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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 542 / 18.9.2009

Falsche Freunde im Web 2.0

Die Weiterentwicklung des Warenfetisch in den Sozialen Netzwerken

Sozialen Netzwerken wie Facebook oder MySpace wird in letzter Zeit eine Aufmerksamkeit zuteil, wie sie früher wohl nur das Orakel von Delphi, der Papst und der Kreml erfuhren. Niemand, so scheint es, kann sich ihren übernatürlichen Kräften, ob in Anziehung oder Abstoßung, entziehen. Soziale Netzwerke sind die neueste und am höchsten entwickelte Form des Warenfetischismus. Unser Dasein als soziale Wesen nimmt in diesen Netzwerken Warenform an. Unser Wert misst sich daran, wie viele Freunde wir haben, wie viele Interaktionen wir eingehen, von welcher Qualität diese sind. Diese Beziehungen können von den Betreibern mittels sozialer Netzwerkanalyse ausgewertet und in ein verkäufliches Gut umgewandelt werden.

Um die Sozialen Netzwerke im Internet einmal etwas grundlegender zu analysieren, ist es nötig, bei der von Karl Marx angestellten Unterscheidung zwischen Arbeit und Kapital anzusetzen. Jene Menschen, die nichts anderes besitzen als sich selbst, sind gezwungen, ihre Arbeitskraft anderen zur Verfügung zu stellen, so dass diese damit Dinge produzieren können. Durch den Verkauf dieser Dinge erzielen die Kapitalgeber in der Regel einen Mehrwert, das heißt, sie erhalten mehr, als sie für Maschinen, Rohstoffe und die Arbeit der anderen ausgegeben haben. Die Quelle des Werts - und damit des Mehrwerts - ist die verausgabte Arbeit, also Lebenszeit der ArbeiterInnen.

Nun treten diese produzierten Dinge als Waren in den Warenkreislauf ein, und die ProduzentInnen treten den von ihnen hergestellten Dingen als potenzielle KonsumentInnen gegenüber. An dieser Stelle setzt eine zweite fundamentale Erkenntnis von Marx an. Wenn uns Dinge als Waren begegnen, erscheinen sie zugleich in Form eines Tauschwerts und eines Gebrauchswerts. Hieraus ergibt sich ein für die Marktwirtschaft charakteristischer Gegensatz. Der Käufer steht auf dem Standpunkt des Bedürfnisses, sein Zweck ist ein bestimmter Gebrauchswert. Der Verkäufer jedoch trachtet nur nach der Realisierung des Tauschwerts, die eigentliche Beschaffenheit des Produkts, sein Gebrauchswert, ist ihm egal.

Diese besondere, doppelte Beschaffenheit der Ware bildet den Ausgangspunkt für Marx' Analyse des Fetischcharakters der Ware. Dinge, die uns als Waren gegenübertreten, sagt Marx, sind zugleich sinnliche und übersinnliche Dinge. Ein ganz normaler Holztisch zum Beispiel hat eine bestimmte physische Beschaffenheit; man kann Dinge darauf stellen, ihn zum Essen oder Schreiben benutzen. Die Dinghaftigkeit des Tisches verschleiert jedoch seine zweite Seinsweise, nämlich dass dieser Tisch, als Ware in kapitalistischen Zusammenhängen produziert, zugleich die zum Produkt geronnene Arbeitszeit der ProduzentInnen ist. Um diesen sinnlich-übersinnlichen Charakter der Waren zu beleuchten, erfand Marx den Begriff des Fetischcharakters der Ware.

Von Schein und Sein der Warenwelt

Diesen Aspekt hat Wolfgang Fritz Haug in seinem 1971 erschienenen Buch "Kritik der Warenästhetik" weitergedacht. Auf dem von Marx erkannten Widerspruch zwischen Tauschwert und Gebrauchswert aufbauend, konstatiert Haug als ein weiteres wesentliches Element das der Zeitverschiebung: Vom Tauschwertstandpunkt - also jenem des Verkäufers her - ist der Prozess abgeschlossen, wenn die Ware verkauft ist, für den Käufer beginnt die Realisierung des Zwecks aber erst damit.

Dieser Widerspruch ist für Haug "Ausgangspunkt einer Tendenz zur stetigen Veränderung der Warenkörper". Denn von nun an wird neben dem Gebrauchswert "zweitens und extra die Erscheinung des Gebrauchswertes" produziert. Deshalb liegt ein "ökonomisch funktioneller Akzent" darauf, den Gebrauchswert in möglichst schönem Schein erstrahlen zu lassen.

