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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 543 / 16.10.2009

Die Linke nach der Wahl

Acht Stimmen zur Situation nach der Bundestagswahl

Nach den Wahlen 2009

27. September 2009: Mitten in der größten Weltwirtschaftskrise seit Jahrzehnten erringt Schwarz-Gelb eine Regierungsmehrheit. Angela Merkel (CDU) bleibt Kanzlerin, ab sofort mit Gudio Westerwelle (FDP) an ihrer Seite. Wo setzt Schwarz-Gelb die Axt zuerst an? Was macht die Opposition: Resozialisiert die Linkspartei die SPD? Kommt es am Ende gar zur Fusion 2.0 zwischen SPD und LINKEN - diesmal in der BRD? Und was sind die Folgen für die Bewegungen? Wir haben linke AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und Polit-Profis aus verschiedenen Spektren gebeten, für uns die Bundestagswahl zu kommentieren. Herausgekommen ist ein vielschichtiger Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und die politische Situation in der Bundesrepublik.

Unmut und Politikdistanz überwog bei dieser Wahl so sehr, dass die Zahl der NichtwählerInnen höher lag als sogar die der Union-WählerInnen. Trotzdem: Schwarz-Gelb konnte knapp gewinnen. Das, wofür diese beiden Parteien stehen, verheißt nichts Gutes, kann aber auch zu einer gesellschaftspolitischen Klarheit führen.

Der Erfolg der Partei DIE LINKE kann eine Stärkung der Linken insgesamt bedeuten. Damit werden die Möglichkeiten gestärkt, ein gewisses Maß an Realitätstüchtigkeit auch herrschender Politik zu erzwingen, linke Themen auf die öffentliche Agenda zu setzen und der Diskussion über gesellschaftliche Alternativen einen institutionellen Rückhalt zu verleihen.

Allerdings weist dieser Erfolg auch Tücken auf. Die Linkspartei hat zahlreiche frühere WählerInnen verloren und neue insbesondere von der Sozialdemokratie gewonnen. Diese könnten die sozialdemokratische Tendenz der Linkspartei und ihre Parlamentarisierung noch zusätzlich stärken, also die Gefahr, dass linke Politik stärker von FunktionsträgerInnen geprägt wird, die mit Blick darauf, als seriös, politik- und koalitionsfähig zu gelten, es für zu riskant halten, zu einer sozialistischen Transformationspolitik beizutragen.

Die Linkspartei wird vor der Herausforderung stehen, dass ihre Themen und Vorschläge sehr schnell von der nun ebenfalls oppositionellen SPD aufgegriffen werden. In mancher Hinsicht ist dies gut, muss die LINKE sich nun programmatisch deutlicher von sozialdemokratischen Positionen absetzen. In der gemeinsamen Opposition könnte auch eine rot-rot-grüne Koalition vorbereitet werden. Insofern sind die Verluste der SPD für die Linke insgesamt bedauerlich. Doch die Perspektive einer Koalition ist kein Selbstzweck, sondern macht nur Sinn, wenn die SPD sich substanziell nach links bewegt und den von ihr vertretenen Wert des demokratischen Sozialismus auch in konkrete Politik umsetzt. Ob eine solche Verschiebung stattfinden kann, hängt auch von Personalentscheidungen ab.

Nebensächlich für die Linkspartei ist keineswegs, dass sich auch die Grünen neu zu positionieren versuchen. Einige ihrer Vertreter fordern, dass die Grünen sich auf Kernthemen wie die Klimakrise konzentrieren sollen, um Angela Merkel und Guido Westerwelle unter Druck zu setzen. Ihre Ausrichtung auf die neue Mittelklasse werden sie nicht ablegen. Aber sie werden das Moment der Bewegung stärker hervorkehren und - wie die SPD - versuchen, nach links hin WählerInnen (zurück) zu gewinnen. Gesellschaftlich könnte also etwas aufbrechen, nicht zuletzt, weil die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme von der neuen Regierung nicht gelöst, sondern noch verschärft werden.

