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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 543 / 16.10.2009

Aufgeblättert

Das Ende der Bonner Republik

Mit dem Mauerfall 1989 endet auch die Epoche der Bonner Republik - einer Republik, in der sich der Ministerberater Gregor Korff und Leo Münks, in wichtiger Position beim Kölner Verfassungsschutz, gut eingerichtet haben. Am Ende des Romans aber stehen die beiden Protagonisten an unerwarteten Punkten: Sie formen den Kern einer Unterstützergruppe, die für die Freilassung von Carl Schelling kämpft, einem flüchtig bekannten, ehemaligen Genossen von Leo, mit dem er einst nicht nur Studentenjahre in Berlin, sondern auch die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Parteiaufbauorganisation teilte. Schelling wird eines Tages nicht nur Leos Nachbar, er entpuppt sich auch als einer der Köpfe der Gruppe August Reinsdorf, die unregelmäßig die klandestine Zeitschrift res publica. eine zeitschrift für freie geister herausgibt. Die findet sich bald nicht nur immer wieder in Leos Briefkasten, er stellt auch fest, dass er sich mehr und mehr auf die Lektüre der geistreichen und witzigen Texte im Geiste eines libertären Anarchismus freut. So beginnt er, wichtige Informationen über die Gruppe, auf die er angesetzt ist, zu unterschlagen. Denn August Reinsdorf beschränkt sich nicht auf Worte - in der Tradition des Namensträgers, eines deutschen Anarchisten, der 1885 im Alter von 36 Jahren in Halle hingerichtet wurde, wollen ihre Mitglieder auch Reinsdorfs Attentat vollenden und ein Zeichen setzen gegen den neu erwachenden deutschen Nationalismus. Jochen Schimmangs neuer Roman überzeugt durch eine in sich geschlossene Geschichte und die facettenreiche Ausgestaltung seiner Figuren. Entlang der Entwicklung der Protagonisten und ihrer Gedanken über das eigene Leben in Alt und Neu erzählt Schimmang mit einer sehr eigenen und lesenswerten Perspektive über den Bruch von 1989.

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Jochen Schimmang: Das Beste, was wir hatten. Nautilus, Hamburg 2009. 320 Seiten, 19,90 EUR

Wehrmachtsmassaker an Kolonialsoldaten in Frankreich

Zwei Tage nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 erklärte Frankreich Deutschland den Krieg und mobilisierte schnell seine Armee, zu der auch mehrere Kolonialdivisionen gehörten. Schätzungen zufolge kämpften 1940 rund 63.300 Soldaten aus Westafrika in Frankreich. Neben den "Tiralleurs Sénégalais" befanden sich auch Männer aus Nordafrika, Madagaskar und Indochina an vorderster Front. Im Vergleich zu den weißen Soldaten starben besonders viele von ihnen. Raffael Scheck hat die Hintergründe dafür ausgeleuchtet. In seiner Studie, die nun ins Deutsche übersetzt wurde, dokumentiert er die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten 1940. Er demontiert damit die Legende vom "sauberen Westfeldzug" und zeigt das rassistische Denken und Vorgehen in der Wehrmacht. Vor allem für Mai und Juni 1940 belegt er für über 30 Orte Gewaltverbrechen an gefangenen schwarzen Soldaten - Erschießungen, Entzug von Nahrung und Wasser, Verstümmelungen, Hetzjagden. Aus einer großen Bandbreite von Quellen - Zeugenaussagen, Feldpostbriefe, Gefechtsberichte sowohl von deutscher wie auch von französischer Seite - zeichnet er ein sehr genaues Bild der Massaker in Frankreich. Er analysiert auch, wie es dazu kommen konnte. Die deutschen Offiziere hätten keinen Befehl erhalten, schwarze Kriegsgefangene zu erschießen, schreibt Scheck. Gleichwohl hätten sie sicher sein können, dass die Gewalttaten von den Behörden nicht verfolgt würden. Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen übrigens ermittelt in der Sache seit 2006, nachdem Raffael Scheck einen Artikel zum Thema veröffentlicht hatte. Ein Verfahren ist aber bis heute noch nicht eröffnet worden.

