Keine Gefahr von morgen, sondern Realität von heute
Die Südseeinseln im Klimastress
Sehr weit weg von Kopenhagen passiert bereits heute das, worüber in der dänischen Hauptstadt im Dezember als drohende Gefahr geredet werden wird: Im Südpazifik vollziehen sich gegenwärtig Entwicklungen, die anderen Weltregionen noch bevorstehen. Hier sind die ökologischen und sozialen Folgen des Klimawandels aktuelle Realität. Menschen wird ihre Lebensgrundlage entzogen; sie werden zum Hungern und zur Migration gezwungen, und sie müssen Konflikte austragen, für die sie nicht verantwortlich sind.
Der Klimawandel führt im Südpazifik schon heute zu einem Meeresspiegelanstieg und einer Häufung extremer Wetterereignisse, insbesondere tropische Wirbelstürme, aber auch Dürre. Zahlreiche Pazifikinseln sind extrem flach; sie erheben sich nur wenig über den Meeresspiegel (der höchste Punkt des Inselstaates Tuvalu liegt 1,50 Meter über dem Meer), und sie sind manchmal nur gerade eben hundert Meter breit. Sie sind daher stark gefährdet. Boden geht durch den Meeresspiegelanstieg verloren, Salzwasser dringt ein und kontaminiert die Süßwasserlinsen der Inseln; Gärten, aus denen sich die von der Subsistenzlandwirtschaft lebende Bevölkerung ernährt, bringen keinen oder nur noch unzureichenden Ertrag; das Ausbleichen der Korallenriffe führt zur Verminderung der Fischbestände und damit zur Reduzierung des Fischfangs. Ernährung und Versorgung mit Frischwasser sind gefährdet. Die Menschen werden zusehends abhängig von Hilfe von außen. Mittlerweile gibt es die ersten Fälle, in denen Inseln nicht mehr bewohnbar sind und Migration der einzige Ausweg ist.
Klimaveränderung als Fluchtursache
So müssen die BewohnerInnen der Carteret-Inseln, einer zur autonomen Region Bougainville in Papua-Neuguinea gehörenden Gruppe von Atollen, wegen des Meeresspiegelanstiegs auf die Hauptinsel Bougainville umgesiedelt werden. Eine Insel der Carteret-Gruppe ist bereits versunken, eine andere durch das Meer zweigeteilt. 60% der Landfläche gingen in den letzten Jahren verloren. Salzwasser zerstört die Gärten. Süßwasser wird knapp. Die Menschen können sich nicht mehr ausreichend ernähren. Taro, das Hauptnahrungsmittel, kann nicht mehr angebaut werden wegen der Versalzung des Bodens. Die BewohnerInnen sind angewiesen auf - nur sehr unregelmäßige - Hilfslieferungen von der Hauptinsel Bougainville. Und so mussten sie sich entschließen, nach Bougainville umzusiedeln.
Auf Bougainville selber ist Land knapp, die Lage nach einem lang andauernden Krieg nach wie vor instabil. Im April kamen die ersten UmsiedlerInnen von den Carterets auf Bougainville an, fünf Familien. Sie sollten den Boden bereiten für die anderen. Auf den Carterets leben rund 3.300 Menschen (auf Bougainville 200.000). Die katholische Kirche hat im Norden Bougainvilles Land für die UmsiedlerInnen bereitgestellt. Es stellte sich heraus, dass das Land nicht reichen wird, dass die von der Regierung zugesagte Unterstützung nicht oder erst mit Verzögerung kommen wird und dass die Einheimischen die UmsiedlerInnen nicht mit offenen Armen aufnehmen. Schon im Juli verließen drei Familien Bougainville wieder und gingen auf die Carterets zurück mit der Begründung, dass sie auf Bougainville nicht in Frieden leben könnten. Es war zu Konflikten über Land mit den neuen NachbarInnen gekommen. Es ist zur Zeit offen, was die anderen Carterets-BewohnerInnen machen werden und ob die Umsiedlung aller Menschen von den Carterets wie ursprünglich geplant bis 2012 abgeschlossen werden kann.
Die Leute von den Carterets haben Ende 2006 eine eigene NGO gegründet, Tulele Peisa, (das heißt so viel wie "Selbstbestimmt Wellen reiten"), die auf ihr Schicksal als "erste Klimaflüchtlinge der Welt" aufmerksam macht und internationale Solidarität und materielle Unterstützung einfordert. VertreterInnen von Tulele Peisa sind auf Speaking Tour in Australien gewesen und haben die australische Regierung um Hilfe ersucht, ohne Erfolg. Sie haben auch schon Deutschland bereist und dort vor (kleinen) Versammlungen gesprochen. In den letzten Jahren sind die Carterets sage und schreibe 15 Mal von Filmteams, JournalistInnen und anderen Medienleuten besucht worden, die die Story von den ersten Klimaflüchtlingen in die weite Welt tragen wollten. Genützt hat das den Menschen vor Ort bisher nichts. Internationale Aufmerksamkeit ist gut, bringt allein aber keine Lösung für die Betroffenen.
