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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 544 / 20.11.2009

Ja klar, machen wir!

Der Anti-Atom-Aktivist Jochen Stay antwortet Avanti

Ja klar, machen wir! So könnte kurz gefasst meine Antwort auf das Avanti-Papier zur Energiefrage lauten. Es ist ja nichts wirklich falsch in dem, was da aufgeschrieben wurde. Deshalb möchte ich nicht widersprechen, aber zumindest ergänzen, möchte andere Sichtweisen, Blickrichtungen zufügen. Protestbewegungen können nicht von BewegungsmanagerInnen verschoben werden wie die Bataillone früher von ihren Feldherren. Das liegt daran, dass eine Bewegung ja qua Definition keine feste und einheitliche Organisationsstruktur hat, sondern aus vielen Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen, Kampagnen besteht.

Wer gehört zu einer Bewegung und wer nicht? Die linksradikalen Teile der Klimabewegung stellen aus meiner subjektiven Sicht ihre weitergehende Kritik an den herrschenden Verhältnissen, für die die Klimakatastrophe nur ein Ausdruck ist, oft an die erste Stelle - oder zumindest weit nach vorne. Damit wird aber häufig der Zugang zum Widerstand gegen klimaschädliche Politik und Projekte erschwert. Wer erstmal nur die Eisbären retten will und nicht schon AntikapitalistIn ist, fühlt sich in diesem Milieu nicht angesprochen oder sogar unwohl.

Das ist in der Anti-Atom-Bewegung oft umgekehrt. Da sind Leute persönlich betroffen und werden aktiv. Ihre konkrete Motivation ist wahrscheinlich sehr unterschiedlich, aber diese unterschiedlichen Beweggründe haben ihren Platz. Und die Erfahrung in den konkreten Auseinandersetzungen, das Erleben von Ignoranz der Regierungen, Profitinteressen der Konzerne und Gewalt der Polizei führt zu Lernprozessen über die politische Verfasstheit dieser Gesellschaft. Da steht die Kapitalismus- und Systemkritik oftmals am Ende eines Prozesses, muss nicht schon als Eintrittskarte für die Bewegung mitgebracht werden. Erst wenn eine Bewegung nicht nur aus den "üblichen Verdächtigen" besteht, die ja sowieso gegen das System arbeiten, sondern auch von denen mit getragen wird, die normalerweise zu den Stützen des Systems gehören, wird es spannend. Denn erst dann bewegt sich gesellschaftlich wirklich etwas. Die herrschenden Verhältnisse verlieren an Unterstützung, ja sogar an Gehorsam.

Es gab aus linksradikalen Kreisen die Kritik an der Anti-AKW-Großdemonstration am 5. September in Berlin, weil keineR der RednerInnen aus systemoppositionellen Gruppen stammte. Dabei wäre ein solcher Redebeitrag insofern langweilig gewesen, weil die Inhalte vorhersehbar gewesen wären. Viel spannender war es, dass der Vorsitzende des bürgerlichen Umweltverbandes BUND, der fast 500.000 Mitglieder hat, eine deutlich kapitalismuskritische Rede gehalten hat.

Etwas zugespitzt formuliert: Viele Revolutionen sind erst dann erfolgreich, wenn die bewaffneten Stützen des Regimes zu den Aufständischen überlaufen. Wenn Linksradikale an eine Bewegung zuerst mit ihren Maximalforderungen herangehen, dann ist das für mich ein Zeichen dafür, dass sie die inhaltliche Auseinandersetzung um das Ein-Punkt-Thema der Bewegung oftmals schon verloren geben. Entweder weil sie sagen, dass mit einer Veränderung an einem Punkt insgesamt gar nichts gewonnen ist, was ich noch nachvollziehen kann. Oder weil sie den Gegner für so übermächtig halten, dass Proteste sowieso keine Chance haben und dann wenigstens die eigene Weltsicht in den Auseinandersetzungen rüberkommen soll. Dann werden Bewegungen aber zu reinen Vehikeln der Öffentlichkeitsarbeit für linke Inhalte instrumentalisiert.

Linksradikale waren für mich in Protestbewegungen immer dann produktiv, wenn sie die Rolle der OrganisatorInnen eingenommen haben, die breite Bevölkerungsschichten für den Protest auf der Straße aktivieren. Die Leute werden mit ihrer Betroffenheit über einen ganz konkreten gesellschaftlichen Missstand ernst genommen. Es geht erstmal darum, viele Menschen dabei zu unterstützen, an einem ganz konkreten Punkt in Opposition zu gehen. Dazu gehören eine Bewegungskultur der Offenheit und Vielfalt und auch der Mut zum partiellen Erfolg, ohne gleich wieder darauf hinzuweisen, dass damit ja eigentlich gar nichts gewonnen ist. Nur wenn viele Menschen ermutigende Erfahrungen in Opposition machen, werden sie sich weiter engagieren, werden auch anfangen, über die Verhältnisse insgesamt nachzudenken.

Die Klimabewegung hat sich übrigens ganz im Gegensatz zu der Wahrnehmung von Avanti sehr aktiv an der Anti-Atom-Demonstration am 5.9. in Berlin beteiligt. So war beispielsweise die Naturschutzjugend aus Augsburg, die normalerweise schwerpunktmäßig in Sachen Klima aktiv ist, mit einem ganzen Bus in die Hauptstadt gekommen. Solche Gruppen gab es unzählige in Berlin. Doch die zählen aus den bereits geschilderten Gründen aus linksradikaler Sicht nicht so recht zur Klimabewegung.

Die von Avanti postulierte Angst von Aktiven, mit ihrem Thema in der anderen Bewegung unterzugehen, besteht aus meiner Sicht nicht, weil die meisten gar nicht in solchen Kategorien denken. Die Jugendlichen aus Augsburg sind vor Ort in Sachen Klima aktiv und waren in Berlin gegen Atomkraft auf der Straße, weil ihnen beides wichtige Anliegen sind. Die Anti-AKW-Bewegung hat das vorrangige Ziel, Atomkraftwerke abzuschalten. Wenn es nebenher gelingt, die herrschenden Verhältnisse ins Wanken zu bringen, ist das eine schöne Sache. Aber die Prioritäten funktionieren nur in dieser Reihenfolge.

Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung ist schwer verunsichert, ob sie es wirklich wagen kann, wie angekündigt die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Sie fürchtet breiten gesellschaftlichen Widerstand. Es gibt in dieser Situation also die reale Chance, machtvolle Bündnisse zu schmieden und eine ganze Reihe AKWs vom Netz zu bekommen - möglicherweise sogar mehr, als im ursprünglichen rot-grünen Ausstiegsfahrplan vorgesehen waren.

Wenn an dieser Stelle linksradikale Teile der Bewegung die Enteignung der Stromkonzerne zur Hauptforderung machen, begeben sie sich selbst an den Rand der Entwicklung. Wenn sie dieses Thema allerdings geschickt und anschlussfähig in die anlaufende Stilllegungs-Kampagne einbringen, ohne damit Dominanz erringen zu wollen, kann als Erfolg zumindest herauskommen, dass deutlich mehr Menschen anfangen, sich über die Strukturen von Energieerzeugung und -verteilung Gedanken zu machen.

Aber ich gehe mal davon aus, dass Avanti es genau so gemeint hat. Deshalb: Ja klar, machen wir!

Jochen Stay