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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 543 / 16.10.2009

Die neue Cyber-Rechte

"Infokrieg" im Internet: Ein populistischer Kleinbürgeraufstand

Das Internet hat in den letzten zehn Jahren die gesellschaftliche Kommunikation erheblich verändert. Es hat zum einen das Informationsmonopol der Medien des Staates und Kapitals gebrochen. Die Blogger-Szene fordert den professionellen Journalismus heraus. Zum anderen erfreuen sich "soziale Netzwerke" zum Knüpfen von Bekanntschaften und Austausch von Meinungen wachsender Beliebtheit (siehe Themenseiten in ak 541 und den Artikel von Armin Medosch in ak 542). Diese Möglichkeiten machen sich reaktionäre und obskurantistische Gruppierungen mannigfacher Art zu Nutze. Im "Infokrieg" verbreiten VerschwörungstheoretikerInnen populistische Botschaften. AntisemitInnen und FaschistInnen sind mit von der Partie.

Facebook, MySpace, StudiVZ ... - für die junge Generation gehören solche virtuellen Gesellschaftsportale inzwischen zum Alltag. Auch das "Bloggen" ist populär geworden. Für die Technologien, die inzwischen einer breiten Masse von NutzerInnen auf einfachste Weise die interaktive Teilnahme an solchen Informationsnetzen ermöglichen, hat sich die Bezeichnung "Web 2.0" eingebürgert. Die Kehrseite der Medaille ist: Auch Leute, die im realen Leben aus guten Gründen Außenseiter bleiben, finden hier ihre zweite Chance. Wer im Web 2.0 unterwegs ist, begegnet nicht selten Personen, die mit missionarischem Eifer als kritische und unangepasste ZeitgenossInnen mit "eigener Meinung" auftreten und allerhand Besorgnis erregende Themen von Finanzkrise bis Schweinegrippe aufgreifen, zu denen sie "unabhängige Informationen" mitteilen, die von "den Herrschenden" verschwiegen würden.

Verwiesen wird dabei auf Quellen im Internet, die angeblich "unzensierte Nachrichten" und "freie unabhängige Meinungen" vermitteln. Sie tragen Namen wie Infokrieg TV, Alles Schall und Rauch, Politik Global, Secret TV, Wahrheitsbewegung oder gar Radio Utopie. Unter dem Schlagwort "Infokrieg" hat sich ein virtuelles Milieu entwickelt, das behauptet, für "Bürgerrechte" und "Informationsfreiheit" einzustehen. Die politische Tendenz dieser Bewegung ist für unbefangene LeserInnen schwer zu erkennen: Standard ist im Infokrieg-Milieu die Auffassung, der Gegensatz von "links" und "rechts" sei überholt, wesentlich sei vielmehr der Gegensatz zwischen "Mainstream" und "unabhängigem Denken".

Das virtuelle Milieu der VerschwörungstheoretikerInnen

Dieser in sich vielfach widersprüchliche "unabhängige" Informationsfluss, der in erster Linie Verschwörungstheorien transportiert, unterliegt natürlich keiner zentralen Steuerung. Aber es gibt einflussreiche Hintermänner, die politisch eindeutig rechts stehen, und zu den Nutznießern, die sich in dieses "alternative" Milieu einklinken, gehören auch Neonazis, die aus den Infokrieg-Quellen schöpfen und versuchen, sich in diesem Umfeld zu profilieren. Kernelemente der Infokrieg-Ideologie eignen sich bestens als Einstiegsdroge zur rechtsextremen Politisierung.

Die typische Themenpalette reicht von verschwörungstheoretischer "Globalisierungskritik", Enthüllungen über das geheime Wirken der "Hochfinanz", Darstellung der Anschläge vom 11. September 2001 als inside job von US-Geheimdiensten, Leugnung von Klimawandel und Energiekrise, Behauptungen über "Chemtrails" - angeblich versprühen Flugzeuge Chemikalien, um das Klima zu manipulieren oder die Bevölkerung zu schädigen (1) - bis hin zu Gesundheitsthemen aus der Sicht der "Alternativmedizin" und zu Esoterik und Pseudowissenschaft. Beispielsweise wird Skepsis gegen Schutzimpfungen als vermeintliches Verbrechen von "Schulmedizin" und "Pharmalobby" geschürt. Weit verbreitet ist die Forderung nach Entmachtung der Finanzeliten durch Rückkehr zur Goldbindung der Währung.

