Die Rückkehr des Militärputsch
Harald Neuber über die aktuelle Situation in Honduras
Am 28. Juni putschte in Honduras das Militär gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya; er wurde gewaltsam außer Landes gebracht. Als Vorwand galt Zelayas Plan, die Bevölkerung zeitgleich zu den Wahlen im November in einem rechtlich nicht bindenden Referendum über die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung abstimmen zu lassen. Der Staatsstreich scheint auch die rechte Oligarchie El Salvadors zu inspirieren: Dort soll die ARENA-Partei Präsident Mauricio Funes von der FMLN damit gedroht haben. In Honduras gehen derweil die Menschen für Zelaya auf die Straße. Über die Situation im Land sprachen wir mit dem Journalisten und Lateinamerikaexperten Harald Neuber (siehe www.amerika21.de), der sich - u.a. für attac Deutschland - vor Ort aufhält.
ak: Fast zwei Monate sind seit dem Putsch vergangen; es gab Vermittlungsversuche von Costa Ricas Präsident scar Arias, in Honduras gehen die Menschen immer noch zu Tausenden auf die Straße. Wie stehen die Chancen für eine Rückkehr von Manuel Zelaya?
Harald Neuber: Zunächst einmal muss man festhalten, dass die Situation in Honduras absolut absurd ist: Die Machthaber sind international völlig isoliert. Spricht man aber mit den VertreterInnen des Putschistenregimes, merkt man, dass sie dennoch unnachgiebig sind. Das erschwert die Chance auf eine Rückkehr des rechtmäßig gewählten Staatschefs und damit auf eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung. Präsident Zelaya harrt im benachbarten Nicaragua aus, wo er eine Art Basiscamp errichtet hat. Ob ihm eine rasche Rückkehr gelingt, hängt vor allem vom Erfolg der Widerstandsbewegung im Honduras ab. Und die ist auf internationale Unterstützung angewiesen.
Welche Versuche unternehmen derzeit die Staaten der Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR), um die Rückkehr Zelayas zu ermöglichen?
Was können sie tun, außer die PutschistInnen zu isolieren? Das Regime des ehemaligen Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti hat keine Verbündeten in Lateinamerika! Politische und wirtschaftliche Kontakte wurden abgebrochen. Die einzige Möglichkeit, das zunehmend autoritär und aggressiv herrschende Regime in Tegucigalpa zu stürzen, besteht darin, ihm die Geldhähne abzudrehen.
Weshalb ist das noch nicht gelungen?
Zum einen, weil die Regierung der USA nur zaghafte Sanktionen verhängt hat. Gerade einmal 16 Mio. von insgesamt 250 Mio. US-Dollar Hilfsfonds wurden suspendiert. Zudem hat Washington die Visa von fünf VertreterInnen des neuen Regimes suspendiert. Ernsthafte Strafmaßnahmen sehen anders aus - besonders, wenn man sie mit der umfassenden und Jahrzehnte währenden Kuba-Blockade vergleicht. Doch selbst bei stärkeren Sanktionen bliebe ein Problem: Die PutschistInnen stehlen derzeit in großem Maßstab staatliche Fonds, um ihren Machtapparat stabil zu halten. Nach internen Informationen aus Kreisen der Zelaya-Regierung wurden Anfang August alleine 40 Mio. US-Dollar aus dem Öl-Fonds von "Petrocaribe" an den von den PutschistInnen kontrollierten Nationalkongress überwiesen. Diese Gelder waren unter anderem zur Bekämpfung der hohen Armut in Honduras vorgesehen.
Welche Sektoren stehen hinter den PutschistInnen und welche Teile der Bevölkerung repräsentieren sie?
Der Staatsstreich gegen Präsident Zelaya ist eine Aktion, die von der honduranischen Oberschicht initiiert und von der Armee unterstützt wurde. Ich sehe vier Hauptakteure: Zum einen sind das die klassischen Oligarchen. Etwa zehn Familien kontrollieren die Wirtschaft dieses 7,5-Mio.-Einwohner-Staates. Oligarchen wie Jorge Canahuati Larach, Carlos Flores Facussé, Rodrigo Wong Arévalo oder Rafael Ferrari haben die Binnenökonomie fest im Griff. Sie kontrollieren auch die Presse, was die Situation für die demokratische und friedliche Widerstandsbewegung nicht gerade einfacher macht.
