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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 539 / 15.5.2009

"Wie scheiße wir waren, war schon wieder geil!"

Dorfpunk

Schmalenstedt, 1984. Roddy, Sid, Flo, Fliegevogel und Günni wollen eine Band gründen. Weil Mädchen auf Musiker stehen, weil Ruhm winkt, und weil es eben "geil" ist, eine Band zu haben. Eine Punkband! Gesagt, getan. Roddy spielt Gitarre, Fliegevogel Bass, Sid singt, und Flo spielt Schlagzeug. Günni wird Roadie. Die Band heißt erst Warhead, dann Blood-Acker, dann Die Regel, dann Fuck Off Tomorrow. Geprobt wird in Roddys Zimmer, nach zwei oder drei Wochen gibt es den ersten Auftritt. Beim Schmalenstedter Talentwettbewerb.

Den vergeigen die vier so fulminant, "dass es schon wieder geil ist" (Roddy). Leider werden sie nicht Letzter, sondern nur Vorletzter, was sie " irgendwie scheiße" finden. Fast gibt es noch Ärger mit dem Publikum (Bundeswehrsoldaten), aber dann verdrückt sich die Band, denn Roddy hat ein Date mit der Dorfschönheit Maria. Die hat ihn in der Töpferei, in der er seine Lehre macht, aufgerissen - und vorher bereits vor einer brutalen Bande national gesinnter Dorfschläger gerettet. Maria feiert ihren Geburtstag zu Hause; die Eltern sind verreist. Den süßen Roddy hat sie eingeladen. Seine Freunde unvorsichtigerweise auch. So nimmt das Unheil seinen Lauf. Am Ende des Abends ist Marias kleiner Bruder betrunken und die Wohnung verwüstet: Unter anderem hat Vadder, Günnis magenkranker Hund, auf den Teppich gekackt. Roddy ist maßlos enttäuscht: Maria hat ihn rausgeschmissen. Schon zum zweiten Mal ist aus dem erhofften erotischen Abenteuer nichts geworden. Schon wieder kam was dazwischen. Punk kam dazwischen.

"Woll'n wir nachher noch saufen? Ich hätt' Bock."

Zuerst das Wichtigste: Der Dorfpunks-Film von Lars Jessen (so heißt der Regisseur) und seinen SchauspielerInnen ist toll! Wie schon das Buch von Rocko Schamoni toll war. Toll ist, wie die Jungs-Clique ihre Umwelt anfangs nur in "geil" oder "scheiße" einteilt - mehr Worte braucht sie nicht. Toll ist, dass jede Niederlage ("scheiße") konsequent in einen Sieg ("geil") umgedeutet wird. Toll ist auch die Musik dazu. Es ist toll, wie Roddy seine ersten sexuellen Negativ- oder besser: Nicht-Erfahrungen sammelt. Noch toller, dass Flo nie ohne Dosenbier und Zigarette zu sehen ist. Toll auch, dass er am Fender-Trecker seines Vaters das "F" und das "er" abmontiert hat, so dass nur noch "end" auf dem Kühler steht. Und dann gibt es noch einiges, was richtig gut ist. Zum Beispiel wie sich ganz nebenbei die Klassenherkunft der einzelnen Punks offenbart oder wie die jungen Hasardeure ihren Freiheitsdrang zelebrieren und dabei "geil"rufend mehr als einmal nur haarscharf an der Katastrophe vorbeisegeln. Wie die Euphorie in Enttäuschung umschlägt, zeigt Lars Jessen auf beeindruckende Weise.

In den wenigen Wochen im Sommer, von denen der Film erzählt, bilden sich im Verbund der Dorfpunks sehr unterschiedliche Interessenschwerpunkte heraus. Roddy will Musik machen und auftreten. Punk ist Freiheit, und Freiheit sollte lustig sein, findet er. Über diese Einsicht zerstreitet er sich mit Sid, dem humorlosen Polit-Freak, der Punk als Verweigerung zelebriert und mit Roddys "Karneval" nichts anfangen kann. Fliegevogel, Roddys engster Vertrauter, wendet sich neuen Drogen zu und vernachlässigt Freundeskreis und Bandproben. Flo kann die Begeisterung für eine Showkarriere auch nicht teilen. Er ist mit Bier und Selbstgedrehten zufrieden und muss außerdem seinem Vater auf dem Hof helfen. Und Günni, der ständig weggetretene Roadie der Truppe, hat am Ende - man höre und staune! - eine Freundin. Damit steht er auch nicht mehr zum täglichen Abhängen auf dem Marktplatz zur Verfügung. So geht ein heißer Sommer zu Ende. Der Kreis der Punks bricht auseinander. Übrig bleibt ein deutlich ernsterer Roddy, der sich für seine weiteren Pläne nach neuen Verbündeten umsehen muss.

Eine universelle Geschichte vom Großwerden

"Ach, genau wie wir damals!" Natürlich nerven die ganzen Filmkritiken, die auf diesen Satz hinauslaufen. Aber was soll man machen: Wer auf dem Dorf groß geworden ist, Punk im weitesten Sinne war (also sich in Opposition zur Dorfjugendmehrheit im Fußballverein oder bei der Feuerwehr befand) und diese Haltung mit ein paar Gleichgesinnten teilte, kann kaum anders. Ja richtig: Die sinnlosen Zerstörungsorgien, die weiten Fußwege, die schlechten Sprüche (die aber doch irgendwie "geil" waren), die eigene schlechte Band (die aber auch irgendwie "ganz geil" war), die Unmöglichkeit, im Dorf avantgardistische Ambitionen auszuleben (und sei es als Anti-Avantgarde), die Schwierigkeiten im Umgang mit Mädchen - ziemlich genau so ist das. Selbst wenn man nicht zur Vorhut der Punk-Bewegung gehört, sondern zur Nachhut. Selbst wenn man nicht 100, sondern nur 15 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt feststeckt. Und selbst, wenn man streng genommen gar kein richtiger Punk ist.

Nun gehört zu jeder Filmkritik auch, dass man was Kritisches sagt. Wenn es unbedingt sein muss, dann vielleicht das: Am Anfang nervt das selige Dauer-Lächeln von Roddy ein wenig. Aber er ist soo süß, und das Lächeln verliert sich im Lauf des Films auch etwas. Also nicht so schlimm. Und dann kann man vielleicht noch fragen, warum es in deutschen Filmen immer so sein muss, dass jeder Charakter genau eine Eigenschaft verkörpert. Das könnte man doch auch mal ändern. Aber das muss man nun wirklich nicht Dorfpunks ankreiden.

Der Film ist toll!

Jan Ole Arps