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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 542 / 18.9.2009

Das Unternehmen Stadt kapern!

Aufruf zur Vernetzung stadtpolitischer Initiativen

Seit dem Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise im Herbst letzten Jahres ist viel vom "Ende des Neoliberalismus" die Rede. Als selbst im Wirtschaftsteil der FAZ der Staat als Retter des Kapitalismus ausgerufen wurde, schien der Zauber der Deregulierungs- und Privatisierungspolitik der 1990er Jahre endgültig gebrochen. Und die Rhetorik der großen Politik änderte sich schnell. Der neoklassische Sachzwang des Marktes und der klammen Haushalte wurde ersetzt durch einen keynesianisch anmutenden Sachzwang der Krisenintervention. Nach Jahren der Zurückhaltung wurde wieder Einmischung und Regulierung gepredigt.

Nach der Bundestagswahl aber kommt die Abrechnung. Hunderte von Milliarden, die für die Rettung der Finanzwirtschaft und der Industrie ausgeschüttet wurden, werfen dunkle Schatten auf kommende Haushaltsentwürfe. Statt mutiger Zukunftspläne für das "postneoliberale" Zeitalter drohen weitere und tiefere Einschnitte bei der Sozialpolitik und der öffentlichen Infrastruktur.

Wie ein solches "Ende des Neoliberalismus" aussehen kann, zeigt ein Blick in die jüngere Geschichte der Berliner Stadtpolitik. Dort führte die fatale Mischung aus neoliberaler "Metropolenpolitik" und dem Berliner Filz aus CDU, SPD und UnternehmerInnen der Banken- und der Baubranche zum Berliner Bankenskandal. Um die Bankgesellschaft Berlin vor einem drohenden Kollaps zu bewahren, gewährte der Senat eine Bürgschaft von 21,6 Mrd. Euro, die den Landeshaushalt bis heute belastet.

Das Argument der leeren Kassen war der Anlass und das Feigenblatt für die 2002 gewählte rot-rote Regierung, die neoliberale Politik ihrer Vorgängerin fortzusetzen - wenn auch gekleidet in eine sozial und freundlich daher kommende Sprache. Weiterhin entzog der Senat sozialen Einrichtungen Jahr um Jahr die finanzielle Grundlage, verschleuderte öffentliches Eigentum und belastete die Bevölkerung mit den Folgen der Privatisierung. Zudem minimalisierte er den Handlungsspielraum der Bezirke durch betriebswirtschaftliche Vorgaben und betrieb eine investorenfreundliche, auf Großprojekte und -events orientierte Stadtentwicklungspolitik. Das Berliner Vorgehen, die Krise der neoliberalen Stadtpolitik mit neoliberalen Mitteln zu bekämpfen, könnte nun Modellcharakter erhalten.

In Berlin hat diese Politik zu einer Renaissance stadtpolitischer Kämpfe geführt: die Initiative für ein Soziales Zentrum, die Berlin-Umsonst-Kampagne, die Räumung der Yorckstraße59 und die Besetzung des Bethanien, Mediaspree Versenken! und Squat Tempelhof waren nur die sichtbarsten zahlreicher Kämpfe und Initiativen, die temporär große Aufmerksamkeit erreichten und erste Erfolge verzeichnen konnten. Für langfristige Erfolge müssen lokale Kämpfe die lokalen Auseinandersetzungen mit einer Kampagne gegen die Rahmenbedingen auf höheren Politikebenen verbinden. Wenn sich z.B. lokaler Widerstand gegen steigende Mieten und den Ausstieg aus einer sozialen Wohnungspolitik regt, dann muss das bundesweite Mietrecht ebenso verändert werden wie der verhängnisvolle Glaube, öffentliche Wohnungsbestände seien ineffizient und rückständig.

Für eine breite stadtpolitische Bewegung

Wesentliche Merkmale neoliberaler Stadtentwicklung sind soziale Polarisierung, Gentrifizierung, strategische Gettoisierung und Privatisierung des öffentlichen Raums - und damit eine Spaltung nicht nur der Stadt und ihrer BewohnerInnen, sondern oft auch der sozialen Bewegungen. Sind dagegen Gemeinsamkeiten in Kontext und Themen der unterschiedlichen Kämpfe erkannt, ist eine Vernetzung lokaler Initiativen und Bündnisse auch über ihre jeweiligen Städte hinaus nötig. Gerade dort, wo die herrschende Stadtpolitik durch ähnliche Projekte und Strategien auffällt, können Protestbewegungen voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen. Nur so kann ausreichend Druck aufgebaut werden, um ein Wiederaufleben des neoliberalen Programms zu verhindern. Doch es gibt nur wenig Austausch zwischen Gruppen und Initiativen über Stadtgrenzen hinaus. Historisches Wissen - z.B. um staatliche Vereinnahmung von Bewegungen in den 1980er Jahren - ist in aktuellen Protesten kaum präsent. Und auch internationale Beispiele stadtpolitischer Proteste könnten die Bewegungen hier inspirieren: die Selbstorganisation von Obdachlosen in Frankreich, die wohnungspolitischen Proteste in Spanien, die Arbeit Sozialer Zentren mit Prekarisierten und MigrantInnen in Madrid, Barcelona oder Mailand oder die Right-to-the-City-Coalition in den USA.

Der Neoliberalismus ist ebenso wenig am Ende wie die neoliberale Stadt, solange es nicht starke soziale Bewegungen gibt, die nicht nur sein Ende herbeiführen, sondern auch soziale und emanzipatorische Perspektiven aufzeigen. Die Gelegenheit ist günstig - Zeit also, das von der Wirtschaftskrise angeschlagene Unternehmen Stadt zu kapern! Die bundesweite Veranstaltungsreihe "Unternehmen Stadt übernehmen", organisiert vom BUKO-Arbeitsschwerpunkt Stadt-Raum (ASSR), will einen Schritt in diese Richtung tun. Stadtpolitische Initiativen aus Frankfurt/Main, Leipzig, Bremen, Hamburg, Berlin und dem Ruhrgebiet haben diese Veranstaltungsreihe vorbereitet, die sich jeweils entlang von lokalen Themen und Auseinandersetzungen auf die Suche nach Mitteln und Wegen zur Abschaffung der unternehmerischen Stadt begibt. Gleichzeitig sollen praktische Verbindungslinien zwischen den lokalen Anlässen und Kämpfen ausgelotet werden. Und nicht zuletzt geht es darum, Alternativen zur neoliberalen Stadt zu erarbeiten - nicht am Reißbrett, sondern aus den aktuellen Auseinandersetzungen heraus. Wir möchten euch einladen, im Rahmen der Veranstaltungsreihe die Bedingungen und Perspektiven stadtpolitischer Konflikte zu diskutieren - und den Blick über den lokalen Tellerrand schweifen zu lassen. Denn eines ist klar: Der Kampf gegen Sozialabbau, Privatisierung und Standortlogik und für bezahlbaren Wohnraum für alle, für freien Zugang zu Nahverkehr, Bildung, Kultur, für eine radikaldemokratische Stadtpolitik hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn er von einer breiten stadtpolitischen Bewegung getragen wird.

BUKO-ASSR

Unternehmen Stadt Übernehmen! Veranstaltungen in Bremen (26.9.), Mülheim/Ruhr (23./24.10), Berlin (13./14.11.), Leipzig (14./15.11.), Hamburg (19.11.) und Frankfurt/M. (3.12.09), mehr Informationen unter www.buko.info