Aufgeblättert
Fabrikbesetzungen gegen Betriebsschließungen
Bei Massenentlassungen und Betriebsschließungen sind die üblichen gewerkschaftlichen und rechtlichen Waffen in der Regel stumpf. Meist beschränkt sich der "Kampf" auf das Aushandeln von sog. "Sozialplänen", mit denen die Folgen der Massenentlassungen gemildert, diese jedoch nicht verhindert werden. Beispiele, in denen dieses "Ritual" gestört wurde und Betriebe erfolgreich besetzt wurden, sind selten, doch aus verschiedenen Ländern zu hören. Fabrikbesetzungen gab es in den USA, in der Schweiz, in Mailand, in England und bei Bike Systems in Nordhausen. Die Besetzung eines Betriebs und dessen Weiterführung in Selbstverwaltung ist ein Weg, sich gemeinsam zu wehren. Gleichzeitig beweist ein selbstverwalteter Betrieb, dass es weder einen Fabrikbesitzer noch "Aufseher" braucht, um zu produzieren. Auch wenn der Versuch meist nur kurze Zeit dauert, wird mit der Betriebsbesetzung und der Organisierung der Produktion durch die ArbeiterInnen die Produktionsweise der Zukunft praktiziert. Diese Erfahrung kann den Beteiligten niemand mehr nehmen. In der Studie "Betriebsbesetzungen als wirksame Waffe im gewerkschaftlichen Kampf" werden auf 63 Seiten in einem sachlichen und analytischen Stil fünf Beispiele aus dem Jahr 2008 untersucht, bei denen es um den Kampf gegen Massenentlassungen und Werksschließungen ging. Rainer Thomann, Mitglied der UNIA, der größten Gewerkschaft der Schweiz, beschreibt fünf Beispiele aus Italien, der Schweiz und Spanien: Officine in Bellinzona, Borregaard-Attisholz in Solothurn, INNSE in Mailand, IVECO in Suzzara und Holcim in Torredonjimeno. Ein besonderes Augenmerk legt Thomann auf die Aktionsform der Betriebsbesetzung: Anhand der konkreten Erfahrungen wird der Frage nachgegangen, welche Voraussetzungen und Bedingungen für eine erfolgreiche Betriebsbesetzunge notwendig sind.
Oliver Winkel
Rainer Thomann: Betriebsbesetzungen als wirksame Waffe im gewerkschaftlichen Kampf. Eine Studie aktueller Beispiele. 63 Seiten, 2 Euro plus Versandkosten. Zu beziehen über indiana.thomann@bluewin.ch. Heruntergeladen werden kann die Studie bei www.labournet.de
Die parlamentarische Linke in Europa
Linke parlamentarische Politik in der Hauptstadt der EU, in Brüssel? Was wird da nochmal entschieden: wie krumm eine Gurke sein darf? Die EU ist dennoch alles andere als irrelevant, sie war und ist die politische Form, in der neoliberale Politik in Europa durchgesetzt wurde - als politisch organisierter Sachzwang. Um Licht ins Dunkel der Brüsseler Politik zu bringen, hat Martin Schirdewan anlässlich der Europawahl seine Dissertation popularisiert. Was es neben der Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) noch gibt, wissen nicht viele. Wer kennt schon die Kommunistische Partei von Böhmen und Mähren (KSM), die in der Europäischen Linkspartei z.Zt. Beobachterstatus hat? Diverse Diskussions- und Strömungsplattformen und politische Spektren organisieren das politische Geschehen und verlaufen dennoch quer zur wichtigsten linken Partei in Brüssel, die Europäische Linke (EL). Vor allem deren Entstehung zeichnet Schirdewan nach. Neben Strömungen, Organisationsformen und der Zusammenarbeit in Brüssel stellt der Autor jedoch auch die Konflikte der politischen Spektren dar. Er unterscheidet hier vor allem zwischen reformsozialistischen Kräften (Nordisch Grüne Linke und Neue Europäische Linke), traditionellen KommunistInnen und dem - in Deutschland nicht so relevanten - Trotzkismus. Nach wie vor seien aber Kooperation und auch die Diskussionen zwischen linken Kräften in Brüssel rudimentär, auch wenn mit der Gründung der EL eine neue Qualität erreicht sei. Das Buch soll explizit eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Leider wird es gerade dieser nicht unbedingt weiter helfen, weil ganz grundsätzliche Fragen unter der akribischen Arbeit zu den unterschiedlichen politischen Akteuren und Foren begraben werden. Welchen Einfluss hat das Europäische Parlament überhaupt? Macht es Sinn, von links die Perspektive einer Demokratisierung der EU zu diskutieren? Was bedeutet Schirdewans Beobachtung, dass die linken Parteien sich zunehmend den Arbeitsmechanismen des Parlaments anpassen? Zudem setzt der Autor viele Rahmenbedingungen europäischer Politik, das Institutionengefüge und die Bedingungen linker Politik als bekannt voraus. Für eine breitere Öffentlichkeit wären weniger Details und der Mut zur Lücke sicher hilfreicher gewesen.