Alex Demirovic

Legitimation in der Krise

Die Aufregung ist groß. Bei der Bundestagswahl ging die SPD historisch in die Knie. Doch durch die Krise der ältesten Volkspartei Deutschlands gerät ein wesentliches Ergebnis der Wahl aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Nur 70,8% der Wahlberechtigten gingen zur Urne, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren es so wenige.

Als Jürgen Habermas 1973 sein Buch mit dem Titel "Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus" veröffentlichte, war zwar das Goldene Zeitalter der Nachkriegszeit bereits zu Ende, doch der keynesianische Optimismus und das Vertrauen in die Politik befanden sich auf ihrem Höhepunkt. Heute, inmitten der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte, sind die Legitimationsprobleme ganz real geworden.

Die Legitimationsprobleme der Gegenwart geraten nur über Umwege an die Öffentlichkeit, bleiben fast unsichtbar oder verpuffen geräuschlos. Zwar ist eine zarte Renaissance des Protestes zu spüren, doch dieser bleibt unstet und ohne zwingende Spitze. Erst durch die Demoskopie oder an Wahltagen kommt das Ausmaß der Unzufriedenheit ans Tageslicht. Der viel beschriebene Fahrstuhleffekt hat seine Richtung geändert - nach unten.

Bereits in den 1990er Jahren wurde sichtbar, dass vor allem Arbeitnehmerhaushalte die Verlierer des Finanzkapitalismus sind. Ihre Einkommen sinken, aber auch die Mittelschichten schrumpfen. Unsicherheit, Armut und Prekarität kehren in die Bundesrepublik zurück.

Gerade in den unteren Schichten sind die individuellen Ressourcen für modernen sozialen Protest wie Bildung, Selbstbewusstsein und Überzeugungskraft gering ausgeprägt. Viele neigen dazu, ihre Entfremdung vom System nicht in Dissidenz, sondern in Devianz auszudrücken. Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV waren die einzige Ausnahme in den letzten Jahrzehnten. Aber auch die Mittelschichten sind nur in Ausnahmefällen für Proteste zu gewinnen. Viele stehen ebenfalls auf der Rolltreppe, die nach unten fährt. Die einzige Chance auf Statuserhalt ist das Laufen, ja in der Regel das hektische Stolpern gegen die Fahrtrichtung. Da bleibt nur wenig Zeit, um nach links und rechts zu schauen.

Bislang sehen die BürgerInnen gelassen den Auswirkungen der Krise entgegen, sie sind fatalistisch geworden, nachdem man ihnen über Jahre das Lied von den Sachzwängen der leeren Kassen vorgesungen hat, die der Politik vermeintlich keine andere Wahl lassen. Jetzt konnte man zur Rettung der Banken plötzlich wieder Milliarden bereitstellen. Was aber passiert nach der Wahl, wenn der Staatshaushalt konsolidiert werden soll, wenn die Arbeitslosigkeit anschwillt und es für viele heißt: Für Euch ist kein Geld mehr da?

Oliver Nachtwey

Die große Stunde der Sozialdemokratie

Die tiefste Krise des globalen Kapitalismus seit Dekaden bescherte uns eine rechte Mehrheit bei den Bundestagswahlen. Schon eigenartig, wie diese Krise tickt: Viele unserer Warnungen wurden durch sie bestätigt. Seit Langem war es öffentlich nicht so einfach, den Kapitalismus radikal zu kritisieren. Doch statt großer Kämpfe erleben wir eine neue Welle des Korporatismus. Die Massen haben ihren Eigensinn. So wurde die Wahl zur großen Stunde der Sozialdemokratie. Das gilt aber nicht für ihre klassische Partei, die SPD. Sie befindet sich in der Falle der Schröder-Generation.

