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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 544 / 20.11.2009

Hurra, hurra die Uni brennt!

In Österreich protestieren Studierende gegen die Umstrukturierungen der Hochschulen

Seit dem 22. Oktober ist das Wiener Audimax, der größte Universitätshörsaal Österreichs, besetzt und dient als zentraler Raum für Diskussion, Arbeit, Lernen, Essen, Schlafen, Feiern und Organisation im Rahmen der österreichischen Studierendenproteste. Bereits zwei Tage länger ist die Aula der Akademie der Bildenden Künste in Wien besetzt, seit dem 23. Oktober die Vorklinik der Universität Graz, seit dem 27. Oktober der Hörsaal C1 am Campus der Universität Wien (der zweitgrößte Hörsaal Österreichs) sowie ein Hörsaal an der Technischen Universität Wien. Bisher wurden insgesamt Räumlichkeiten an zehn Universitätsstandorten in allen größeren österreichischen Städten von Studierenden angeeignet, und an zwei Aktionstagen demonstrierten mehrere Zehntausend Menschen in ganz Österreich.

Um zu verstehen, was es damit auf sich hat, müssen wir zunächst eine kleine Reise zurück zur Jahrtausendwende machen - denn damals wurde damit begonnen, jene Verhältnisse an den österreichischen Hochschulen einzurichten, deretwegen nun die "Unis brennen". Die FPÖ-ÖVP-Koalition war 2000 angetreten, um die bereits seit Mitte der 1990er begonnenen neoliberalen "Reformen" mit verstärkter Vehemenz und ohne sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Bremsklötze durchzusetzen. Der Bildungssektor war hierbei ein zentraler Hebelpunkt - es galt, Österreich fit zu kriegen für die Lissabonstrategie und deren Ziel, die EU bis 2010 zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt" zu machen. Den dafür notwendigen Restrukturierungen der Hochschulen stand jedoch das seit 1975 gültige Universitätsorganisationsgesetz im Wege: Ein Relikt aus Zeiten der sozialdemokratischen Alleinregierung, das recht weitreichende Mitbestimmung in Forschung und Lehre durch Studierende und akademischen Mittelbau ermöglichte. 2002 wurde deshalb ein Universitätsgesetz (UG 2002) verabschiedet, das die Universitäten in die "Autonomie" entließ - was nichts anderes bedeutete, als dass Universitäten sich fortan als eigenständige Dienstleistungsunternehmen verhalten sollten, während die politische Kontrolle seitens der Regierung über sogenannte "Zielvereinbarungen" (Management-Sprech für Budgetverhandlungen) gesichert bleibt. Demokratische Mitbestimmungsorgane wurden kurzerhand geschleift oder auf "beratende Organe" zurechtgestutzt und an allen neuralgischen Punkten der Hochschularchitektur monokratische Entscheidungsstrukturen eingesetzt. Dass der freie Hochschulzugang durch die flächendeckende Einführung von Studiengebühren auch ganz offiziell abgeschafft wurde, war in diesem Zusammenhang nur konsequent.

Symbolische Besetzung wird zur richtigen Bewegung

Dagegen kam es, maßgeblich organisiert von der ÖH (Österreichische HochschülerInnenschaft - offizielle bundesweite Vertretung der österreichischen Studierenden), zu breiten Protesten. Die Regierung verfuhr mit diesen jedoch ebenso wie mit Widerstand in anderen Bereichen: stur bleiben, aussitzen und darauf warten, dass den GegnerInnen die Luft ausgeht. Das gelang auf eindrucksvolle Weise, und die Niederlage der Protestbewegung von 2001/02 sollte sich in den kommenden Jahren entscheidend auf die politischen Kräfteverhältnisse an Österreichs Unis auswirken. Ihr Ergebnis war eine demoralisierte und zerstrittene studentische Linke und eine Studierendenschaft, die massenhaft eine prägende politische Erfahrung gemacht hatte - egal, wie sehr wir uns engagieren, egal wie viele Menschen wir auf die Straßen bringen: wir können Angriffe auf uns nicht abwehren, geschweige denn die Verhältnisse zu unseren Gunsten verändern.

Entsprechend bleiern war die Zeit danach für die universitäre Linke. Wo versucht wurde, Widerstand zu organisieren, stießen AktivistInnen und FunktionärInnen zumeist auf eine breite Front von Gleichgültigkeit und Resignation. Vereinfacht gesagt: Für die ProtagonistInnen der Bewegung von 2001/02 hatte sich studentischer Protest als untaugliches Mittel erwiesen; und diejenigen, die danach an die Unis gekommen waren, kannten die prä-UG-2002-Situation schlicht nicht mehr - zumal besonders gravierende Einschnitte wie die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudium erst nach und nach durchgeführt wurden. Es ist bezeichnend, dass der einzige politische Erfolg für Studierende in den letzten Jahren, die teilweise Abschaffung der Studiengebühren (1), nicht von einer Bewegung von unten erkämpft, sondern von SPÖ-Studierenden- und -Jugendorganisationen der eigenen Parteispitze abgerungen worden war.

