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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 541 / 21.8.2009

Mal richtig abschalten!

Bundesweite Anti-AKW-Demo am 5. September in Berlin

Die Stromkonzerne sind still geworden. Weil die Negativschlagzeilen in Sachen Atomkraft seit Monaten überwiegen, ist es für Eon, RWE, Vattenfall und EnBW besser, den Kopf einzuziehen und auf die Zeit nach der Bundestagswahl zu hoffen. Die zu neuem Leben erwachte Anti-AKW-Bewegung dagegen wird ihre Forderungen noch vor der Wahl lautstark vortragen: am 5. September in Berlin, wo die nächste Bundesregierung über die Zukunft der Atomenergie entscheiden wird.

Neben dem Dauerstörfall im "Versuchsendlager" Asse sind es vor allem die unzuverlässigen Reaktoren, die die Debatte bestimmen. Das AKW Krümmel bei Hamburg war nach zwei Jahren Stillstand gerade wieder angefahren worden, als der gleiche Störfall wie 2007 das Kraftwerk erneut für eine Betriebsunterbrechung bis weit ins nächste Jahr hinein sorgte. Und Krümmel ist nicht der einzige Problemreaktor: Ende Juli waren zeitweilig acht von 17 AKW wegen Störungen oder Reparaturen vom Netz. So viel zum Thema Versorgungssicherheit. Die Lichter gingen trotzdem nicht aus.

Das industriefreundliche Handelsblatt schrieb: "Wenige Wochen vor der Bundestagswahl hat die Atomlobby nicht nur einige Meiler, sondern auch ihre Kommunikation notabgeschaltet. Kurz vor dem entscheidenden Urnengang will man in der Öffentlichkeit offenbar nicht noch mehr ungewollte Aufmerksamkeit erzeugen, die die Wähler in puncto Kernenergie verunsichern könnte. Denn klar ist, dass die kommende Bundestagswahl wohl die letzte Chance sein wird, den Atomausstieg zu kippen, bevor Reaktoren auf breiter Front außer Dienst gestellt werden müssen. Das will die Branche mit aller Macht verhindern." (HB, 28.7.09)

In den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl wird sich zeigen, ob die Stromkonzerne mit ihrem Drängen auf Laufzeitverlängerungen Erfolg haben oder ob es endlich zum lang versprochenen Atomausstieg kommt. Rechnet man die im "Atomkonsens" aus dem Jahr 2000 festgelegten "Reststrommengen" in Laufzeiten um, dann können in der nächsten Legislaturperiode bis zu sieben AKW endgültig vom Netz gehen. Die Entscheidung über die Zukunft der AKW hängt nicht alleine vom Wahlergebnis am 27. September ab. Selbst bei einer schwarz-gelben Mehrheit ist die Laufzeitverlängerung kein Selbstläufer. Noch einmal das Handelsblatt: "Die latente Akzeptanzkrise in der Bevölkerung sorgt dafür, dass die Stimmung schon bei kleinsten Abweichungen vom Normalbetrieb umschlägt und Ängste gegen den Weiterbetrieb ausgelöst werden. Die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen um die Castor-Transporte in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre sind eine Erinnerung, die auch in der Union und FDP selbst bei einer knappen Mehrheit nach der Bundestagswahl eine Kernenergieoffensive bremsen wird." (HB, 11.8.09)

Bei einem anderen Wahlausgang ist völlig offen, wer sich in Koalitionsverhandlungen durchsetzt. Die Stromkonzerne werden alles tun, diese Entscheidung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ginge es nur nach Wahlversprechen, wären die AKW in der Bundesrepublik längst alle abgeschaltet. Aber die Parteien unterscheiden sehr genau, welche Themen und Positionen geeignet sind, möglichst viele WählerInnen zu mobilisieren und was nach der Wahl eine optimale inhaltliche und personelle "Ausbeute" in den Koalitionsverhandlungen bringt.

Klar werden beispielsweise die Grünen keine 180-Grad-Wende machen und plötzlich Laufzeitverlängerungen zustimmen. Aber das aktuelle Atomgesetz lässt leider viele Tricks zu, um die Stilllegung von Reaktoren zu verhindern. Würde beispielsweise das umstrittene AKW Krümmel von den Betreibern "geopfert", dann könnten die "Reststrommengen" aus diesem Pannenmeiler so auf alle anderen Reaktoren verteilt werden, dass vor der Wahl 2013 kein weiterer vom Netz geht. Das könnte auch ein grüner Bundesumweltminister kaum verhindern, so lange das entsprechende Gesetz nicht verschärft wird.

Glücklicherweise ist die Anti-AKW-Bewegung seit den Protesten in Gorleben im letzten Herbst wieder stärker geworden als zu den Zeiten, als der Glaube an den regierungsamtlichen Ausstieg viele Menschen davon abhielt, auf die Straße zu gehen. Und seit die Bäuerinnen und Bauern aus dem Wendland erklärt haben, dass sie sich 30 Jahre nach ihrem legendären Hannover-Treck wieder auf den Weg machen wollen, diesmal nach Berlin, gleicht die Bewegung einem Ameisenhaufen. Überall wird zur Großdemo am 5. September in Berlin mobilisiert: An dem Tag wird der Treck aus dem Wendland in der Hauptstadt ankommen. Drei Wochen vor dem Urnengang soll den Parteien vermittelt werden, dass sich die Finger verbrennt, wer nach der Wahl nicht für die Stilllegung von Atomkraftwerken sorgt. Weitere Aktionen werden für die Zeit der Koalitionsverhandlungen im Oktober geplant.

In Berlin demonstrieren die verschiedenen Strömungen der Bewegung gemeinsam. Es gehen sowohl diejenigen auf die Straße, die aus guten Gründen die sofortige Stilllegung der AKW fordern, als auch die, die zuvorderst Laufzeitverlängerungen verhindern wollen. Es gibt einen antikapitalistischen Aufruf und einen Aufruf des Bundesverbands Erneuerbare Energien, der befürchtet, dass der weitere Ausbau der Erneuerbaren durch den Weiterbetrieb der Reaktoren gebremst wird. Es demonstrieren diejenigen, die schon in den 1970er und 1980er Jahren in Wyhl, Wackersdorf, Grohnde, Kalkar, Gorleben und Brokdorf unterwegs waren gemeinsam mit einer neuen Generation von AtomkraftgegnerInnen, die erstmals beim letzten Castor-Transport aktiv geworden ist. Sie alle sehen die Gefahr der Laufzeitverlängerung, aber auch die Chance, endlich die Stilllegung einer relevante Zahl von AKW durchzusetzen. Auf dass die Stromkonzerne auch in Zukunft möglichst kleinlaut bleiben.

Jochen Stay

Mehr Informationen

zu Treck und Demonstration am 5.9: www.anti-atom-demo.de

zu weiteren Aktionen nach der Wahl: www.ausgestrahlt.de