Heute, im postmodernen High-Tech-Kapitalismus, hat man sich längst daran gewöhnt, dass sich der Schein - also die Markenästhetik, die über das Logo vermittelte Aura des Konzerns - vom Sinn des Produkts, also seinem Gebrauchswert, abgelöst hat. Dass es sich hierbei um nichts grundlegend Neues handelt, zeigt das folgende Zitat Marx', aus dessen Frühwerk, den Pariser Manuskripten: "Jedes Produkt der Warenproduktion ist ein Köder, womit man das Wesen des andern, sein Geld an sich locken will. Andrerseits ist jedes wirkliche oder mögliche Bedürfnis des sinnlichen Menschen eine Schwachheit, die die Fliege an die Leimstange heranführen wird. Wo immer eine Not, ein Bedürfnis, da bietet ein Warenbesitzer unter dem liebenswürdigsten Schein seinen Liebesdienst an, um alsbald die Rechnung zu präsentieren."

Der Verweis auf den "Liebesdienst" ist nicht rein zufällig. Denn, wie ebenfalls bereits Marx geschrieben hat, "die Ware liebt das Geld, dem sie mit ihrem Preis als Liebesaugen winkt". Die bewusste Gestaltung der Warenästhetik, darauf zielend, die menschliche Sinnlichkeit so geschickt nachzuahmen, so dass die Ware attraktiv wird, hat eine Rückwirkung auf die KonsumentInnen. Diese lernen nämlich wiederum von der Warenwelt, wessen es bedarf, um selbst attraktiv zu sein. Das Gebrauchswertversprechen der Ware erhöht sich umso mehr, als es dem oder der Käuferin eine Bereicherung der Persönlichkeit verspricht. Diese Rückwirkung auf die Person nennt Haug "Modellierung der Sinnlichkeit", den gesamten Komplex, als Herrschaftsmodell verstanden, "Technokratie der Sinnlichkeit".

Wie lassen sich diese Vorbemerkungen nun auf die Sozialen Netzwerke anwenden? Es liegt nahe zu sagen, dass die Sozialen Netzwerke die neueste und am höchsten entwickelte Form des Warenfetischismus sind. Der "Inhalt" des Produkts - und nirgendwo tritt das in einer reineren Form in Erscheinung als bei Facebook - ist die Kommunikation der UserInnen. Alles, was das unternehmerische Kapital hierzu bereitstellt, ist die Plattform. Das Erfolgskriterium, frei nach Marx, ist, dass ihnen die größte Zahl von Fliegen auf den Leim geht. Ironischerweise gibt es dazu ein weiteres Kriterium, das man im Silicon-Valley-Jargon der Neunziger bereits "stickyness" nannte, also "Klebrigkeit": Die NutzerInnen sollen nicht nur kommen, sondern auch möglichst lange hängen bleiben.

Menschlichen Beziehungen werden zum Produkt

Dafür haben sich die ErfinderInnen von Facebook und Co. zahlreiche kleine Anwendungen und Features einfallen lassen, die UserInnen anziehen, zum Verweilen einladen, oder gar süchtig machen sollen: Ob man nun einen Vampirkuss bekommt oder eine virtuelle Blume als Geschenk, ob man eingeladen wird, einer Gruppe beizutreten oder jemandes "Fan" zu sein, immer werden dazu gleich auch E-Mails verschickt, welche die Inbox auffüllen, und sehnsüchtig einer Antwort harren. Das besonders Perfide daran ist, dass die meisten dieser neckischen Reize von Leuten ausgesandt werden, die wir tatsächlich kennen. Es liegt im Wesen der zwischenmenschlichen Kommunikation, dass eine gewisse Wechselseitigkeit erwartet wird. Wer nichts zurückgibt, wird verdächtigt, "sauer" oder "irgendwie komisch" zu sein.

Das Gebrauchswertversprechen, das von Facebook ausgesandt wird, ist unser Wert als soziale Wesen, der sich etwa daran misst, wie viele FreundInnen wir haben, wie viele Interaktionen wir eingehen, von welcher Qualität diese sind, usw. Die Weiterentwicklung von Facebook und Co. gegenüber dem konventionellen Warenkapitalismus ist also die, dass uns nicht mehr die Ware als Fetisch gegenübertritt, welcher die sie hervorbringenden sozialen Beziehungen verschleiert, sondern dass die sozialen Beziehungen selbst zum Fetisch geworden sind, ohne den Umweg über eine Ware.