Nach der Agenda 2010 besitzt die SPD eine geringere sozialdemokratische Legitimität als die CDU unter der neuen Konsenskanzlerin Merkel. Das Ergebnis: Die sozialdemokratische Mitte wanderte zur CDU, die nach rechts Stimmen an die FDP verlor. In dieser Konstellation sollte man den Gegner weder über-, noch unterschätzen. Die neue Regierung wird zunächst nicht die Kraft haben, den großen Abrisshammer gegen den Sozialstaat zu führen. Dies würde die CDU bei der gegenwärtigen Stimmung dramatisch schwächen. Wenn die Krise allerdings die deutsche Wirtschaft substanziell trifft, wenn die Arbeitslosigkeit schnell und stark nach oben schießt, dann wird die Regierung den "Ausnahmezustand" bekommen, den sie braucht, um die letzten Strukturen des Sozialstaates in seinen Grundfesten anzugreifen.

Die Linke sollte nicht in Alarmstimmung verfallen, aber deutlich wachsamer sein. Der historisch einmalig starken parlamentarischen Linken droht ein Pyrrhus-Sieg. Der Druck, diese Regierung weg zu bekommen, wird die Partei DIE LINKE in Richtung "Regierungsfähigkeit" drängen. Bei der Wahl 2002 haben wir es schon einmal erlebt, wie Signale für eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene die damalige PDS an die Wand gefahren haben. Die italienische Erfahrung sollte hier eine Lehre sein: Die zu starke Kompromissbereitschaft der parlamentarischen Linken im Kampf gegen die Berlusconi-Regierung hat sie in eine historische Marginalität geführt.

Pedram Shahyar, attac

Die Illusionen über die SPD werden wieder stärker werden

Erstens: Der Zugewinn der FDP ist konsequent: In jeder Krise gibt es Leute, die glauben, sie könnten etwas gewinnen, völlig egal, ob das realistisch ist. Es ist naheliegend, dass ein großer Teil von denen FDP wählt. Viele von denen sind eigentlich CDU-AnhängerInnen, wie man bei den Erststimmen sehen kann. Gleichzeitig gewinnt die CDU auch Stimmen von SPD und LINKEN, und bei den wahlentscheidenden Themen nennen ihre WählerInnen als Zweites nach "Wirtschaft" "Gerechtigkeit". Die Union hat trotz Kanzlerinnenbonus verloren. Sie ist in einer ähnlichen Situation wie die SPD seit zehn Jahren und nicht mehr in der Lage, eine Politik zu machen, die für ihre gesamte Klientel überzeugend ist. Große Teile ihrer Wählerbasis orientieren sich anders. Dieser Effekt wird in den nächsten vier Jahren zunehmen. Das halte ich für eine positive Entwicklung.

Zweitens: Dass die Parteien "jenseits von Schwarz-Gelb" auch an Stimmen verloren haben, konnte nicht anders kommen: Wo keine Machtalternative ist, da geht auch keine Wählermehrheit hin. Aber wichtiger ist noch, dass es auch mit der Linkspartei keine ernsthafte Alternative gibt. Sie bietet als Programm lediglich das an, was die Sozialdemokratie in der Hochzeit des Sozialstaats ausgemacht hat, also in den 1960er und frühen 1970er Jahren. Das ist kein Programm, das aus einer emanzipatorischen, linken oder gar linksradikalen Sicht heraus überzeugend ist. Ein Programm, das tatsächlich Antworten auf die Fragen einer Ära nach dem Neoliberalismus geben könnte, stand nicht zur Wahl, eben auch nicht bei der LINKEN. Da sind wir in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten nicht weitergekommen.

Drittens: Gewerkschaften, manche NGOs und ein großer Teil der Kirchen könnten sich mit Bündnissen innerhalb der sozialen Bewegungen leichter tun als bisher, weil sie sich nicht mehr zur Rücksichtnahme auf die SPD verpflichtet fühlen. Gleichzeitig werden aber die Illusionen über die SPD als möglichen Partner wieder stärker werden, was ich für hochgefährlich halte. Die SPD bleibt eine neoliberale Partei.