Die Bewegung der "Wahrheitskämpfer" (truthers) stammt aus den USA, wo der durch seine Verschwörungstheorien zum Thema "9/11" bekannt gewordene Journalist Alex Jones starken Einfluss ausübt. Jones, der sich selbst "libertär" nennt, gehört der altkonservativen Strömung der US-Rechten an, die in einem Interessengegensatz zu den mächtigen, in den Jahren der Bush-Administration tonangebenden Neokonservativen steht. Gegen den imperialistischen Globalismus der Neocons setzen die Paleocons auf ein eher selbstgenügsames, gegen das Einsickern "sozialistischer" Ideen aus Europa geschütztes Amerika im Geiste der Gründerzeit, gestützt auf Familie, Tradition, Religion, Recht auf Waffenbesitz, mit möglichst wenig zentraler Staatsmacht, gegen den Einfluss von "Intellektuellen", die das "christliche Menschenbild" untergraben, gegen die Machtkonzentration von Finanzinstitutionen, Konzernen und Geheimdiensten, gegen supranationale Strukturen. Gegen Bushs erwiesenermaßen auf Lügen gestützte Kriegspolitik hat sich hier eine Opposition von ganz rechts formiert, der Obama genauso verhasst ist wie sein bigotter Vorgänger.

Alex Jones glaubt fest an ein heimtückisches Komplott geheimer Eliten in Wirtschaft, Politik und Geheimdiensten zur Errichtung einer "Neuen Weltordnung" mit dem Ziel allgemeiner Versklavung. Dabei kann ihm wenigstens noch zugutegehalten werden, dass er kein Antisemit ist - was einige Verbündete vom rechten Rand ihm ankreiden. Auch hält Jones nichts von Esoterik. Das hindert seine deutschen Statthalter nicht daran, auf Infokrieg TV Werbung für den auf Verschwörungstheorien und Hokuspokus spezialisierten Kopp-Verlag zu machen. (2) Dessen Vertriebsprogramm umfasst auch Schriften aus dem Bereich der "braunen Esoterik". Die wichtigste Internetplattform dieser Szene heißt Secret TV, betrieben von dem Geschichtsrevisionisten und Antisemiten Jan Udo Holey (alias Jan van Helsing).

Querfront im Schlepptau der Gemüsetruppe

Eine erfolgreiche, breit rezipierte Koproduktion von Kopp-Verlag und Secret TV mit dem Scientology-Verein "Neue Impulse" ist der auf einer älteren Vorlage eines australischen Autors beruhende Trickfilm "Fabian - Gib mir die Welt plus fünf Prozent". Er soll die ökonomische Lieblingsdoktrin dieses Milieus veranschaulichen: die Kritik der "Zinswirtschaft" als Ursache allen Übels. Ein gieriger Goldschmied namens Fabian erfindet das Geld, um die bis dahin aus rechtschaffenen BürgerInnen bestehende Gesellschaft der Zinsknechtschaft zu unterwerfen und skrupellos auszubeuten. Das Kreditwesen wird nicht als Element der auf der klassenmäßigen Ausbeutung der Arbeitskraft beruhenden kapitalistischen Mehrwertproduktion erklärt, sondern als Resultat übler Machenschaften dämonisiert. Dass der Film das, was er verdeutlichen will, zugleich ad absurdum führt, indem er eine entwickelte Bürgergesellschaft vorgaukelt, die auf einfachem Warenaustausch beruht, bevor sie von fiesen Geschäftemachern versklavt wird, scheint schlichte Gemüter nicht zu stören. Auch NPD-AktivistInnen haben dieses Video verbreitet.

Zu den verschrobensten und doch populärsten Infokrieg-Agenturen im deutschsprachigen Raum gehört die in der Schweiz ansässige Blog-Plattform Alles Schall und Rauch. Hinter dem sich "Freeman" nennenden Betreiber steht laut einem von ihm zustimmend zitierten lokalen Pressebericht eine offensichtlich sektenhafte Gruppe, die zur Selbstversorgung Gemüse anbaut und dies als revolutionären Widerstand propagiert. Im öligen Predigerton erfahren wir hier, wie eine geheime Weltelite ihren "großen Plan" zur Verdummung und Knechtung der Menschheit umsetzt - und wie eine kleine Schar von Eingeweihten der schlechten und verdorbenen Welt trotzt.

Aufschlussreich sind die Kommentare der LeserInnen: Im Schlepptau der Gemüsetruppe formiert sich spontan eine Querfront von verschwörungstheoretisch angehauchten AntiimperialistInnen bis hin zu Holocaust-LeugnerInnen. Ein überdurchschnittlich gebildeter Kommentator empfiehlt die Rückbesinnung auf die "Vorstellungswelt der traditionalen vorindustriellen Gesellschaften, die auf einer harmonischen Ordnung, auf einem Einklang von Mensch, Gesellschaft und Natur mit dem göttlichen Schöpfungsakt basierte". Andere lieben es schnörkellos: "Demokratie ist die schlimmste Herrschaftsform aller Zeiten" und "Herrschaft des Geldadels". Aus "Mitteldeutschland" wünscht jemand "viel Liebe und Licht euch allen". Die Schall-und-Rauch-Gruppe versucht inzwischen, dieses Publikum über Konferenzen und Stammtische zu sammeln.

