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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 541 / 21.8.2009

Green New Deal à la Europäische Union

In der Klima- und Energiepolitik hält die EU am fossilistischen Wachstumsparadigma fest

Die Europäische Kommission (EK) will die Harmonisierung der bisher getrennten Sektoren Klima- und Energiepolitik herbeiführen. Hehres Ziel ist es, den wirtschaftlichen Risiken, die mit der Abhängigkeit der EU von Energieimporten verbunden sind, zu begegnen. Sie will eine "neue industrielle Revolution in Gang setzen", ein "kohlenstoffarmes Wachstum" vorantreiben und die eigene Energieproduktion drastisch erhöhen. Auch soll die eigene Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Es geht um nichts weniger, als "das Europa von 2050" zu gestalten. (1) Die Konzepte reihen sich reibungslos in die Debatte um einen Green New Deal ein, der die Weltwirtschaftskrise als Ausgangspunkt zum ökologischen Umbau nutzen will.

Eine Analyse der energiestrategischen Papiere der EK zeigt jedoch die polit-ökonomischen und ökologischen Widersprüche dieses Green New Deal. Die EU kann nicht plausibel erklären, wie sie weiterhin die Vorreiterrolle im Klimaschutz für sich reklamieren will, wenn sie gleichzeitig die Versorgungslage mit fossilen Energieträgern verbessern und die Beimischung von Agrotreibstoffen ausbauen will. (2) Um laut Lissabon-Strategie zu einem wettbewerbsfähigen global player zu werden, sind erhebliche fossile wie nachwachsende Rohstoffe erforderlich. Diese aber können zu einem großen Anteil nicht im Binnenmarkt selbst gefördert bzw. produziert, sondern müssen importiert werden.

Bei den G8-Gesprächen 2007 in Heiligendamm sowie bei den Klimaverhandlungen in Bali im Dezember 2007 hat die EU angekündigt, bis 2020 ihre Treibhausgasemissionen um 25-40 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 1990 zu senken. Nach internen Auseinandersetzungen wurde das Reduktionsziel auf 20 Prozent bis 2020 nach unten korrigiert. Im gleichen Zeitraum soll der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch in der EU von 8,5 Prozent (2005) auf 20 Prozent (2020) ausgebaut werden.

Positionierung der EU in der globalen Konkurrenz

Formuliertes Ziel ist es, das "Wohlergehen der europäischen Wirtschaft" zu schützen. Dafür steht auch der Begriff der Energiesicherheit, die gewährleistet bzw. hergestellt werden muss. Denn eine wachsende Konkurrenz um den Zugang zu fossilen Energieträgern, erratische Preisschwankungen bei Öl und Gas, Lieferprobleme sowie die Auswirkungen des Klimawandels sorgen bereits für erhebliche weltpolitische Konflikte. Die EU will deshalb zur "Volkswirtschaft mit geringem Kohlenstoffeinsatz und hoher Energieeffizienz" werden. Damit wird keinesfalls eine "revolutionäre" Umwandlung der Energiesysteme eingeleitet: "fossile Kraftstoffe werden auch in den kommenden Jahrzehnten die wichtigste Energiequelle weltweit bleiben". Es wird auch weiterhin auf "Kohlevorkommen zurückgegriffen werden müssen" und die Kernenergie werde ihren Anteil zum Energiemix leisten. (3)

In den Strategiepapieren wird weder den Fragen nach der Endlichkeit der fossilen Energien oder der geostrategischen Konfliktlagen noch den Konsequenzen einer solchen "fossilistischen" Politik für den globalen Anstieg der CO2-Emissionen nachgegangen. Wesentlicher ist, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien als "Katalysator für die Modernisierung der europäischen Wirtschaft" genutzt werden soll. Technologische Innovationen sollen kurz- und mittelfristig einen globalen Wettbewerbsvorsprung sichern. Es geht in der EU-Vorreiterpolitik also keinesfalls um einen Ausgleich in den ungleichen Weltwirtschaftsbeziehungen zwischen Nord und Süd, um den Abbau von klimaschädlichen Handelsbeziehungen oder der bestehenden globalen Energieketten noch um einen Abbau sozial-ungleich verteilter Auswirkungen ökologischer Konflikte, sondern um die Positionierung der EU in der globalen Konkurrenz.

Wie sollen die Sektoren Energie- und Klima im Rahmen eines Green New Deal harmonisiert werden? Beim Klimawandel richtet sich der Blick auf die CO2-Emissionen. Sie beruhen aber (nur) auf der output-Seite des fossilistischen Energiesystems. Würde der Fokus stärker auf dem Verbrauch der Energien Kohle, Gas und Öl liegen, also auf der input-Seite, müssten auch die regionalen und nationalen Interessenlagen berücksichtigt werden. Die politische Trennung von Klima- und Energiepolitik setzt sich schließlich auch in der Handels- und Finanzpolitik wie in der WTO und dem IWF fort. Auch die Armutspolitik der Weltbank basiert weiterhin auf einem fossilistischen und modernisierungstheoretischen Wachstumsparadigma.