Das wirklich erstaunliche an den gegenwärtigen Protesten ist also zunächst, dass sie überhaupt stattfinden. Was anfänglich als symbolischer Besetzungs-Akt auf die sich seit Jahren verschlechternden Studienbedingungen an den Universitäten aufmerksam machen sollte, gewann innerhalb weniger Tage eine gewaltige Eigendynamik. Denn die Studierenden verließen das Audimax nicht, sondern mobilisierten spontan per Handy, SMS, E-Mail, Twitter und Facebook immer mehr FreundInnen und KommilitonInnen - bis mehr als Tausend Studierende sich in dem und um den riesigen Hörsaal drängten, um ihrem aufgestauten Unmut Ausdruck zu verleihen. Schnell und spontan entwickelten sich Strukturen, zunächst um die praktischen Dinge einer Besetzung zu organisieren.

Wie können wir den eroberten Raum als Möglichkeit nutzen, um über die Zukunft unserer Uni zu diskutieren? Jede und jeder mit einer Idee dazu kann eine Arbeitsgruppe zu einem Thema gründen, hängt einen Zettel mit Titel, Ort und Uhrzeit an die Wand - und es finden sich interessierte DiskutantInnen. Wie können wir uns den Aufenthalt hier angenehmer gestalten? Eine Volxküche wird in einem angrenzenden Raum aufgebaut, ein weiterer Hörsaal als Schlafraum in Beschlag genommen. Wo können Informationen gesammelt werden? Ein Infopoint entsteht. Wie reagieren wir auf das entstehende Interesse der Medien? Ein Presseteam findet sich zusammen, dutzende Studierende in einem holzgetäfelten Raum, die über die Tage mit ihren Notebooks und Mobiltelefonen verwachsen. Die Liste könnte endlos weitergeführt werden - denn ständig entstehen neue Arbeitsgruppen, die von politisch-inhaltlicher Arbeit über Mobilisierungsaufgaben bis zu den Alltagsnotwendigkeiten der Besetzung alles organisieren. Zusammengetragen wird alles im großen Plenum, wichtige Entscheidungen werden dort von allen BesetzerInnen getroffen. Tagsüber werden im Audimax und den seither besetzten anderen Hörsälen alternative Lehrveranstaltungen, Diskussionsrunden, Filme, Theatervorführungen oder Workshops geboten, abends gibt's Kulturprogramm.

Die BesetzerInnen organisieren den Protest 2.0

Nun ist der Witz an spontan entstehenden Bewegungen, dass sie, nun ja, spontan entstehen. Ob, wie und wann ein punktueller Protest zum Fokuspunkt der Vielen wird, um den sich plötzlich die verschiedensten Forderungen knoten, lässt sich vorher nicht sagen. Fakt ist, dass die Besetzung des Audimax zu genau so einem Punkt wurde, an dem ausgehend von der Wut über ganz konkrete, den studentischen Alltag betreffende Zustände eine Reihe von Diskussionen angestoßen und Forderungen artikuliert wurden. Die Verbreiterung der Bewegung lässt sich also nicht nur räumlich verstehen, sondern umfasst auch eine inhaltliche Dimension, in der zumindest punktuell die unmittelbaren Interessen der Studierenden zugunsten von verallgemeinerungsfähigen Positionen überschritten werden konnten. Das zeigt sich in der Themenvielfalt der Diskussionen, die in den besetzten Hörsälen geführt werden, in der überraschend positiven Resonanz der Proteste in Teilen der bürgerlichen Medien und im Schulterschluss der Studierenden mit kämpfenden KindergärtnerInnen oder der sich in Lohnverhandlungen befindenden MetallerInnen-Gewerkschaft.

Das zeigen aber auch die von den BesetzerInnen ausgearbeiteten Forderungen. Die scheinen auf den ersten Blick pragmatisch, gar etwas langweilig formuliert zu sein. Doch wer genauer hinsieht, erkennt, dass die detailreich vorgetragenen Anliegen in ihrer Gesamtheit in völligem Gegensatz zur herrschenden europäischen Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte stehen. Gegen die Unterwerfung der Bildungseinrichtungen unter die Verwertungslogik wird die Möglichkeit des freien, selbstbestimmten Erarbeitens von Wissen gestellt ("Bildung statt Ausbildung!"). Gegen die autokratischen Entscheidungsstrukturen der "Dienstleistungsuniversität" wird die Einführung und Ausweitung demokratischer Mitbestimmung gefordert. Gegen die Abwälzung der systematischen Unterfinanzierung der Unis auf prekär angestellte Mittelbau-Angehörige wird die Entprekarisierung aller Beschäftigungsverhältnisse gefordert. Sicher, das ist kein sozialistisches Übergangsprogramm. Aber es ist ein Forderungskatalog, der am Beispiel der Universitäten durchdekliniert, wie eine politische Offensive gegen den Neoliberalismus aussehen könnte.