Einheimische und Umgesiedelte im Konflikt
Die Carterets sind im Südpazifik nicht der einzige Fall dieser Art. In Vanuatu, Salomonen, Kiribati und Tuvalu kommt es ebenfalls zu Umsiedlungen. Die Menschen können sich oft nicht mehr ausreichend ernähren; Sie leiden Hunger, wo Hunger bisher absolute Ausnahme war. Hervorgehoben sei außerdem, dass Land im traditionellen Kontext der südpazifischen Gesellschaften nicht nur von rein ökonomischer Bedeutung ist; Land ist kein Privateigentum, keine Ware, die gekauft und verkauft werden kann. Vielmehr ist das Land im kollektiven Besitz der lokalen Gemeinschaften inklusive der Ahnen und der ungeborenen Generationen; Land und Gemeinschaften bilden eine untrennbare Einheit. Land ist von zentraler kultureller und spiritueller Bedeutung. Verlust von Land ist für die Betroffenen die größte vorstellbare Katastrophe. Ein Bewohner von Babaga Island in den Salomonen drückt das so aus: "Sie sagen, wir sollen umsiedeln. Aber wir gehören diesem Land. Können wir etwa unsere Gräber mitnehmen? Wir sind ein Nichts ohne unser Land und unsere Ahnen" (zit. n. Oxfam 2009. The future is here: climate change in the Pacific. Oxfam Briefing Paper 2009). Wenn die Inselstaaten Tuvalu oder Kiribati (oder die Malediven, um ein anderes nicht-pazifisches, aber ebenso aktuelles Beispiel zu erwähnen) im Meer versinken, was absehbar ist, dann geht nicht nur Land unter, sondern Kulturen werden zerstört.
Die politische Führung und Regierungen dieser Inselstaaten befinden sich in einem Dilemma: zum einen müssen sie darauf bestehen, dass sie und ihre Leute da bleiben können, wo sie hingehören, weil alles andere Verlust von Souveränität und Identität bedeuten würde; zum anderen müssen sie zugleich darauf drängen, dass andere sich darauf vorbereiten, sie und ihre Leute aufzunehmen.
Das ist auf der diesjährigen Tagung des Pacific Island Forum, der Regionalorganisation für den Südpazifik, im australischen Cairns wieder deutlich geworden. Dort drängten die VertreterInnen der pazifischen Inselstaaten Australien, sich zu sehr viel drastischeren Einschnitten bei den Treibhausgasemissionen zu verpflichten als bisher zugesagt. Denn es ist klar, dass die bisherigen australischen Absichtserklärungen und alles, was auf dem internationalen Parkett zur Zeit an Reduktionszielen im Angebot ist, völlig unzureichend ist, um den Untergang von Tuvalu, Kiribati und anderen Inselstaaten zu verhindern. Die Pazifik-Staaten forderten ein Reduzierungsziel von 45% für Treibhausgase; Australien bot fünf bis 25% (Basis Emissionen 1990, Zieljahr 2020). Zugleich baten die pazifischen VertreterInnen Australien und Neuseeland, sich auf die Aufnahme von Klimaflüchtlingen aus dem Pazifik vorzubereiten. Australien hat in beiden Punkten diplomatisch konziliant (schließlich wollen wir ja alle gemeinsam das Klima retten; aber Australien soll zugleich Weltspitze beim Export von Kohle bleiben), aber dennoch bestimmt, die PazifikinsulanerInnen abblitzen lassen - und das nicht zum ersten Mal. RegierungsvertreterInnen Tuvalus zum Beispiel haben mehrfach seit 2001 die australische Regierung mit Anfragen zur klimabedingt nötigen Umsiedlung konfrontiert - stets mit negativem Bescheid. Auch dem dritten Ansinnen aus dem Pazifik, nämlich Unterstützung bei Anpassungsmaßnahmen zu leisten (Regenwassertanks, Küstenschutz u.ä.), wurde seitens Australiens nur mit recht mickrigen finanziellen Zusagen begegnet (150 Mio. AUD). Fazit: Die pazifischen VertreterInnen konnten sich - wen wundert's? - in Cairns nicht durchsetzen. Das Abschlusskommuniqué und der ebenfalls verabschiedete "Pacific Leaders Call for Action on Climate Change" bleiben völlig schwammig.