Die politischen, ökonomischen und sozialen Institutionen des fossilistisch-kapitalistischen Wirtschaftssystems, deren Politik auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet ist, geraten durch die institutionelle Trennung der Sektoren als Verursacher des Klimawandels aus dem Blick. Auch die sozialen Ungleichheiten zwischen denjenigen, die hohe Luxus-Emissionen haben, und denjenigen, die nur so viel emittieren, wie sie zum Überleben brauchen, sind kaum zu erkennen. Werden die verschiedenen Problemdimensionen berücksichtigt, ist der Klimawandel nicht nur ein ökologisches Problem, sondern stellt eine umfassende geostrategische, gesellschaftliche, politische und ökonomische Krise dar.

Wie will die EU ihre anspruchsvolle Klimapolitik realisieren? Genannt werden die flexiblen Instrumente des Kyoto-Protokolls, insbesondere der Emissionshandel und der Clean Development Mechanism (CDM). Alternative und vor allem konkrete, über das Kyoto-Protokoll hinausreichende Maßnahmen finden sich in den Strategiepapieren kaum. An einer Stelle wird auf die Kennzeichnungspflicht energiesparender Elektrogeräte hingewiesen, an anderen Stellen auf die Bedeutung von Energieeffizienz. Ausführlicher wird dafür die Technologie der Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) behandelt.

Unerwähnt bleibt, dass damit erhebliche Risiken verbunden sind und die Technologie frühestens in zehn bis fünfzehn Jahren verfügbar sein wird. Doch ohne die Ablagerung von CO2 steht die "20 und 20 bis 2020"-Strategie der EK auf tönernen Füßen, sollen doch fossil befeuerte Kohlekraftwerke in Zukunft eine noch größere Bedeutung spielen. Mit CCS sollen zudem zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: die eigenen Kohlevorräte können klimaverträglich genutzt und die neue Technologie den Entwicklungsländern verkauft werden. Bereits jetzt fördert die EU die Einrichtung von bis zu 12 Demonstrationsanlagen bis 2015. Dabei wird nicht in Erwägung gezogen, dass jede Investition in die neuen Technologien das fossile Energieregime über Jahrzehnte verlängern und das Umschwenken auf den Pfad erneuerbarer Energien für lange Zeit verhindern wird.

Neben der CCS-Technologie werden im Strategiepapier die "positiven Erfahrungen" mit dem Emissionshandel (EH) und dem CDM hervorgehoben. Die Probleme, die mit dem EH verbunden sind, wie die Überausstattung und der geringe Preis der Zertifikate, werden nicht thematisiert, auch die umfassende Kritik am CDM bleibt unberücksichtigt. Der CDM ist über die EU-Linking-Directive unmittelbar mit dem EH verknüpft. Sie ermöglicht europäischen Unternehmen, bis zu 25 Prozent ihrer Reduktionsverpflichtungen aus Zertifikaten zu decken, die über Investitionen und die Förderungen erneuerbarer Energien in den Entwicklungsländern generiert werden. Die Obergrenze will die EU künftig auf 30 Prozent erhöhen.

Die CDM-Praxis der letzten Jahre zeigt, dass der flexible Mechanismus die in ihn gesetzten Erwartungen hinsichtlich der CO2-Reduktion und der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung kaum erfüllt. Im besten Falle lässt sich der CDM als ein Nullsummenspiel beschreiben, weil höhere Emissionen im Norden über Emissionsreduktionen im Süden ausgeglichen werden. Aber selbst das ist fraglich.

Besonders paradox ist die Generierung bei HFC-23 Projekten: Das Gas, das bei der Herstellung von Kühlmitteln anfällt, hat ein hohes "Global Warming"-Potential, ist also ein extremer Klima-Killer. Durch die Verbrennung dieses Gases lassen sich viele Emissionszertifikate schnell und kostengünstig generieren. Das weckt Begehrlichkeiten: Es besteht die Gefahr, dass über das Kyoto-Instrument der ökonomische Anreiz zur Produktion von Klimakillern erst geschaffen wird, um diese dann nachträglich - profitabel - zu entsorgen.

