Handel macht Klima - Klima macht Handel
Karawane von der WTO-Ministerkonferenz in Genf zum COP15-Klimagipfel in Kopenhagen
Noch weiß niemand, wer sie füllen wird, die Straßen von Genf am 30. November 2009, wohl weder die nordamerikanischen Trade Unions noch die AktivstInnen des Direct Action Networks USA. Aber ähnlich wie vor genau 10 Jahren in Seattle werden wieder verschiedene Delegierte von Netzwerken und AktivistInnen von sozialen Basisbewegungen aus dem globalen Süden da sein: von Via Campesina bis Alianza Mundial de los Pueblos Indigenas, von Sea Fish for Justice bis Our World is Not for Sale (OWINFS). Wie schon in Cancun 2003 und Hongkong 2006, die Orte der letzten beiden WTO-Konferenzen, werden die AktivistInnen ihren Widerstand gegen Handelsliberalisierung und die Doha-Runde äußern und die Ausgliederung der Agrarabkommen aus dem WTO-Regelwerk fordern.
Der Widerstand gegen die Welthandelsorganisation WTO ist entgegen der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht weniger geworden. Es gab zwar kein zweites Seattle mehr, aber die Proteste in Cancun und Hongkong spielten für Bewegungen des globalen Südens und ihre Vernetzungsprozesse eine wichtig Rolle. Sie protestierten gegen Exportorientierung, Monokulturanbau, Saatgut- und Agrar-Multis und fordern die Unterstützung kleinbäuerlicher Landwirtschaft, das Recht auf Ernährungssouveränität und den Schutz ihrer Regionen vor Ressourcenabbau, Waldrodung und großen Infrastrukturprojekten.
Die Proteste richten sich zwar nicht ausschließlich gegen die WTO, sondern ebenfalls gegen die frisch erstarkten Bretton-Woods-Schwestern Weltbank, IWF und die verschiedenen regionalen Entwicklungsbanken. Dennoch wird in keiner anderen Institution so einseitig für Großkonzerne und ihre Interessen Politik gemacht wie in der WTO. Die negativen bis katastrophalen Folgen der WTO-Politik sind in vielen Ländern und für bestimmte Bevölkerungsgruppen täglich spürbar; für sie ist der Widerstand gegen die WTO mit dem Ziel konkreter Änderungen dieser Politik essenziell - so auch bei der 7. Ministerkonferenz Ende November in Genf.
Der Welthandel trägt mit seinem Ressourcenverbrauch, den Mobilitätsanforderungen und den Abgasen maßgeblich zum Klimawandel bei. Ein liberalisierter Weltmarkt mit seinen Warenströmen und Produktionsketten rund um den Globus ist klimapolitisch eine Katastrophe. Es ist gerade die Handelspolitik, die die industrialisierte Landwirtschaft - eine Hauptverursacherin von Klimagasen - gefördert hat und viele Kleinbäuerinnen und -bauern bankrott gehen ließ. Die Handelspolitik führt wegen Monokulturanbau und Exportorientierung zu Abholzungen von Urwäldern und anderen wichtigen Waldgebieten, Infrastruktur-Großprojekte werden wegen des steigenden Transport- und Energiebedarfs gebaut, und das globale Produktions- und Transportnetz verschlingt Unmengen an Energie und braucht im Schiffs-, Flug- und LKW-Verkehr auf unabsehbare Zeit fossilistische Energieträger wie Öl.