Die Verursacher im globalen Norden schotten sich ab
Den pazifischen PolitikerInnen bleibt nichts anderes übrig, als säuerlich gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Man ist auf Australien in vielfältiger Weise angewiesen, und die Machtungleichgewichte sind einfach zu groß. Tuvalu und Kiribati könnten zum Beispiel mit Recht argumentieren, dass Klimawandel und Meeresspiegelanstieg einen Angriff auf ihre nationale Souveränität und territoriale Integrität bedeuten, und dies zu einer Frage nationaler Sicherheit erklären. Nur: Wer genau ist der Aggressor? Und wo ist der UN-Sicherheitsrat, der einer solchen Argumentation folgen und daraus praktische Konsequenzen ziehen würde? Angesichts der Kräfteverhältnisse ist nicht zu erwarten, dass sich Kiribati und Tuvalu - auf sich allein gestellt - auf einen Gewaltkonflikt einlassen werden, um das Überleben ihrer Bevölkerungen zu sichern, obgleich sie einem massiven Angriff auf ihr nationales Territorium ausgesetzt sind.
Und so bemühen sie sich denn auf dem diplomatischen Parkett. Die pazifischen Inselstaaten waren und sind besonders aktiv, um bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen das Thema Klimawandel ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Zusammen mit den anderen kleinen Inselstaaten der Welt, mit denen sie sich in der Alliance of Small Islands States - AOSIS - zusammengeschlossen haben, drängen sie auf einschneidende und nachhaltige Maßnahmen zum Klimaschutz. Das wird auch in Kopenhagen wieder so sein. Sie sind allerdings schwache Player auf dem internationalen Feld, und, wie bekannt, sind die starken Player auch die Hauptverursacher der Klimakatastrophe und die klimapolitischen Bremser. Und so ist vorhersehbar, dass die Inselstaaten in Kopenhagen ähnlich abgespeist werden werden wie schon in Cairns.
Das Beispiel der Pazifik-Atolle zeigt, dass in den ökologisch sensitiven Armutsregionen des globalen Südens jene Konflikte, die auf die Auswirkungen des Klimawandels zurückzuführen sind, im lokalen und regionalen Rahmen zwischen den Opfern einer Entwicklung ausgetragen werden, für die die Ökonomien und Gesellschaften des globalen Nordens die Hauptverantwortung tragen. Als Information sei nachgetragen: Auf den Carteret-Inseln gibt es keine Autos und keinen Strom aus der Steckdose. Dabei handelt es sich bei den angeführten Fällen aus dem Pazifik gegenwärtig (noch) um relativ kleine Konflikte, die jeweils nur wenige Hundert oder wenige Tausend Menschen betreffen. Doch künftig kann das Problem ganz andere Dimensionen annehmen.
In Afrika werden die Küstenregionen von Moçambique, Tansania und Angola sowie küstennahe Megastädte wie Lagos in Nigeria besonders vom Meeresspiegelanstieg betroffen sein. Das dicht besiedelte und fruchtbare Nildelta ist ebenso gefährdet wie die dicht besiedelten Küsten Chinas. Das arme und bevölkerungsreiche Bangladesh (höchste Bevölkerungsdichte der Welt), das im internationalen Vergleich minimale Verantwortung für die Treibhausemissionen trägt, wird eines der am härtesten vom Meeresspiegelanstieg betroffenen Länder sein. Etwa die Hälfte der Bevölkerung Bangladeshs lebt in Gebieten, die weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel liegen. In den letzten Jahren haben sich Überschwemmungen gehäuft und intensiviert und enorme Schäden angerichtet. Immer mehr Menschen müssen weichen. Schon hat die erzwungene Migration aus gefährdeten Küstengebieten zu Gewaltkonflikten im Zielgebiet der Klimaflüchtlinge geführt, in Bangladesh selbst in den Chittagong Hill Tracts mit der dortigen indigenen Bevölkerung, aber auch im benachbarten Nordosten Indiens.
Mit derartigen "Folgekonflikten" des Klimawandels zwischen MigrantInnen und einheimischer Bevölkerung ist auch andernorts künftig verstärkt zu rechnen. Bei ungebremstem Klimawandel kann in den nächsten Jahrzehnten nach Schätzungen des IPCC die Zahl der Klimaflüchtlinge auf 150 bis 200 Millionen steigen. Diese Klimaflüchtlinge werden oft gezwungen sein, in Regionen auszuweichen, in denen sie nicht willkommen sind, wie die bedauernswerten Familien von den Carterets-Inseln. (Gewalt-)Konflikte zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen werden die Folge sein. Die Verursacher der Krise hingegen werden sich in militärisch abgesicherten Festungen verschanzen. Das militarisierte EU-Grenzregime im Mittelmeer gibt darauf einen Vorgeschmack.
Vo