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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 544 / 20.11.2009

Ich habe den Krieg verhindern wollen

Eine neue Biographie des Hitler-Attentäters Georg Elser

Vor 70 Jahren, am Abend des 8. November 1939, explodierte im Münchner Bürgerbräukeller eine Bombe. Gelegt hatte sie der Handwerker Georg Elser, geboren am 4. Januar 1903 in Hermaringen (Kreis Heidenheim). Ziel seines Anschlags waren Hitler und die NS-Führung, die gemeinsam mit "Alten Kämpfern" den Jahrestag des gescheiterten Nazi-Putsches von 1923 feierten. Das Attentat war sorgfältig vorbereitet. In 30 Nächten hatte Georg Elser im Pfeiler hinter dem Rednerpult eine Zeitbombe installiert. Doch Hitler hatte, kurz bevor sie explodierte, früher als in den Jahren zuvor den Bürgerbräukeller verlassen.

Noch während Hitler redete, versuchte Elser, bei Konstanz unbemerkt in die Schweiz zu gelangen. Dabei wurde er verhaftet, an die Gestapo nach München ausgeliefert und dort nach schweren Folterungen zu einem Geständnis gezwungen. Die Gestapo suchte in endlosen Verhören nach den "Hintermännern", denn sie wollte nicht glauben, dass Elser allein gehandelt hatte. Nach langer Haft wurde Elser am 9. April 1945 im KZ Dachau ermordet.

Zum 70. Jahrestag von Georg Elsers Tat liegt jetzt eine völlig umgearbeitete und stark erweiterte Georg-Elser-Biographie vor. Der Biograph Hellmut G. Haasis hat aus seiner ersten Ausgabe von 1999 mit 280 Seiten nunmehr fast 400 Seiten gemacht. Seine zahlreichen Forschungsergebnisse der letzten Jahre fanden Eingang - allein 102 neue Erkenntnisse wurden verarbeitet und neues Bildmaterial beigefügt -, so dass von einem ganz neuen Buch gesprochen werden kann. Trotz seiner Materialfülle und seines wissenschaftlichen Wertes liest es sich äußerst spannend, fast wie ein Realkrimi.

Ausführlich geschildert werden die Lebensdaten des mutigen Schreiners von der Ostalb. Zudem bezieht Haasis ausgiebige soziale Milieustudien und Erläuterungen zum politischen Zeitgeschehen mit ein. Haasis gelingt es, die Gedankenwelt und Charakteristik Elsers sehr anschaulich darzustellen, vor allem anhand von Textanalysen der Verhörprotokolle, aber auch durch umfangreiche Zeugnisse von Zeitgenossen, Familie, Freunden und seiner Peiniger.

Elser war ein besonders weitsichtiger Nazi-Gegner

Legenden um Elser werden schlüssig widerlegt, die verschlungene Rezeptionsgeschichte Elsers erhellt. Im völlig neuen ersten Kapitel wundert sich Haasis zu Recht, dass selbst bei Wohlmeinenden Elser noch immer nur als "einfacher Schreiner" gilt, als "schlichter Handwerksgeselle". Darin sieht der Autor die Arroganz von KopfarbeiterInnen gegenüber HandarbeiterInnen, die aber gerade durch ihren Tatendrang und ihre Konsequenz den letztlich inkonsequenten Intellektuellen überlegen waren. Elser wird dargestellt als ein früher, weitsichtiger Hitlergegner mit großen geistigen und technischen Fähigkeiten.

Der Kriegstreiber kann nur mit Gewalt gestoppt werden!

Ausführlich reflektiert der Autor Elsers politische Position und Gedanken. Für ihn war er kein "kommunistischer Fanatiker", wie man nach dem Krieg meinte, um den frühen Warner vor dem Krieg zu diskreditieren. Er war ein libertärer, ein freiheitlicher Sozialist, der mit anderen zusammen ohne Hierarchie arbeiten wollte. Elser war das Gegenstück zum autoritären Menschen, insofern ist er sehr modern. Er übte gegen niemanden Zwang aus und respektierte Andersdenkende, aber er verschwieg seine Ablehnung des NS-Systems nicht.

Hier stellt Haasis ein ganz anderes Geschichtsbild dar, als dies der gegenwärtige Mainstream, etwa im Stuttgarter "Haus der Geschichte", präsentiert. Haasis kritisiert zu Recht, dass dort Veit Harlans Nazi-Propagandafilm "Jud Süß" und der ebenfalls aus Heidenheim stammende Wehrmachtsgeneral Rommel viel zu unkritisch dargestellt werden: "Seitdem wird das Licht um dieses ,Haus der Geschichte` immer dunkler. (...) eine Verherrlichung von Hitlers Lieblingsgeneral Erwin Rommel: ,Mythos Rommel`. Elser findet in dieser Geschichtspolitik keine Würdigung."

In dem ebenfalls neuen Schlusskapitel "Elsers Persönlichkeit - ein Rätsel?" entwirft Haasis ein tiefgehendes Psychogramm seines "Helden". Dabei stützte er sich auf Aussagen von Elsers Geschwistern nach 1945, die von den Geschichtsschreibern nie ernst genommen wurden. So Elsers großzügige Gesten, seine Selbstlosigkeit, sein Drang, anderen praktisch zu helfen, seine scharfe Beobachtungsgabe, seine Geduld, seine schauspielerische Fähigkeit, in widrigen Umständen durch Schweigen ungeschoren durchzukommen, nicht aufzufallen. Sogar Hitler bekundete ihm Respekt. Elsers Freundin Elsa, die acht Stunden von Hitler verhört wurde und hierbei mehrfach zusammenbrach, bestätigte, dass Elser ein geschickter, sehr intelligenter Tüftler war.

Elser war ein Handwerker und Einzelkämpfer, der früher als die meisten erkannte, dass der Kriegstreiber Hitler nur mit Gewalt gestoppt werden könne. Er passte in keine gängige ideologische Schublade. Seinen Widerstand begründete er in den Verhörprotokollen gegenüber der Gestapo in Berlin: "Die seit Herbst 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge. (...) Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte. Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter der Führung verstand ich die Obersten, ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser drei Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, die kein fremdes Land einbeziehen wollen und die für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden."

Heiner Jestrabek

Der Autor ist Gründungsmitglied des Georg-Elser-Arbeitskreises Heidenheim und Organisator von jährlichen Gedenkveranstaltungen.

Hellmut G. Haasis: Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser. Edition Nautilus, Hamburg 2009, 384 Textseiten, 33 Fotos, 19,90 EUR