Werner Rätz, ila

Es braucht starke Bewegungen

Für die außerparlamentarische und radikale Linke ist die Wahl der schwarz-gelben Regierung keine Katastrophe. Die SPD in einer fortgesetzten großen Koalition wäre keinerlei Sicherung gewesen gegen die weiteren Schritte des Sozialabbaus, die vielleicht nicht schon sofort in den Koalitionsverhandlungen, aber doch in absehbarer Zeit kommen werden.

Den selbstverschuldeten Absturz der SPD haben wir nicht zu bedauern, er ist nicht unsere Niederlage, weil diese Partei ihre linken Traditionen spätestens mit Hartz IV, der Rente mit 67 und den Bundeswehr-Kriegseinsätzen unwiderruflich verlassen hat. Die "SPD-Linke" wird keine Chancen haben, diese Entwicklung mehr als kosmetisch zu korrigieren.

Der Stimmenzuwachs der Linkspartei ist vor allem eine Folge der SPD-Schwäche. Er markiert keine wirkliche Linksverschiebung in der Gesellschaft, die über ein allgemeines Unwohlsein mit dem Kapitalismus hinausginge.

Veränderungen in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen spiegeln sich zwar mitunter in Wahlen, sind aber dennoch etwas ganz anderes als Parteiprozente und Koalitionsrechenspiele. Genau um die Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse muss es einer Linken, die sich selbst ernst nimmt, aber gehen. Diese Erkenntnis wird in den nächsten Jahren gegen all jene verteidigt werden müssen, deren Projekt vor allem das Zusammenschieben einer neuen rot-rot-grünen Parlamentsmehrheit sein wird.

Die Illusion der Linkspartei, die SPD könnte "re-sozialdemokratisiert" werden, wird sich schnell in ihr Gegenteil verkehren. Bereits ohne aktive Mithilfe der SPD findet jetzt statt, was etliche Leitartikler der Sozialdemokratie als neue Aufgabe zugedacht haben: Nach den Grünen nun auch die Linkspartei zu zähmen und kapitalkonform einzubinden.

Vom Standpunkt der außerparlamentarischen und radikalen Linken sind daher rot-rote oder rot-rot-grüne Regierungen ohne starke Bewegungen, die sie kontrollieren, die eigentliche Gefahr, die sich mittelfristig aus dem Wahlausgang ergibt. Genau auf diese Bewegungen - worauf auch sonst? - wird jetzt zu setzen sein. Drei Konfliktfelder deuten sich an: Atomenergie, weltweite Kriegseinsätze und Abwälzung der Krisenfolgen durch Mehrwertsteuererhöhung, Kürzungen bei der Gesundheitsversorgung oder Hartz IV.

An allen drei Fragen gibt es gute Chancen, viele Menschen zu mobilisieren, den Protest mit Formen zivilen Ungehorsams und direkten Widerstands zu verbinden und den Regierenden zu zeigen, dass eine Parlamentsmehrheit noch lange nicht heißt, dass ein Projekt gesellschaftlich durchsetzbar wäre. In der Unterstützung, Mobilisierung, Radikalisierung und Vernetzung der Bewegungen liegen deshalb jetzt die nächsten Aufgaben für organisierte Linke.

Christoph Kleine, aktiv bei
Avanti - Projekt undogmatische Linke

Nicht als rot-rot-grüner Steigbügelhalter gerieren

Die politische Gemengelage nach der Wahl ist unübersichtlich, auch für die außerparlamentarische Linke. Unstrittig dürfte sein, dass ab sofort zahlreiche Abwehrkämpfe ins Haus stehen - exemplarische Stichworte lauten etwa "Laufzeitverlängerung für Atommeiler", "forcierte Förderung der agrarindustriellen Gentechnologie" oder "Abwälzung der Krisenlasten auf die Allgemeinheit". Jener neuerliche Zyklus von Abwehrkämpfen ist nicht nur an sich problematisch, sondern auch deshalb, weil die gesellschaftliche Linke überwiegend schwächlich daherkommt.

