Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 541 / 21.8.2009

Aufgeblättert

Alltagsgeschichte

Die 1992 gegründete WerkstattGeschichte hat nun ihr 50. Heft veröffentlicht. Ursprünglich als Zeitschrift der mit den Geschichtswerkstätten (vgl. ak 479) verwobenen Alltagsgeschichte konzipiert, hat sie sich zu einem Organ von NachwuchshistorikerInnen und ihren akademischen LehrerInnen gewandelt. Letztere schreiben im Jubiläumsheft, vor allem über die Geschichte der Zeitschrift und der Geschichtswerkstättenbewegung selbst. So referiert Michael Wildt den damals vor allem um den Begriff "Professionalisierung" zentrierten Konflikt zwischen der Zeitschrift Geschichtswerkstatt, die dann noch bis 1999 in schließlich immer größeren Abständen erschien, und der WerkstattGeschichte. Adelheid von Saldern lobt den demokratisierend-zivilisierenden Einfluss, den die Bewegung der "Geschichte von unten" auf das kommunikative Gedächtnis der Städte gehabt habe - nachdem sie zwei Absätze vorher der Geschichtswerkstättenbewegung "Verklärung vorindustrieller Zustände" und "linke Heimattümelei" vorgeworfen hat. Beide Aufsätze liefern viele Fakten und nicht zuletzt eine brauchbare Bibliographie. Die Geschichtswerkstätten sind selbst Geschichte geworden; das vorliegende Heft bietet die Möglichkeit einer kritische Re-Lektüre dieses fast vergessenen Kapitels der bundesrepublikanischen Geschichtsarbeit. In der immer konservativer werdenden Disziplin der Geschichtswissenschaft ist WerkstattGeschichte ein wichtiges Forum, an den ursprünglichen Zielen der "Geschichte von unten" gemessen, aber sehr durchwachsen zu beurteilen.

Bernd Hüttner

WerkstattGeschichte Nr. 50. Klartext Verlag, Essen 2009, 158 Seiten, 14 EUR

www.werkstattgeschichte.de

Krieg

Krieg. So lautet der Titel einer aktuellen Publikation der jour fixe initiative berlin. Die AutorInnen haben glücklicherweise darauf verzichtet, ein für allemal definieren zu wollen, was Krieg ist. Dies ist begrüßenswert, da auch im 21. Jahrhundert der Krieg "ein wahres Chamäleon" (Clausewitz) ist. In dem vorliegenden Sammelband werden einzelne Aspekten oder "Gesichter" des Krieges diskutiert. So skizziert Daniel Bensaid die Diskurse, mit denen Kriege und "Interventionen" des Westens legitimiert werden. Insbesondere der Bezug auf moralische und ethische Prinzipien bei der Begründung von "humanitären Interventionen" und "gerechten Kriegen" wird aufgeschlüsselt. Wolfgang Kaleck rollt die Debatte um "Feindstrafrecht" auf. Es wird dabei deutlich, dass Menschen durch die Deklaration als "Feinde" Menschenrechte verlieren und dadurch Begrenzungen der staatlichen Repression fallen. Spannend ist auch der Beitrag von Titus Engelschall und Elfriede Müller über das "Dilemma sozialrevolutionärer Gewalt". Sie beschreiben anhand der russischen Revolution 1917, der deutschen Novemberrevolution von 1918/19 und der kubanischen Revolution die Verknüpfung von Krieg und Revolution. Der Krieg machte in diesen Fällen die Revolution zunächst erst möglich, führte aber dann zur Militarisierung der Revolution und zur Unterminierung emanzipatorischer Perspektiven. Die AutorInnen beschreiben das Dilemma, können Ideen für eine Überwindung aber nur andeuten. Der Sammelband spricht in insgesamt neun Beiträgen viele Aspekte an, bezieht Diskurse ein und zeigt Perspektiven auf. Ein zusammenfassendes Fazit fehlt. Dies ist aber bei der Themenbreite kaum überraschend.

