die Forcierung des neoliberalen Freihandels, der selbst bei wohlgesinnten Staaten Lateinamerikas als gescheitert gilt. Stattdessen übt sich die US-Regierung unter Obama in Schadensbegrenzung: Die linke Integration unter Führung Venezuelas und des anti-neoliberalen Staatenbündnisses Bolivarische Alternative für Amerika soll aufgehalten werden. Noch wird dieses Ziel in Verhandlungen verfolgt. Der Blick auf die US-Politik in Lateinamerika in den vergangenen Jahrzehnten zeigt schnell, dass das nicht das einzige Mittel sein wird.
Harald Neuber