30 Jahre neoliberaler Umbau der Gesellschaft haben in organisatorischer, personeller und intellektueller Hinsicht riesige Lücken gerissen - davon zeugt nicht zuletzt der Umstand, dass ausgerechnet die FDP aus der aktuellen Weltwirtschaftskrise als ideelle Wahlsiegerin hervorgegangen ist. Im Übrigen ist das auch der Grund, weshalb die außerparlamentarische Linke über die viel beschworene Krise der Repräsentation keineswegs frohlocken sollte.

Der Großteil der 30 Prozent NichtwählerInnen will von basisdemokratischer Partizipation nichts wissen - das gilt auch für die zwei Millionen SPD-AnhängerInnen, die den Wahlurnen ferngeblieben sind. Wenn überhaupt dürfte das diesbezügliche Potenzial von einer nach links gerückten SPD oder der Linkspartei aufgefangen werden.

Womit ein entscheidendes Stichwort erwähnt wäre: Vieles spricht dafür, dass die neue Regierung 2013 nur durch ein rot-rot-grünes Bündnis abgelöst werden könnte. Ein solches Projekt müsste jedoch von linker Seite offensiv in die Pflicht genommen werden, damit es tatsächlich einen Beitrag zur Verschiebung der gesamtgesellschaftlichen Kräfteverhältnisse leistet und nicht zu einem abermaligen Desaster à la Rot-Grün gerät. Dies wird nur gelingen, wenn sich die außerparlamentarische Linke nicht als rot-rot-grüner Steigbügelhalter geriert, sondern als unabhängige Kraft mit dezidiert linken Positionen sowohl in gesamtgesellschaftlichen Debatten als auch in konkreten Auseinandersetzungen aktiv wird.

Olaf Bernau/NoLager Bremen

Jetzt erst recht

Samstagnachmittag an einem der letzten Infostände vor der Wahl. Plötzlich taucht eine Horde von Neonazis auf und beschießt uns mit Wasserbomben und Zetteln. Nach fünf Minuten ziehen sie ab. Wie sie dachten, schnell genug. Doch sie irrten. Diesmal war die Polizei schneller, konnte die Hälfte fassen und nun haben die Nazis eine Klage wegen versuchter Körperverletzung am Hals. Auf ihren Zetteln stand u.a. "Wenn Wahlen etwas ändern könnten, wären sie verboten - Nationalsozialismus jetzt!" Schon krass, dass die braunen Typen Rosa Luxemburgs Zitat - aus dem Kontext ihrer sonstigen Ausführungen gerissen - einfach vereinnahmen.

Doch wer meint, es sei vollkommen egal, wer die Mehrheit im Parlament hat, irrt. Davon zeugen die ersten Meldungen nach der Wahl. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Union und FDP wollen einen neuen Anlauf zur Teilprivatisierung der Bahn unternehmen. Ein engagiertes Bündnis und letztlich eine entsprechende Mehrheit im Bundestag verhinderten vor einiger Zeit den schon geplanten Börsengang der Bahn.

Innerhalb der CDU wird zudem bereits über eine Lockerung des Kündigungsschutzes diskutiert. Der Kündigungsschutz wurde einst in harten Kämpfen erstritten und durch entsprechende Mehrheiten im Parlament eingeführt. Es bedurfte immer beides für gesellschaftlichen Fortschritt: sozialer Kämpfe außerhalb des Parlaments und einer entsprechenden Mehrheit im Parlament. Seit dem 27. September nun gibt es eine klare Mehrheit für einen Kurs Richtung Sozialabbau und Privatisierung im Bundestag. Der Zustand davor war wahrlich nicht optimal. Doch in der Großen Koalition mit einer SPD, die die Konkurrenz der LINKEN zu Recht fürchtete, gab es wenigstens gelegentlich die Bereitschaft, auf Proteste teilweise zu reagieren.