Durchweg ist zu beobachten, dass SchreiberInnen neonazistischer und völkischer Plattformen wie Altermedia oder Forum Germanicum die Nachrichten von der Infokriegerfront aufmerksam verfolgen und weiterleiten. Das gilt selbst für die Botschaften von CyberkriegerInnen mit "linkem" Selbstverständnis. Die MacherInnen von Radio Utopie etwa distanzieren sich von Rassismus, Antisemitismus und Neonazis, aber ihre Propaganda gegen "Globalisten" und "EU-Junta", "Parteiendiktatur" und "Systemmedien" teilt das im Kern rechtspopulistische Gesellschaftsbild des Milieus: Kritisiert wird nicht eine auf allen Ebenen von Widersprüchen durchzogene Klassengesellschaft, in der gesellschaftliche Produktion und private Aneignung, Rationalität und Partikularinteressen kollidieren, Konflikte ausgetragen und Koalitionen gebildet werden, sondern angeprangert wird eine "Elite", die das "Volk" lückenlos betrügt und manipuliert. Und im hermetisch geschlossenen Weltbild der VerschwörungstheoretikerInnen sind alle, die ihnen widersprechen, selbst AgentInnen der Verschwörung oder des "Mainstreams".

Zwergenaufstand eines frustrierten Kleinbürgertums

Soziologisch lässt sich der Infokrieg klar auf den Begriff bringen: als Zwergenaufstand eines frustrierten und verstörten Kleinbürgertums gegen die großen Machtzusammenballungen des globalisierten Spätkapitalismus. Die "Utopie" dieses Milieus ist die rückwärts gewandte Vorstellung von einer Gesellschaft von KleinproduzentInnen, mit Privateigentum und Marktwirtschaft ohne die Dominanz von Banken und Konzernen. Diese Kleinbürger-Utopie (zu deren historischen Modellen etwa die "Freiwirtschafts"-Theorie von Silvio Gesell zählt) lässt sich mit verschiedenen Inhalten füllen: von der Subsistenzwirtschaft der Schweizer Landkommune über Wertanlagen in solidem Gold statt Finanzspekulation bis hin zu volksgemeinschaftlichen und antisemitischen Konzepten. Bei der Benennung der Sündenböcke, denen die Zerstörung der heilen Welt angelastet wird, spielen die einfältigsten Teile der Szene das alte Potpourri: "Zionisten", "Freimaurer", "Illuminaten". Ansonsten gelten CIA und Mossad, "Hochfinanz" und Pharmaindustrie als Strippenzieher einer "Weltdiktatur", die uns alle restlos entrechtet - und doch ihre KritikerInnen erstaunlich unbehelligt gewähren und in Ruhe ihre Bio-Tomaten ernten lässt.

Bemühungen um Aufklärung über das Gebräu aus Kleinbürger-Populismus und völkischem Antiglobalismus, "Chemtrail"-Theorien und naturheilkundlicher "Impfkritik" gehen von unterschiedlichen Ansätzen aus. In der Esowatch-Enzyklopädie (www.esowatch.com) und im Forum Grenzwissen (forum.grenzwissen.de) engagieren sich seit Jahren Menschen mit hoher naturwissenschaftlicher Kompetenz für die Entkräftung des in der Infokrieg-Szene grassierenden pseudowissenschaftlichen Unsinns. Eine neue politische Initiative ist "Faschismus 2.0" (www.faschismus2.de).

Dass dieser neue Cyber-Populismus im realen Leben eine gefährliche politische Bewegung hervorbringen könnte, steht kaum zu befürchten, weil die einschlägigen Konzepte dafür zu wirr und irrational sind. Aber der ungute Einfluss auf eine politisch naive, nicht mehr von Traditionen realer sozialer Bewegungen geprägte Bloggerszene ist spürbar. Die Unterwanderung der neuen "sozialen Netzwerke" durch Infokrieg-PropagandistInnen stiftet Verwirrung und hält manch verunsicherte ZeitgenossInnen davon ab, vernünftige Wege kritischer Analyse und sozialer Opposition gegen die objektive Irrationalität unserer Krisenzeit zu suchen.

Henning Böke

Anmerkungen:

1) Zu diesem Thema hat die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag mehrere Anträge gestellt.

2) Ungeachtet seines strammen Antikommunismus bietet der Kopp-Verlag inzwischen einem in linken Kreisen prominenten Irrläufer Obdach: Der zur Karikatur seiner selbst abgesunkene Möchtegern-Volksfrontpolitiker Jürgen Elsässer schreibt für ihn Internet-Kolumnen. Elsässers "Volksinitiative gegen Finanzdiktatur" strebt den Aufbau gemeinsamer Stammtische mit verschiedenen Infokrieg-Gruppen an.