Ingo Stützle
Martin Schirdewan: Links - kreuz und quer. Die Beziehungen innerhalb der europäischen Linken. Karl Dietz Verlag, Berlin 2009, 160 Seiten, 14.90 EUR
Gewerkschaftsstrategien gegen die eigene Krise
Schon vor der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise schienen Publikationen rund um das Thema Gewerkschaften ihren Ausgangspunkt oft beim Benennen handfester Krisen zu haben. So auch in der Publikation mit dem Titel "Strategic Unionism". Krise und gleichzeitig auch Erneuerung der Gewerkschaften sind die zentralen Ausgangspunkte dieses Buchs. Die AutorInnen stellen sich selbstkritisch Fragen zum eigenen Forschungsprogramm. Warum überhaupt über Gewerkschaften forschen? Was genau erforschen, wie, wer soll forschen und vor allem: womit soll dabei begonnen werden? Sie tun das allerdings erst am Ende des Buches. In ihrer Auseinandersetzung mit den vor allem im angelsächsischen Raum beheimateten Labor Revitalization Studies bemerken die AutorInnen, dass bei diesem Ansatz weniger über den Niedergang von Gewerkschaften lamentiert wird, sondern vor allem Handlungsalternativen in den Fokus rücken. In den Beiträgen zu Entwicklungen in Österreich, USA, Südkorea und Südafrika werden aussagekräftige Schlussfolgerungen präsentiert. Hauptaugenmerk der Publikation ist aber die Diskussion um Organizing-Ansätze, ihre Übersetzbarkeit für bundesrepublikanische (Arbeits-)Verhältnisse. Dabei ist Organizing weit mehr als systematische Mitgliedergewinnung: ausgefeilte Strategie und Recherche, fundierte Ansprachekonzepte, gute personelle Ressourcen und vor allem Basismobilisierung von Beschäftigten jenseits von etablierten Stellvertreter- und Dienstleistungsstrukturen. Auch zeichnen sich Organizing-Kampagnen durch ihre an den Sozialen Bewegungen orientierten und konfliktorisch geführten Aktionen aus. Die AutorInnen von "Strategic Unionism" verstehen ihren Band als ersten Einblick in ein "work-in-progress". Es zeichnet sich ab, dass die Erfahrungen verschiedener Organizing-Kampagnen - vor allem der großen Gewerkschaften Ver.di und IG Metall - die zukünftige Schwerpunktsetzung und alltägliche Arbeit auch anderer Gewerkschaften in Deutschland maßgeblich beeinflussen werden. Nach Meinung des Forscherteams wird Organizing noch zu oft eher adaptiert denn übersetzt. Auf zwei Dinge dürfen wir gespannt sein: gewerkschaftliche Kampagnen und Ansätze, die mit Organizing-Merkmalen versehen sind, und eine kritische Forschung, die sich vermehrt diesen Ansätzen widmet.
Jonas Berhe
Ulrich Brinkmann, Hae-Lin Choi, Richard Detje, Klaus Dörre, Hajo Hols, Serhat Karakayali, Catharina Schmalstieg: Strategic Unionism: Aus der Krise zur Erneuerung? - Umrisse eines Forschungsprogramms. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, 181 Seiten, 19,90 EUR