Ismail Küpeli

jour fixe initiative berlin (Hg.): Krieg. Unrast Verlag, Köln 2009, 184 Seiten, 16 EUR

Hartz-Reformen

Die Hartz-Reformen haben nicht nur zur Verarmung und Entrechtung vieler Erwerbsloser geführt, sie haben die Gesellschaft insgesamt verändert, wie der Kölner Politikwissenschafter Christoph Butterwegge in seinem Beitrag zu dem Sammelband über "fünf Jahre Hartz-Reformen" darlegt. Der durch diese vorangetriebene Niedriglohnsektor und die Ausbreitung von Leih- und Zeitarbeit verstärken den Druck auf die Löhne und mindern die Kampfkampf der Gewerkschaften. In einem historischen Rückblick auf die Debatte um die Sozialpolitik in der Endphase der Weimarer Politik macht Butterwegge erstaunliche Parallelen deutlich. Der deutschnationale Sozialpolitiker Gustav Hartz (!) warnte schon Ende der 1920er Jahre vor sozialstaatlichen "Irrwegen der deutschen Sozialpolitik". Sein Lamento ähnelt den Klagen von Wirtschaftsliberalen fast 80 Jahre später. Dass sein Namensvetter diese Klagen dann in ein Gesetzwerk gießt, ist ein Treppenwitz der Geschichte. In dem Buch werden in insgesamt 14 Aufsätzen die Folgen der Hartz-Reformen auf die Gesellschaft ausführlich beleuchtet. So zeigt Andrej Holm auf, wie für Hartz-IV-EmpfängerInnen das Recht auf freie Wahl ihres Wohnortes eingeschränkt wird. In sechs Aufsätzen geht es um Alternativen zu den Hartz-Reformen. Dabei wird die Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens von Gisela Notz und Daniel Kreutz einer kritischen Prüfung unterzogen. Beide warnen davor, dass es ohne einen garantierten Mindestlohn den Druck auf die Löhne sogar noch erhöhen könnte. Matthias Möhring-Hesse fordert einen über die Standards der 1970er Jahre hinausgehenden demokratischen Sozialstaat, der sich nicht mehr ausschließlich auf die Erwerbsarbeit bezieht. Der Sammelband liefert nützliche Bausteine für eine Diskussion, die von den sozialen Initiativen, Erwerbslosengruppen und auch den Gewerkschaften aufgegriffen werden sollte.

Peter Nowak

Jürgen Klute und Sandra Kotlenga (Hg.): Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nach Hartz. Fünf Jahre Hartzreformen: Bestandsaufnahme - Analysen - Perspektiven. Universitätsverlag Göttingen, 2008, 254 Seiten, 23 EUR

Antikommunismus

Den Umschlag von Jan Kortes lesenswertem Büchlein "Instrument Antikommunismus. Sonderfall Bundesrepublik" verunziert das bekannte CDU-Wahlplakat von 1953: "Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!" Auch wenn Moskau als Zentrale des "Weltkommunismus" inzwischen ausgeschieden ist - der Antikommunismus lebt weiter, z.B. in Gestalt der Totalitarismustheorie oder in der andauernden Verunglimpfung kommunistischer NS-Opfer. Hier geht Antikommunismus offensichtlich einher mit der Verharmlosung des Faschismus. Jan Korte (Jahrgang 1977), Bundestagsabgeordneter der LINKEN, stellt in seinem Buch den bundesrepublikanischen Sonderfall überzeugend dar. Den Schwerpunkt legt er auf die Jahre der Kanzlerschaft Konrad Adenauers. Zu Recht - damals wurde die "antitotalitäre", d.h. die antikommunistische, Staatsdoktrin der BRD etabliert, und mit ihr die Grundlagen der offiziellen Vergangenheitspolitik. Was sich nur durch ein "selbstkritisches, selbstbewusstes Herangehen" der Linken an die eigene Tradition und Geschichte, wirksam bekämpfen lasse. "Das Denken in kritischen Kategorien von einem antistalinistischen Standpunkt" sei notwendig, schreibt Korte, "um endlich die Opfer des hysterischen Antikommunismus als Opfer zu erkennen, Antikommunismus in vergangenheitspolitischer Absicht zurückzuweisen und Antikommunismus als Ideologie zu delegitimieren."

Js.

Jan Korte: Instrument Antikommunismus. Sonderfall Bundesrepublik. Karl Dietz Verlag, Berlin 2009, 125 Seiten, 9,90 EUR