Die zweite Gruppe sind die IdeologInnen. Zu ihnen zähle ich die KirchenvertreterInnen und ausländische Gruppierungen, die einen geradezu fanatischen Feldzug gegen den "Chavismus" führen. Zelaya, sagen sie, hätte sich von seinem venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez kaufen lassen, um ihm das Land auszuliefern. Wenn man die privaten und von den Oligarchen kontrollierten Fernsehsender einschaltet, dauert es keine fünf Minuten, bis man einen entsprechenden Propaganda-Beitrag sieht. Jede politische Debatte dreht sich um Chávez. Ich hatte vergangenen Woche die Möglichkeit, mit dem Vorsitzenden der evangelischen Kirche in Honduras, Oswaldo Canales, zu sprechen. Die Militärs hätten keine andere Möglichkeit zum Handeln gehabt, sagte er: "Die Regierung Zelaya war von Kommunisten und chavistischen Spionen unterwandert." Diese Leute sind völlig fanatisch. Sie versuchen eine Neuauflage des Kalten Krieges - gegen den "Chavismus". Was auch immer das ist.
Die dritte Gruppe besteht, das muss man leider sagen, aus ärmeren Leuten, die sich von der massiven Propaganda beeinflussen lassen. Ich will als Europäer nicht arrogant klingen, und man muss da auch in der Debatte vor Ort behutsam vorgehen, aber dahinter steht natürlich ein Bildungsproblem. Diejenigen, die von den vorsichtigen Staatsreformen und von der Sozialpolitik Zelayas hätten profitieren können, lassen sich nun gegen ihn mobilisieren. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Demokratiebewegung, diese Menschen für ihre Sache zu gewinnen.
Die vierte Gruppe sind die innerparteilichen Rivalen von Zelaya in der Liberalen Partei. Sie haben sich gegen den gewählten Präsidenten verbündet. Weil sein Staatsprojekt ihre Privilegien bedroht hat.
Welche Motive stehen hinter dem Putsch?
Vor einigen Tagen wurde hier im honduranischen Fernsehen eine Talkshow mit führenden Militärs ausgestrahlt. Der Anblick der Uniformierten im Fernsehstudio alleine war, sagen wir, bedenklich. Was sie sagten, war beängstigend. In der Armeeführung herrscht offenbar überhaupt kein Unrechtsbewusstsein. Ebenso wie ihre politischen AuftraggeberInnen beharren sie auf der Behauptung, sie hätten die Verfassung verteidigt. Mit der gewaltsamen Verschleppung des gewählten Präsidenten Zelaya am 28. Juni seien die "expansionistischen Pläne" des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez verhindert worden. General Miguel ngel García Padget zeigte sich überzeugt: "Wir haben verhindert, dass ein als Demokratie getarnter Sozialismus sich weiter ausbreitet - bis in die USA hinein."
Der eigentliche Grund aber ist, dass die Sozial- und Staatsreformen der Regierung Zelaya die Privilegien der Elite bedrohten. Zwei Monate vor dem Amtsantritt des Präsidenten waren die Treibstoffpreise über Nacht angehoben worden. Nach Auskunft der Ehefrau des Präsidenten, Xiomara Castro de Zelaya, mit der ich sprechen konnte, bot der Beitritt zu dem von Venezuela gegründeten energiepolitischen Bündnis "Petrocaribe" eine Lösung für die Versorgungsengpässe. Honduras kam in den Genuss von Lieferungen venezolanischen Öls zu Vorzugsbedingungen. "Wir mussten nur 30 Prozent binnen 90 Tagen bezahlen. Die übrigen 70 Prozent können binnen 25 Jahren mit nur einem Prozent Zinsen beglichen werden", schilderte mir Castro de Zelaya.
Nicht nur dieses Abkommen habe die Profite von SpekulantInnen bedroht. Als ihr Mann das Präsidentenamt antrat, habe er die Medikamentenversorgung untersuchen lassen. Diesen Bereich hatte bis dahin der Millionär und Medienmogul Jorge Canahuati Larach kontrolliert. Weiterhin sagte Castro de Zelaya: "Zu Beginn der Amtszeit meines Mannes wurde der Schutz der Wälder verstärkt, was die Holzindustrie um ihre Profite bangen ließ." Und schließlich habe der Präsident Mitte Mai dieses Jahres sein Veto gegen einen Gesetzesvorschlag der Rechten eingelegt, der die "Pille danach" verbieten sollte. Das brachte die katholische Kirche und besonders die ultrarechte Organisation Opus Dei gegen ihn auf. Es gab vor dem Putsch, so ihr Resümee, eine breite Interessenkoalition.
Wie hat sich mittlerweile die Opposition gegen den Putsch organisiert?
Noch am Tag des Putsches wurde ein Bündnis sozialer Organisationen geschlossen. Diese "Nationale Widerstandsfront gegen den Staatsstreich in Honduras" ist seither die treibende Kraft hinter den Protesten. Ihr gehören rund 100 soziale Organisationen und politische Gruppen an. Langjährige AktivistInnen, etwa aus Menschenrechtsorganisationen, weisen immer wieder auf die enorme Mobilisierungskraft hin. Eine der bekanntesten Menschenrechtlerinnen, Bertha Oliva von der "Vereinigung der Familienangehörigen von Verschwundenen", sagte mir: "Wenn ich heute sterben müsste, dann würde ich glücklich sterben, denn ich hätten noch gesehen, wie die Jugend von Honduras auf die Straße geht."