Der Warencharakter der sozialen Kommunikation ist also, was hier verschleiert wird. Dieses zuvor so ungreifbare Ding, das Zwischenmenschliche, wird in den Sozialen Netzwerken "produziert". Facebook-UserInnen wird ein idealisiertes soziales Wesen vorgespielt, das sich beständig in glücklichen sozialen Interaktionen wähnt, und zu dem sie selbst werden können, indem sie sich beteiligen. Die Fetischisierung der Ware Kommunikation konnte nur deshalb so weit kommen, weil zuvor der Kapitalismus alle echten sozialen Beziehungen und die verschiedensten Formen der sozialen Kohäsion, ob auf der Ebene der organischen Communities oder auf jener der sich selbst als solche wahrnehmenden Klassen, zerstört hat.

Der moderne Mensch ist sprichwörtlich der oder die Einsame in der Masse. Damit haben sich die Möglichkeiten bewussten solidarischen Handelns massiv eingeschränkt. Nachdem die Gemeinschaft zerstört und somit ein künstlicher Mangel geschaffen wurde, kann uns nun genau dieser Mangel wieder als Produkt verkauft werden, als "Soziales Netzwerk", oder wie man im angloamerikanischen Raum immer häufiger sagt, als "Social Media". Da wir bereits gelernt haben, uns selbst, oder zumindest einen großen Teil unserer Lebenszeit als Arbeitskräfte auf dem Markt zu verkaufen, sind wir es schon gewohnt, als Dinge neben uns selbst zu treten.

Nun werden jene Aspekte unseres Daseins, die bisher noch nicht verdinglicht waren, als Social Media, und zwar von uns selbst und das auch noch freiwillig, zu Markte getragen. Was Walter Benjamin über die Ästhetisierung des Krieges schrieb, dass diese es uns nämlich erlaube, unsere eigene Vernichtung als Spektakel zu genießen, wird hier auf die Kommunikation angewandt. Die sozialen Medien erlauben es uns, die Auslöschung authentischer sozialer Beziehungen als unterhaltsames Spektakel zu konsumieren.

Das Training dazu erfolgte durch das ehemalige Leitmedium Fernsehen, das uns die Verdinglichung der sozialen Verhältnisse permanent vor Augen geführt hat: Doch im Massenmedium Fernsehen, das als Sender zu vielen EmpfängerInnen spricht, war ein (Ohn-)Machtverhältnis verankert, dessen Aufhebung die sozialen Medien versprechen. Indem sie angeblich Partizipation ermöglichen, also sozial gleichberechtigte und auch technisch symmetrische Kommunikationen, wird der Eindruck erweckt, dass die formale Ungleichheit, die in der Einwegkommunikation des Fernsehens besteht, beseitigt wurde. Doch die vorgebliche "Befreiung" aus der Ödnis der medialen Einwegkommunikation wird zugleich wieder als neue Ungleichheit auf der Ebene von NutzerInnen und ProduzentInnen/Hosts der Plattform eingeführt. Die immaterielle und affektive Arbeit der Nutzerinnen und Nutzer von sozialen Medien wird zum Profit der Investoren verwandelt. Der Fetischcharakter der Ware Kommunikation wird damit nicht beseitigt, sondern auf eine neue Stufe gehoben.

Wenn das Web mit Liebesaugen winkt

Das Netz - und nicht bloß das Web -, also E-Mail, Mailinglisten, FTP-Server, private Homepages, Newsgroups und Web-Foren ermöglichten symmetrische und reziproke Formen der Kommunikation in offenen, dezentralen Systemen. Auch in diesen vernetzten Kommunikationen gab es bereits Macht- und Schwerpunktzentren, besonders attraktive - klebrige, süchtig machende - Sites, von mächtigen "Kapitalinteressen" betriebene Sites wie das frühe Yahoo, Netscape und Altavista, doch der Warencharakter der Kommunikation hatte sich hier noch nicht völlig durchsetzen können, war mehr Wunschdenken der Risikokapitalisten als Wirklichkeit gewesen.