Die Bewegung hat die alten Niederlagen nicht miterlebt

Dabei sind die Proteste auch ihrer Form nach durchaus radikal. Sie entziehen sich nämlich den dominanten Mustern der (Post-)Politik, der Personalisierung und dem Stellvertretertum. Es wird darauf geachtet, dass keine Einzelpersonen als "VertreterInnen" der Bewegung auftreten, SprecherInnen für Interviews oder Diskussionssendungen werden gewählt und sollen nicht öfter als ein Mal öffentlich auftreten. Verhandlungen müssen, sollte es soweit kommen, öffentlich geführt werden - am besten gleich im besetzten Audimax, wie das Plenum in einem offenen Brief an das Uni-Rektorat und die zuständigen Regierungsverantwortlichen festgehalten hat. Diese repräsentationskritische Haltung birgt natürlich eine Reihe von Effizienzproblemen in sich und die Gefahr besteht, dass sich gerade durch das Fehlen von gewählten Strukturen informelle Hierarchien ausbilden. Die netzwerkartige Struktur hat aber zumindest bislang dazu geführt, dass die übliche Doppelstrategie von Kooptation und Repression seitens der offiziellen Politik ins Leere greift und sich auf der Suche nach den "Studentenführern" (sic!) lächerlich macht, während die BesetzerInnen den Protest 2.0 über Facebook, Twitter und Livestream aus dem Audimax organisieren.

Zwar spielen mehr oder weniger organisierte Linke eine wichtige Rolle in den Besetzungen. Die entscheidende Größe in der Zusammensetzug der Proteste sind aber junge, nicht organisierte Studierende, die zu Tausenden die Bewegung tragen und oft zum ersten Mal mit politischem Aktivismus zu tun haben. Entscheidend hierbei ist wohl, dass die allermeisten von ihnen die Niederlagen von 2001/02 noch nicht miterlebt haben; aber auch, dass die größten Grausamkeiten der Unireform, die damals nicht verhindert werden konnte, erst in den letzten ein bis zwei Jahren richtig zur Geltung kamen: drastisch unterausgestattete Unis, Durchsetzung von Bachelor- und Master-Studium, Verschulung der Studienpläne, Vernichtung studentischer Freiräume. Und da zugleich die Mitbestimmung abgeschafft worden war, hatte der Frust kaum ein Ventil, um sich in "geordnete Bahnen" kanalisieren zu lassen.

Selbstverständlich ist dies kein widerspruchsfreier Prozess - die Breite der Bewegung ist zugleich Bedingung für ihren bisherigen Erfolg und steter Quell interner Konflikte. So will eine bedeutende Minderheit innerhalb der Bewegung den eigenen Protest als "unpolitisch" verstanden wissen und ihn gegen "ideologische" Vereinnahmungen schützen. In dieser Logik ist das eigentlich zentrale Anliegen ein ausreichendes Angebot an Sitzplätzen in Seminaren, eine Problemlage technischer Natur und durch die Erhöhung der Uni-Budgets und effizientere Anmeldesysteme behebbar. Dass der gemeinsam beschlossene Forderungskatalog weit über diese Interessen hinausgeht, zeigt, dass diese Teile der Bewegung keinesfalls dominant sind - für die universitäre Linke sind sie aber eine permanente Herausforderung.

Wie die Bewegung sich weiter entwickelt ist bislang völlig unklar. Das liegt auch an der Ungleichzeitigkeit der inzwischen weit über Wien hinausreichenden Entwicklungen. Doch wie immer auch ein Exit-Szenario für die Besetzungen aussehen wird: Für die beteiligten Studierenden ist diese Bewegung wohl prägender und lehrreicher als alle Semester ihres Bachelor-Studiums zusammen. Sie sind Teil eines gigantischen Lernprozesses, sie erfahren die Mühsal gelebter Demokratie und die Freude, sich eigene, autonom organisierte Strukturen zu schaffen. Es wird für die nächste Zukunft nicht zuletzt darauf ankommen, ob diese Bewegung - im Gegensatz zu den vorhergegangenen - auch im Rückblick als Prozess der Selbstermächtigung und des Selbstbewusstseins erfahren wird.

Benjamin Opratko, Gruppe Perspektiven (Wien)

Anmerkungen:

1) Studierende aus Nicht-EU-Ländern sowie so genannte "Langzeitstudierende" müssen weiterhin Studiengebühren zahlen.

Immer aktuell: http://unsereuni.at