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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 541 / 21.8.2009

Countdown to Copenhagen - wird der Klimagipfel zu einem Seattle 2.0?

Und: Wo bist du im Dezember?

Im Dezember findet in Kopenhagen ein äußerst wichtiger "Klimagipfel" statt, auf dem die zweite Phase des Kyoto-Protokolls verabschiedet werden soll. Seit über einem Jahr arbeiten soziale Bewegungen daran, eine kritische Mobilisierung zum und gegen diesen Gipfel auf die Beine zu stellen. Ein Blick auf den Stand der Vorbereitungen.

Geht es um den Kopenhagener-Klimagipfel, sprechen einige von einem "neuen Seattle": einem Event, dass für den nächsten Zyklus globaler Kämpfe von ähnlicher Bedeutung sein kann, wie die Aktionen gegen die Welthandelsorganisation (WTO) vor fast genau zehn Jahren in Seattle. Damals etablierte sich eine Idee im öffentlichen Bewusstsein, die heute fast banal ist, aber in Zeiten des neoliberalen "Endes der Geschichte" revolutionär anmutete: Eine andere Welt ist möglich!

Der Vergleich ist immer wieder kritisiert worden. Seattle nach Kopenhagen bringen - so ein Blödsinn, die Situation sei doch ganz anders, argumentieren viele. Damals wären sich die Bewegungen untereinander viel einiger gewesen, es hätte mehr Kritik aus dem globalen Süden an der WTO gegeben. Man solle die Erwartungen nicht so hoch schrauben, und außerdem: könnte nicht doch, irgendwie, ein good deal, ein gutes Abkommen, erzielt werden?

Häufig kommen diese Stimmen aus dem Lager derjenigen, die keine andere strategische Perspektive kennen als diejenige, weiter am UN-Prozess zu hängen. Es gibt keine Alternative dazu, sagen sie. Das weckt böse Erinnerungen an Margaret Thatcher, die verkündete, es gebe zum Neoliberalismus keine Alternative. Damals setzte die globalisierungskritische Bewegung an, diesen Mythos zu demolieren und zu beweisen, dass andere Welten möglich waren und sind. Heute setzen wir diese Arbeit fort.

Es wird kein im sozial-ökologischen Sinne "gutes" Abkommen geben, denn die wirklich wichtigen Fragen (Wie fangen wir an, fossile Ressourcen im Boden zu lassen? Wie könnte ein globales Regime der Ernährungssouveränität aussehen? Wie brechen wir die Macht der Energiekonzerne?) werden in der UN gar nicht verhandelt. Darüber hinaus wird es möglicherweise gar keinen Deal geben. Wie anders sollte die Aussage einer hohen UN-Bürokratin (Financial Times, 3.9.) interpretiert werden, dass der Erfolg der Verhandlungen in Kopenhagen nicht daran gemessen werden sollte, ob sie mit einem festen Abkommen enden?

Falsche Hoffnungen auf einen good deal

Ein zweiter Mythos spricht davon, die Länder des globalen Südens stünden hinter den Verhandlungen, Opposition käme vor allem von den KlimawandelskeptikerInnen. Auch das stimmt nicht. Der äthiopische Ministerpräsident Meles Zenawi hat, als er für die Afrikanische Union (AU) sprach, gedroht, die Verhandlungen platzen zu lassen. Zitat: "Wenn es sein muss, sind wir bereit, aus den Verhandlungen auszusteigen, wenn sie darauf hinauslaufen, dass unser Kontinent wieder einmal vergewaltigt wird." Anstatt weiter an den Verhandlungen zu kleben, wird in manchen Sektoren der afrikanischen sozialen Bewegungen vorgeschlagen, die Verhandlungen zu "seattlen" - also wie in Seattle eine Koalition aus Bewegungen und Süd-Eliten aufzubauen, um einen neo- oder kohlenstoffkolonialistischen Deal zu blocken. Viele Südländer wissen, dass es bei den UN-Verhandlungen nicht um ihre Interessen geht, und steuern auf eine antagonistischere Strategie zu.

Der dritte Mythos: es gibt keine Alternative. Der UN-Prozess hat bisher keinerlei ökologisch relevante Emissionsreduktionen erzeugt, hat aber dafür gesorgt, dass die durchgeknallte Logik nicht nur des Kohlenstoffablasshandels ("mach weiter wie bisher, und gib uns ein bisschen Geld, um irgendwo ein Bäumchen zu pflanzen"), sondern des extrem lukrativen Handels mit Emissionsrechten im allgemeinen global anerkannt worden ist. Dagegen zu sein, ist keine "je-schlechter-desto-besser"-Politik, sondern das realistische Anerkennen der Tatsache, dass die Dinge, die wirklich Emissionen reduzieren würden, nicht im, sondern nur gegen den offiziellen Verhandlungsprozess durchgesetzt werden können. Es gibt also eine Alternative: Sie liegt in einer globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit und gegen den Wachstumswahn.

Wirkliche Alternativen finden sich nicht, wenn wir wie gebannt auf den offiziellen Verhandlungsprozess starren, oder - noch schlimmer - uns einfach zurücklehnen und der schlechten Dinge harren, die da kommen. In Kopenhagen werden sich Individuen und Gruppen aus ganz verschiedenen politischen Kontexten (von Autonomen aus Amsterdam bis hin zu brasilianischen Bäuerinnen, von internationalen NGOs bis hin zu lokalen Aktionsgruppen) auf dem Gegengipfel und auf der Straße treffen, um zusammen Aktionen durchzuführen. Und das, obwohl es noch viele Meinungsverschiedenheiten gibt.

Vorschlag aus Afrika: den Gipfel seattlen

Das internationale Netzwerk Climate Justice Action ist an der Organisation einer Vielzahl von Aktionen beteiligt, die hoffentlich für alle etwas zu bieten haben: Von der Aktion "Hit the Production" (Klimaschutz ist Handarbeit), bei der am 13. Dezember ein großer Emittent (evtl. ein Kohlekraftwerk) besetzt werden soll, bis hin zur "Reclaim Power"-Aktion am 16. Dezember, wo es darum geht, gemeinsam durch die Polizeiketten zu drücken und zum Konferenzzentrum zu kommen, um dort den Raum für unsere Agenda der Klimagerechtigkeit zu besetzen. Auch für den Fall, dass wir gestoppt werden, gibt es Pläne ...

Die Chance ist da, etwas Großes zu stemmen und wieder den Startschuss für eine massive, ungehorsame, vielfältige globale Bewegung zu geben. Eine Bewegung, die nicht nur gegen den fossilistischen Kapitalismus, gegen Kohlekraftwerke, das Öl und die Energiekonzerne kämpft, sondern auch gegen die herrschaftsförmige, "grün-kapitalistische" Bearbeitung der Klimakrise. Es hängt nicht von den äußeren Umständen ab, es hängt von uns ab. Seattle hat eine andere Welt ermöglicht. Auf den Straßen von Kopenhagen und darüber hinaus müssen wir anfangen, sie zu verwirklichen. Stellt sich nur noch die Frage: Wo bist du im Dezember?

Tadzio Müller

Anmerkung:

Vom 2. bis 4. Oktober findet in Berlin eine Kopenhagen-Vorbereitungsaktionskonferenz des Klima!Bewegungsnetzwerk statt. Siehe den Kalender in dieser Ausgabe.