WTO-Konferenz in Genf am 10. Jahrestag von Seattle
Interessanterweise spricht aber in den Klimagesprächen niemand davon, dass die WTO in die Pflicht genommen werden könnte, den Welthandel auf ein klimaverträgliches Maß herunterzuschrauben. Im Gegenteil, die WTO darf weiterhin ihr wichtigstes Ziel uneingeschränkt verfolgen: die Steigerung des Welthandels und die weitere Liberalisierung (unter den Regeln der WTO). Denn - so das Credo - "je mehr Welthandel, desto mehr Wohlstand - für alle". An diesem neoliberalen Versprechen des "trickle-down" wird festgehalten, obwohl es ständig widerlegt wird: Hunger und Armut nehmen zu, die Schere zwischen reichen Metropolen und armen Peripherien, welche in allen Ländern, Regionen und Bevölkerungen existiert, klafft immer weiter auseinander. Es ist ein großer Erfolg der WTO und ihrer Lobbygruppen, dass der bestehende Welthandel und die WTO-Politik von den UN-Klimagesprächen für ein Post-Kyoto-Protokoll bisher ausgeklammert wurden. Und das soll in den Augen der WTO-BefürworterInnen auch so bleiben. Umso wichtiger ist es, kurz vor Kopenhagen ein deutliches Signal gegen die WTO zu setzen, die mit der Doha-Runde eine eigene Agenda weiterverfolgt - dies unbeeinflusst von der Lastenverteilung und den Reduktionszielen, die in den UN-Klimagesprächen diskutiert werden.
Allerdings gibt es umgekehrt zwischen UN-Klimagipfel und WTO-Tagung sehr wohl einen entscheidenden Zusammenhang: Durch die WTO-Regeln im Bereich Landwirtschaft, Dienstleistungen, Investitionen und TRIPS (Handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums) können ideale Bedingungen für den Emissionshandel, die Clean Development Mechanisms (CDM), die REDD-Programme (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) und ähnliche "Klimaschutz"-Regelungen geschaffen werden. Die allermeisten dieser momentan im UN-Klimaprozess diskutierten Regelungen beziehen sich auf Handel und Investition, deren Rahmenbedingungen seit über zehn Jahren in eben dieser WTO verhandelt werden. Soziale Bewegungen sowohl im Norden und mehr noch im globalen Süden sehen die UN-Klimaverhandlungen folgerichtig weniger als mögliche Umweltschutzabkommen, sondern vielmehr als Handels- und Investitionsverhandlungen an, gegen die entsprechend kritisiert und agitiert wird.
Es geht also um neue Märkte, auf denen Emissions-Zertifikate gehandelt werden. Es geht um Technologietransfer und Effizienzsteigerung in der Energieproduktion, und es geht um einen Haufen Geld: 200 Milliarden Dollar an Investitionen in grüner Technologie seien nötig, um den Anforderungen von Produktionsteigerung und entsprechend höherem Energieverbrauch "klimaneutral" gewachsen zu sein, sagt die UN. Da kämpfen die StaatsdienerInnen und Regierungschefs in den Verhandlungen vor allem darum, von diesem Kuchen möglichst viel abzukriegen für "ihre" Großkonzerne. Die BRD ist zum Beispiel als einer der Marktführer für erneuerbare Energie ganz vorne mit dabei. Und genauso wie der Finanzwächter IWF, ausgestattet mit Milliarden von Dollar und weiteren Regulierungsmitteln, uns wieder aus der Finanzkrise bringen soll (und damit ein Mitverursacher der Krise zum Retter erklärt wird), so wird die WTO durch die neuen Märkte und Handelsvereinbarungen, die in den UN-Klimagesprächen geschaffen werden, gestärkt hervorgehen.
Und was hat die WTO mit Klima zu tun?
Somit bietet sich nicht nur thematisch, sondern auch bewegungspolitisch die Verknüpfung von Welthandel und Klimawandel an, was auch in der Mobilisierung zu Gegenaktivitäten sowohl in Genf als auch in Kopenhagen sichtbar werden soll. Die Bus-Karawane "Handel macht Klima - von Genf nach Kopenhagen, Alternativen aufzeigen" will genau zu dieser Verknüpfung einen wichtigen politischen und logistischen Beitrag leisten. Für über 50 RepräsentantInnen sozialer Bewegungen aus dem globalen Süden gibt es damit die Möglichkeit, sowohl an den Protesten in Genf als auch denen in Kopenhagen teilzunehmen. Auf dem Weg ist dann eine Woche Zeit, an verschiedenen Stationen die Öffentlichkeit zu informieren und sich mit lokalen Gruppen und anderen Initiativen auszutauschen und zu vernetzen.