Der Warencharakter der zwischenmenschlichen Kommunikation konnte sich erst voll entwickeln, indem durch die sozialen Medien eine neue Einfriedung vorgenommen wurde, indem sich diese Medien vom Internet abkapselten und durch das Gebrauchswertversprechen des erfüllten Sozialdaseins - mit ihren Liebesblicken - Millionen Menschen (250 Millionen sind es derzeit angeblich bei Facebook allein) auf den Leim gehen ließen.

Das soll nicht heißen, dass über Facebook keine sinnvollen Kollaborationen hergestellt werden können. Dieses "Medium im Medium" kann praktisch sein, um eine Demonstration zu organisieren oder eine Konferenz zu bewerben, oder eine Party, oder ein Produkt. Diese Offenheit von Facebook, das bisher, so weit bekannt ist, davon abgesehen habt, Nutzergruppen zu diskriminieren, ist auch seine Stärke, weil es damit das Kriterium Nummer eins am besten erfüllen kann, die maximale Nutzerzahl an sich zu binden. Insofern macht es Facebook auch gar nichts aus, wenn sich UserInnen, um das System zu "unterwandern", mit falschen Namen oder mehrfach registrieren. Hauptsache, sie registrieren sich.

Hinter dieser quantitativen Nutzermaximierung - denn es gilt: Nutzerzahl = spekulativer Geldwert der Plattform - verbirgt sich eine qualitative Maximierung. Plattformen wie Facebook betreiben Relationship Mapping und soziale Clusteranalyse. Mittels ausgetüftelter mathematischer Verfahren werden die Beziehungen zwischen Usern erfasst und miteinander verglichen. Resultat dessen ist nicht nur, dass den NutzerInnen "neue Freunde" vorgeschlagen werden können, sondern, erstens, eine unglaubliche Konzentration von Wissen und Macht in einer Hand; zweitens ein neues Stadium der Entfremdung und Verdinglichung; und drittens eine neue Phase der Akkumulation, der Umwandlung von sozialem in reales Kapital.

Problematisch daran ist nicht nur der "Verlust der Privatsphäre", sondern die Perfektionierung dessen, was David Lyon als "social sorting" (soziale Auswahl) bezeichnet. Die soziale Netzwerkanalyse, die mittels einer Datensammlung wie der von Facebook betrieben werden kann, ermöglicht mit militärischer Präzision festzustellen, wer mit wem in Verbindung steht und wer welche Interessensgebiete hat. Dieses Wissen hat ein Missbrauchspotenzial, das schon kaum mehr in Worte zu fassen ist. Von der Auskundschaftung und Vernichtung oppositioneller Gruppen, wie sie via Facebook angeblich bereits geschehen ist, bis hin zu personengenauen Analysen, die für Marketing, Wahlwerbung, Job-Recruitment (oder dessen Gegenteil) herangezogen werden können, ermöglicht dieses Wissen die Steuerung sozialer Prozesse und die Ausführung diverser Kontrollfunktionen in Mikro- und Makrobereichen des gesellschaftlichen Lebens. Potenziell ist damit die Zugriffsmöglichkeit auf und Adressierbarkeit des Einzelnen über sein Soziales Netzwerk gegeben - vor allem für den Fall, dass wir tatsächlich einmal kollektiv, ökonomisch oder politisch aktiv werden.

Der zweite Punkt ist mit diesem ersten verknüpft. Indem wir uns in diesen Netzwerken tummeln, einander Freundschaftsdienste erweisen, auf Angebote zur Kommunikation antworten oder mit Liebesaugen nach neuen PartnerInnen schielen, erlauben wir es, uns von der Modellierung der Subjektivität formen zu lassen, die von der Warenästhetik der sozialen Netze ausgeübt wird. Haug's Technokratie der Sinnlichkeit wird zu einer Technokratie der Soziabilität weiter entwickelt. Die von den unermüdlichen Software-Agenten produzierten digitalen Repräsentationen von uns und unseren Beziehungen lösen sich potenziell von uns selbst ab wie die Schatten in Haruki Murakamis Roman Hardboiled Wonderland.

Unser Schatten im Netz löst sich von uns selbst

Es wird, wahrscheinlich zurecht, vermutet, dass mit den Netzwerkanalysen in Form von Graphen Handel getrieben, dass also NutzerInneninformation weiterverkauft wird. Die digitalen Repräsentationen unseres sozialen Verhaltens sind also nicht nur fiktives "soziales Kapital", sondern das eigentliche Produkt, das monetarisiert wird.