Die honduranische Demokratiebewegung legt - gerade vor dem Hintergrund des antikommunistischen Staatsterrors in den 1980er Jahren - großen Wert auf den friedlichen Charakter ihres Widerstandes. Ihr ist klar, dass eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den PutschistInnen eine massive Terrorkampagne nach sich ziehen würde.
Schon bald nach dem Putsch machten Nachrichten über die gezielte Verfolgung von u.a. MenschenrechtsaktivistInnen und GewerkschafterInnen die Runde; mehrere Menschen wurden bei Demonstrationen gegen den Putsch vom Militär erschossen. Wie hat sich der Repressionsapparat mittlerweile organisiert?
In Honduras herrscht bislang keine generalisierte Gewalt wie nach den Militärputschen in den 1970er und 1980er Jahren. Aber es gibt eine selektive Gewalt gegen führende Köpfe und Organisationen der Widerstandsbewegung. Vor rund zwei Wochen wurde ein Bombenanschlag auf den Sitz der Gewerkschaft STIBYS verübt, Mitte August wurde das Büro der Landarbeiterorganisation Via Campesina beschossen.
Wie viele Menschen sind auf Grund der Repression und des Putsches außer Landes geflüchtet, wie viele verschwunden, verhaftet oder ermordet wurden?
MenschenrechtsbeobachterInnen gehen von bis zu acht politischen Morden seit dem Putsch aus. Zuletzt gab es bei jeder Demonstration Schwerverletzte durch Polizei- und Armeegewalt. Über 3.000 Menschen wurden - vor allem während der immer wieder verhängten Ausgangssperren - festgenommen. Es gibt Berichte über Folter und Vergewaltigungen in der Haft.
Wie hat sich die Regierung Micheletti mittlerweile im Amt festgesetzt, welche Signale für Kompromisslösungen gibt es?
Keine. Ich war bei einem Treffen zwischen der Vizevorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Monika Knoche, und dem Vorsitzenden der Liberalen Fraktion im honduranischen Nationalkongress, Marco Antonio Andino, dabei. Seine Arroganz war beachtlich. "Sie können in Europa machen, was Sie wollen, Sie können noch so viele Sanktionen verhängen", sagte er, "wir werden an der Macht bleiben". Durch einen Dialog werden diese Leute sich nicht bekehren lassen.
Liegt das auch an der ausländischen Unterstützung? Der Vertreter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras, Christian Lüth, hat sich schließlich offen auf die Seite der PutschistInnen gestellt. In Deutschland hat die Stiftung am 5. August eine geschlossene Veranstaltung mit mehreren VertreterInnen der Putschregierung abgehalten. Wie schätzt du die deutschen Reaktionen auf den Putsch ein?
Die Politik der Naumann-Stiftung ist ein absoluter Skandal und sie wird - das kann ich hier vorwegnehmen - in Honduras und in Deutschland Konsequenzen haben. Die Bundesregierung und vor allem das Auswärtige Amt halten sich meines Erachtens sehr zurück. Obwohl sie den Putsch als "Exilierung Zelayas" verurteilt haben, wollen sie sich nicht eindeutig festlegen.
Wie kann von Deutschland aus der Widerstand gegen den Putsch unterstützt werden?
VertreterInnen der Demokratiebewegung bitten vor allem um ausländische Präsenz. Die Gegenwart von internationalen Beobachtermissionen stellt für die AktivistInnen einen Schutz dar. Die am Widerstand führend beteiligte Landarbeiterorganisation Via Campesina bittet zudem um Spenden. Dafür ist ein Spendenkonto bei der spanischen Bank Ipar Kutxa eingerichtet worden. Kontoinhaber ist die Asociacion Lurbide (SWIFT: CVRVES2B, IBAN: ES54 3084 0023 5364 0006 1004). Als Stichwort gilt "Lucha Honduras".
Welche internationalen Solidaritätsdelegationen haben Honduras mittlerweile besucht?
Mitte Juli gab es eine internationale Menschenrechtsdelegation, wenig später eine politischer orientierte Delegation, an der ich für attac Deutschland teilgenommen habe. Über das biregionale Netzwerk Enlazando Alternativas soll die Kontinuität ausländischer BeobachterInnen vor Ort gewährleistet werden. Diese Initiative findet in enger Zusammenarbeit mit der "Nationalen Widerstandsfront gegen den Staatsstreich in Honduras" statt.
Interview: Eva Völpel
Anmerkung:
Unter www.ipetitions.com/petition/gegen-putschisten/ kann eine Petition gegen die Politik der Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras unterzeichnet werden.