In der Karawane sind verschiedene Bewegungen und AktivistInnen vertreten. Es sind direkt vom Klimawandel betroffene Gruppen mit dabei, wie z.B. die Kleinbauern der Bangladesh Krishok Federation und die Kuna-IndianerInnen des Movimiento de la Juventud Kuna aus Panama. In beiden Ländern leben die Betroffenen nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Es fahren AktivistInnen mit, die von Investitionsprogrammen im Namen des "Klimaschutzes" (CDM-Projekte, Monokulturanbau von Biosprit-Pflanzen) vertrieben werden, wie z.B. die afrokolumbianischen Gemeinschaften des Proceso de Comunidades Negras aus Kolumbien oder die AktivistInnen der Asamblea en Defensa de la Tierra y el Territorio, die sich gegen einen Windkraft-Park in Oaxaca/Mexiko wehren. Weiterhin nehmen Bewegungen teil, die vom Rohstoffbedarf des fossilistischen Kapitalismus bedroht sind, durch Abholzung des Regenwaldes, Öl- und Gasförderung, Ressourcenplünderung, wie die Coordinacion Andina de las Organisaciones Indigenas aus Peru und die brasilianischen AktivistInnen der Global Forest Coalition.
Die Karawane von Genf nach Kopenhagen
Auch hierzulande wenig bekannt sind Organisationen und Gruppen, die fordern, das "Öl im Boden zu belassen", und die damit eine konkrete und gleichzeitig progressive Klimaschutz-Kampagne lanzieren, wie die Organisation Accion Ecologica aus Ecuador und das OILWATCH-Netzwerk (Afrika, Südamerika). Des weiteren kommen VertreterInnen der Kleinfischerei-Bewegungen wie die Sea Fish for Justice aus den Philippinen, die gegen die Überfischung der Meere und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Fischerei protestieren, sowie Landwirtschafts-Bewegungen wie das Netzwerk La Via Campesina und die landlosen ArbeiterInnen der APPVU Indien, die für Ernährungssouveränität kämpfen.
Die Karawane will sowohl die Bandbreite der sozialen Folgen von Klimawandel und "Klimaschutz" verdeutlichen als auch die Verknüpfung der Klima-Debatte mit den Themen Freihandel, Investitionsliberalisierung und Patentgesetzgebung aufzeigen. Die Maßnahmen, die momentan in den UN-Klimagesprächen als Lösungen gegen den drohenden Klimawandel verhandelt werden, wie CDM, REDD und Offset-Programme, haben bereits jetzt unübersehbare, negative Folgen für davon betroffenen Bevölkerungsgruppen im Süden. Dass viele der sozialen Bewegungen, die seit längerem schon gegen die WTO protestieren, auch zu denen gehören, die vom Klimawandel betroffen sind, soll durch die Karawane ebenfalls in den Fokus gerückt werden.
Jürgen Kraus
Die Karawane verlässt Genf am 3. und erreicht Kopenhagen am 9.12.09. Es wird zwei Busse und Routen geben. Die West-Route: 3.12: Dijon, 4.-5.12.: Paris, 6.12.: Nordfrankreich, 7.12.: Brüssel, 8.12.: Hamburg, 9.12.: Kopenhagen; Die Ost-Route: 3.12.: Freiburg, 4.12.: Frankfurt, 5.- 6.12: Köln, 7.-8.12.: Hamburg, 9.12.: Kopenhagen; In den Städten sind eine Vielzahl von Aktionen und Veranstaltungen geplant. Aktuelle Infos und die Liste der Mitreisenden findet sich unter: www.climatecaravan.org