Diese reale Verdinglichung der sozialen Beziehungen steht in einem seltsamen Verhältnis zum "sozialen" Aspekt dieser "Medien". Die fortwährende Adressierung des "sozialen" Elements drückt sich in Namensgebungen aus, die "uns" in den Mittelpunkt stellen: ob MySpace, iPod oder YouTube, es wird immer so getan, als würden wir, der oder die Einzelne, im Mittelpunkt stehen.

Das tun wir gewissermaßen tatsächlich. Wir stehen nämlich im Mittelpunkt genauester Datenanalysen, der fortgeschrittensten chaos-, komplexitäts- und systemtheoretischen Analyseinstrumente, zu denen sich der Informationskapitalismus aufschwingen konnte.

Das korrespondiert auf merkwürdige Art damit, dass sich niemand mehr als einer Klasse zugehörig definiert. Einer kürzlich erhobenen Umfrage zufolge glauben 90 Prozent der Amerikaner, keiner besonderen Klasse anzugehören. Indem uns erfolgreich eingeredet wurde, Teil einer iSociety oder MySociety zu sein, einer Nicht-Gesellschaft von selbstzentrierten Glückssuchenden und Zweckrationalisierern, haben wir als soziale Wesen kapituliert. Die Suggestion der Individualität korrespondiert direkt mit der Simulation des sozialen Seins im Sozialen Netzwerk. Indem die Sozialen Netzwerke zum Fetisch werden, stellen sie den ästhetischen Schein der Kommunikation über deren ethischen Inhalt.

Als "TeilnehmerInnen" in Sozialen Netzwerken entledigen wir uns eines der wertvollsten Güter, das direkt aus unserem Menschsein erwächst, der Möglichkeit zur Freundschaft und der daraus erwachsenden Großzügigkeit, die über Kosten-Nutzen-Kalkulationen hinausgeht, der Möglichkeit zum solidarischen Handeln im kleinen und größeren Kreis, der freien Assoziation zwischen Fremden auf der Basis gemeinsamer ethischer Werte und vieler anderer Optionen mehr.

Selbstverständlich geht es nicht darum, einen authentischen Urzustand vor den "bösen" Sozialen Netzwerken zu retten. Die Tendenz zur Verdinglichung des Sozialen ist schon mindestens so alt wie der Kapitalismus. Auch kann es von kurzfristigem taktischem Vorteil sein, Facebook oder ein anderes "soziales Medium" zu benutzen, und es kann sogar "Spaß" machen. Doch es muss klar sein, dass das einen Preis hat, dass wir damit unser soziales Sein wie eine Schicht von uns abstreifen und hergeben, es, für nichts quasi, dem Kapital überreichen, so dass es dann seine Gewinn bringenden Spiele treiben kann, über die wir dann wiederum mit Staunen in der Zeitung lesen, obwohl es doch unser eigener sozialer Mehrwert ist, den wir hier abgestreift haben und der uns plötzlich als sagenhafter Mehrwert von 15 Milliarden gegenübertritt.

Individualisierte UserInnen in der iSociety

Ebenso kann jemand kommen und sagen, dass doch niemand gezwungen ist, Facebook zu benutzen. Auf diesen sehr leicht zu machenden Einwand gibt es nur eine Antwort: genau, richtig! Das andere Internet gibt es nach wie vor, mit seiner Netzwerkschicht auf der Basis von TCP/IP, das eine offene Many-to-many-Kommunikation erlaubt, die Bildung von symmetrischen und dezentralen Netzwerken, die schwer zu kontrollieren sind und wo es wenig privilegierte Hubs für Abhör- und Kontrollmaßnahmen gibt; die Anwendungsschicht mit E-Mail, FTP, Usenet, HTTP und vielen anderen mehr, alles Systeme auf Basis offener Standards, die es ermöglichen, zu kommunizieren, Dateien auszutauschen und eigene Websites zu bauen; und, falls es jemand etwas komplexer will, Open-Source-Baukastensystemen mit denen dynamische Anwendungen im Web gebaut werden können.

All das existiert, wird auch genutzt, nur schreibt kaum jemand darüber, wohl weil es, wie sich bereits gezeigt hat, schwer zu monetarisieren ist. Kein Geld, kein Fetisch. Das allein sind schon zwei gute Gründe, dann doch lieber diese freien Dinge zu nutzen als die ummauerten Gärten der Sozialen Netzwerke.

Armin Medosch