Unter Schwarz-Gelb ist mit einer Mauer der Ignoranz gegenüber sozialen Protesten zu rechnen. Es kommt nun darauf an, sich gegen Entmutigungen zu wappnen und an den Widerständen zu wachsen, in unseren Argumenten, Methoden sowie unserer Kampfeslust und perspektivisch den Boden für Mehrheiten zu bereiten, die tatsächlich für eine andere Politik stehen. Wie sagte doch schon Clara Zetkin so schön: "Haben wir auf alle Widrigkeiten nur eine Antwort: Jetzt erst recht."

Katja Kipping, stellvertretende Vorsitzende der LINKEN und Mitherausgeberin des Magazins prager frühling

Wahlen ändern nichts

Das LabourNet Germany titelte vor der Wahl "wenn Wahlen etwas ändern würden ..." mit einem Bildchen "Wer keine Wahl hat, hat die Qual". Allerdings sind wir der Meinung, dass wir die wenigen uns zugestandenen Rechte unbedingt wahrnehmen müssen, wenn wir mehr davon fordern wollen. Ein Gegenbeispiel erlebten wir vor Jahren in Nordrhein-Westfalen, als der Anspruch auf Bildungsurlaub - übrigens mit Akzeptanz des DGB - beschränkt wurde mit der Begründung, er würde eh kaum noch wahrgenommen.

Allerdings muss ich eine Korrektur vornehmen! Es ist leider doch nicht so, dass Wahlen gar nichts ändern. Allein das parteipolitische Engagement in der Linkspartei - auch ohne den Aufwand des Wahlkampfs - bindet viele Kräfte, die den sozialen Bewegungen und Protesten allerorts fehlen. Ich behaupte gar, dass die Fusion zur Linkspartei justament in dem Augenblick erfolgte, als ich meinte zu spüren, dass der Glaube an Stellvertreter - egal ob im Betrieb oder in der Politik - starke Risse bekam und zu dem erwünschten Eigenengagement aller Betroffenen hätte führen können.

Und diese Wahl konkret? Sie wird m.E. mal wieder und damit überflüssigerweise beweisen, dass politische Überzeugungen relativ sind. Eine in der Opposition befindliche SPD wird sich kaum noch erinnern wollen, die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze verbrochen zu haben. Der DGB und die Apparate der Einzelgewerkschaften haben das offenbar schon längst vergessen und können nun, da die SPD nicht mitbeteiligt ist, so richtig schön Sozialopposition spielen. Uns, als BasisaktivistInnen für soziale Grundrechte, wird dies allerdings wenig helfen. M.E. sollte gerade angesichts der Krise und der ganz sicher bald drastisch ansteigenden Massenerwerbslosigkeit und Massenarmut nicht mehr um jeden Arbeitsplatz, sondern um von der kapitalistischen Verwertbarkeit unabhängige Existenzsicherung und soziale Infrastruktur gekämpft werden - und dies weltweit, was alle Kämpfe gegen Armut, Hunger und Privatisierung vereinigen könnte. Genau dies wird die "neue Fundamentalopposition" aus SPD, Linkspartei und DGB, die sich abzeichnet und vielleicht gar fusionieren wird, ganz sicher nicht tun. Angesichts der noch erschwerteren Rahmenbedingungen wird noch "realpolitischer" um Lohnarbeit gekämpft, die längst keine Existenz sichert und vielfach überflüssig ist.

Und damit schaffe ich es, doch Recht zu behalten: Wahlen ändern nichts: Für unsere Rechte und Bedürfnisse müssen wir selbst kämpfen. Sie sind auch zu wichtig, um sie Stellvertretern zu überlassen.

Mag Wompel