Unbeirrt hält die EU am Emissionshandel fest

Über 90 Prozent der handelbaren Zertifikate im Bereich CDM kommt aus Indien, China, Süd-Korea und Brasilien. Die Menschen in den meisten ländlichen Regionen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens haben folglich nur einen verschwindend geringen Anteil von den CDM-Investitionen der Industrieländer. Die nachhaltige Transformation von Energiesystemen oder die Reduzierung der weltweiten "Energiearmut" durch den Ausbau dezentraler erneuerbarer Versorgungssysteme bleibt außen vor. Investitionen, die in erneuerbare Energien getätigt werden, fließen primär in groß angelegte Staudammprojekte. Diese und andere CDM-Maßnahmen, wie z.B. Aufforstungsprojekte in Form von Monokulturen oder die Förderung genetisch veränderter Reissorten, die weniger klimaschädliche Stickstoffdünger benötigen, produzieren neue lokal-regionale Konflikte, die in den Kohlenstoffbuchungen des Nordens nicht erfasst werden.

Es ist nicht ausgemacht, ob der steigende Bedarf an fossilen Energien in der EU durch den Ausbau erneuerbarer Energien kompensiert werden kann. Im Jahr 2005 importierten die Mitgliedstaaten 57 Prozent ihres Erdgas- und 82 Prozent ihres Erdölbedarfs - für das Jahr 2030 rechnet die EK sogar mit 84 beziehungsweise 93 Prozent. Bei einer business-as-usual-Politik wird die Abhängigkeit der EU von Energieimporten bei Kohlenwasserstoffen insgesamt also zunehmen.

Es bleibt daher spannend, wie der Green New Deal aussehen soll. Die bisherigen Konzepte lassen wenig erwarten: Wirtschaftliches Wachstum, die Standortkonkurrenz und ökonomische Stabilität basieren seit Beginn der Industrialisierung stets auf der Verfügbarkeit und dem Verbrauch fossiler Ressourcen. Es herrscht eine politische Kongruenz von fossilistischem Energiesystem und global dominierendem kapitalistischen Wirtschaftssystem. Aber es fehlt an einer lösungsorientierten Klimaschutzpolitik.

Staudammbau als Investition in erneuerbare Energien

In diesem Sinne setzt sich auch das im Auftrag des Europäischen Parlaments verfasste Strategiepapier "Klimawandel und Internationale Sicherheit" des EU-Außenbeauftragten Javier Solana nicht mit den eigentlichen Problemen der Klimakrise auseinander. Die EU soll sich vielmehr in einer Welt der wachsenden Sicherheitsbedrohungen auf die Konkurrenz um Energieressourcen und deren Kontrolle, auf einen "erhöhten Migrationsdruck" von Süd nach Nord oder Landverteilungskämpfe, die wesentlich durch den Klimawandel hervorgerufen werden, vorbereiten. Durch eine präventive Politik sollen Kosten oder "negative" Konsequenzen des Klimawandels für die EU vermieden, die Handelsbeziehungen ausgebaut und die Rohstoffquellen langfristig gesichert werden. (4)

Eine andere Perspektive ist notwendig: "It is high time, for the purposes of debate and policy-making, to put the spotlight on the core-problem - fossil fuel extraction and consumption". (5) Werden Klimaschutz und eine Reduktion der CO2-Emissionen ernsthaft als Zielmarge formuliert, müsste das Öl-Zeitalter überwunden werden - und zwar noch ehe die Verknappung der fossilen Energieträger eintritt. Doch weder in der internationalen Klimapolitik, noch in der EU ist der politische Wille für den weit reichenden Umbau der Energiesysteme hin zu erneuerbaren und dezentralen Energieträgern erkennbar.

Achim Brunnengräber

Anmerkungen:

1) Europäische Kommission (2007): Eine Energiepolitik für Europa. Siehe http://ec.europa.eu/energy/energy_policy/doc/01_energy_policy_for_europe_de.pdf und Europäische Kommission (2008): 20 und 20 bis 2020. Siehe http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52008DC003:DE:NOT

2) Siehe meinen Beitrag "Klima-Kapitalismus der Europäischen Union", in: Altvater, E./ Brunnengräber, A. (Hg.) (2008): Ablasshandel gegen Klimawandel? Marktbasierte Instrumente in der globalen Klimapolitik und ihre Alternativen. Hamburg: VSA, S. 133-148

3) Zitate ohne Literaturangaben beziehen sich auf die beiden oben genannten Veröffentlichungen der EK.

4) Europäische Kommission: Klimawandel und internationale Sicherheit. Papier des Hohen Vertreters und der Europäischen Kommission für den Europäischen Rat, S113/08, 14. März 2008. Brüssel. Siehe http://ec.europa.eu

5) Hallström, N./Nordberg, O./Österbergh, R. (2006): Carbon Trading. A critical conversation on climate change, privatisation and power. Uddevalla: Mediaprint. S. 2