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Raffael Scheck: Hitlers afrikanische Opfer. Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten. Aus dem Englischen von Georg Felix Harsch. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2009, 200 Seiten, 20 EUR

Thema verfehlt: zum "Kampf der Erinnerungen" in Spanien

Angela Merkel hat sich die "Einzigartigkeit des Holocaust" auf die deutsche Fahne geschrieben und will die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs keineswegs bestreiten - bildet die daraus erwachsende (permanent erfüllte) moralische "Verantwortung" doch einen elementaren Bestandteil des Narrativs von der nachhaltig geläuterten "erwachsenen Nation".

In Spanien hat man offenbar noch keinen ähnlich attraktiven Gedächtnisdiskurs zu Bürgerkrieg und Franco-Regime entwickelt. Das scheint die Historiker Walter L. Bernecker und Sören Brinkman zu beunruhigen, denn sie fragen, warum Spanien in Sachen "Vergangenheitsbewältigung" ein so "markantes Gegenbeispiel" zur deutschen Norm darstellt. Eine Antwort auf diese - ohnehin falsche - Frage bleibt aus. Vielmehr wird klassische Sozial- und Ereignisgeschichte betrieben und dabei über weite Teile das Thema verfehlt: Knapp die Hälfte des Textes widmet sich der Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs und der frühen Franco-Herrschaft. Anschließend wird (ausschließlich!) die hegemoniale Gedächtnispolitik des franquistischen Regimes skizziert, schließlich der postfranquistische Erinnerungsdiskurs nach vertrautem Muster erzählte und das letzte Kapitel fragt sehnsüchtig: "Erinnerungskultur in Spanien: Auf dem Weg zur Normalität?"

En passant wird über Generationengedächtnisse spekuliert, über "Traumata" psychologisiert oder eine möglicherweise destruktive "Spaltung der spanischen Gesellschaft" durch konträre Narrative befürchtet. Abgesehen davon, dass Gesellschaften nun einmal vielfach "gespalten" sind, gibt es gerade angesichts des Spanischen Bürgerkriegs und seiner Nachgeschichte gute - politische! - Gründe für einen fortwährenden "Kampf der Erinnerungen". Erwartet hätte man daher eine gesellschaftspolitische Analyse konfligierender Gedächtnispolitiken seit dem Ende des Bürgerkriegs: Hegemoniale Narrative und Gegengedächtnisse, Motivationen für spezifische Deutungen und politische Funktionalisierungen von Vergangenheit. Doch mehr als eine zwischendurch immer mal wieder informative Überblicksdarstellung bietet das Buch nicht.

Cornelia Siebeck

Walter L. Bernecker/Sören Brinkmann: Kampf der Erinnerung. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2008, Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim 2008, 391 Seiten, 21,50 EUR

Keine Zwangsmitgliedschaft in der NSDAP

Eine scheinbar einfache Frage ist Gegenstand des von Wolfgang Benz herausgegeben Buches über die NSDAP und ihre Mitglieder: "Wie wurde man Parteigenosse?" Geschichtspolitisch umstritten ist sie dennoch, seitdem die NSDAP-Mitgliedschaft diverser Prominenter bekannt wurde, unter ihnen die Schriftsteller Siegfried Lenz, Walter Jens und Martin Walser sowie der Kabarettist Dieter Hildebrand. Der Welt-Redakteur Sven Felix Kellerhoff wendet sich in seinem Beitrag gegen die "Erfindung des Karteimitglieds" und die von einigen Betroffenen betriebene "Rhetorik des Herauswindens". Sein Befund, der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht: Die These, "ganze HJ-Jahrgänge seien möglicherweise ohne eigenes Wissen in die NSDAP übernommen worden", ist nicht haltbar, niemand ist in die Partei "hineingerutscht". In anderen Beiträgen werden grundlegende Fakten zusammengetragen, etwa über die Gliederungen der Partei, ihre Mitgliederentwicklung und Sozialstruktur. Ingo Haar räumt mit dem weit verbreiteten Vorurteil auf, die Massenerwerbslosigkeit hätte der NSDAP Scharen neuer Mitglieder zugetrieben: Erwerbslose Arbeiter wählten in der Regel nicht NSDAP, sondern KPD.

Js.

Wolfgang Benz (Hrsg.): Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder. FischerTaschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2009, 218 Seiten, 12,95 EUR