Knietief in der VWL
Trotzdem kann die Linke von Elinor Ostrom lernen
"Wie kriegen drei FDPler eine Glühbirne reingedreht?" Antwort: "Gar nicht. Das regelt der Markt." Elinor Ostrom würde über diesen Witz wahrscheinlich herzlich lachen. Die 76 Jahre alte Politikwissenschaftlerin aus den USA bekommt am 10. Dezember in Stockholm den Wirtschaftsnobelpreis überreicht. Ostrom interessierte, wie Gemeingüter ("Allmenden" wie u.a. Fischgründe und Weideland) kollektiv bewirtschaftet werden, ohne dass es zu einer Übernutzung der Naturressourcen kommt. Der auf Privateigentum basierende Markt, so ihr Schluss, sei jedenfalls kein Garant für eine nachhaltige und produktive Nutzung.
Die Frage, ob das Nobelpreiskomitee - wie ihm manchmal unterstellt wird - auch mit dieser Auszeichnung Symbolpolitik betreiben will, bleibt spekulativ. Zwei global einschneidende Ereignisse legen diesen Gedanken allerdings nahe: die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise und der UN-Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember. Dort soll über die Reduktion klimaschädlicher Gase verhandelt werden, um das "Umweltgut" Klima zu schützen. Das wird mit aller Wahrscheinlichkeit scheitern, weshalb viele KommentatorInnen darauf verweisen, dass möglicherweise Ostroms Erkenntnisse über den Umgang mit "Allmenderessourcen" weiter helfen könnten.
Die Entscheidung für Ostrom erscheint nicht ganz zufällig
Insofern scheint die Entscheidung für Ostrom nicht ganz zufällig, ebenso wie die für den US-Ökonomen Oliver Williamson, mit dem sie sich den Preis teilt. "Beide haben untersucht, wie uns andere Kräfte als die des Marktes zu organisierter Zusammenarbeit bringen könnten", so das Nobelpreiskomitee-Mitglied Mats Persson. (Süddeutsche Zeitung, 12.10.09) Allerdings dürften Linke, die den Markt partiell gerne durch den Staat ersetzt sehen würden, enttäuscht sein. Auch hier kommt Ostrom zu dem Schluss, dass staatliche Regulierung von Gemeingütern ebenso wenig Garant für eine nachhaltige Nutzung sei, sondern in vielen Fällen sogar kontraproduktiv.
Obgleich Ostrom die Fähigkeit von Gemeinschaften zur Selbstverwaltung und Selbstorganisation jenseits einer staatlichen Verwaltungsbehörde oder marktwirtschaftlicher Mechanismen ausführlich beschreibt und versucht, daraus eine schlüssige Theorie kollektiven Handelns zu entwickeln, wird sie in linken Diskursen wenig rezipiert. Das mag daran liegen, dass Ostrom knietief im Paradigma der Volkswirtschaftslehre steckt und sich damit in einem Diskursraum bewegt, der sich unter vielem anderen durch eine merkwürdig statische, modellhafte Denkweise auszeichnet. Außerdem ist dem Paradigma das Menschenbild des nutzenmaximierenden Individuums vorausgesetzt, Herrschaftsverhältnisse, gar Klassen, gibt es nicht. Ein Paradigma also, in dem sich linke Ökonomen fühlen wie auf einem fremden Planeten.
Auf diesem Planeten ist Elinor Ostrom allerdings ein Glücksfall. Sie kritisiert die Mainstream-Ökonomen, die nur staatliche oder Marktlösungen kennen und alle die gleiche Grundannahme teilen. Ihren Modellen zufolge sei das zentrale Problem das "Trittbrettfahren". Die Idee ist schlicht: Wenn eine Gruppe von Leuten eine Ressource gemeinsam bewirtschaftet und niemand von der Nutzung dieser Ressource ausgeschlossen werden kann, dann können Einzelne ihren individuellen Nutzen maximieren, ohne für die gemeinschaftliche Verbesserung der Ressource zu sorgen. Handeln alle Individuen so, erleidet die Ressource Schaden, eine Übernutzung ist die Folge. In der Sprache der Ökonomen: Das rational handelnde nutzenmaximierende Individuum handelt paradoxerweise so, dass ein kollektiv irrationales Ergebnis rauskommt. Am Ende profitiert niemand. Das ist die "Tragik der Allmende".
So erklären sich die Ökonomen u.a. Umweltzerstörung. Ostrom kritisiert an diesen Modellen, dass in ihnen unabänderliche Bedingungen gesetzt sind. Ihr Verdienst ist, dass sie sich die Mühe der Ebene gemacht hat und jenseits modelltheoretischer Vorannahmen soziale Organisationsformen untersucht hat: Die statischen Spielregeln der abstrakten ökonomischen Modelle stellten sich in der Praxis als durchaus variabel dar. Menschen können miteinander reden. Sie können verhandeln, planen, Parzellen, Wasserrechte oder Fanggebiete zuteilen, sich über Regeln einig werden, die Regeln überwachen und zu kollektiv produktiven Lösungen kommen - natürlich nicht ohne lange Umwege im Trial-and-Error-Verfahren.
Ahistorisch wie jeder bürgerliche Ökonom
Nicht nur die Ökonomen der VWL können von Ostrom viel lernen, auch die Linke könnte ihre Schwarz-weiß-Fixierung auf das Gegensatzpaar "Markt oder Staat" zugunsten einer differenzierteren Betrachtung der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Alternativen entspannen. Ostrom macht den Blick frei dafür, dass es jenseits von Marktmechanismen und der potenziell autoritären Stellvertreterpolitik des Staates Formen von Selbstorganisation gibt, die nachhaltig und produktiv sind. Die Grenzen liegen da, wo sie bei der bürgerlichen Ökonomie generell liegen.
Die kapitalistische Gesellschaft der Gegenwart wird nicht als eine historisch ganz besondere Form von Gesellschaft betrachtet, die es erst seit einigen 100 Jahren gibt und spezifische Merkmale aufweist. Auch das Modell, mit dem Hardin das Dilemma der Allmende formalisieren möchte, kommt ahistorisch daher: Demnach versuchen Hirten per se soviel Vieh wie möglich auf die allen frei zugängliche Weide zu schicken, damit sie ihren Erlös (aus dem Verkauf der Tiere) maximieren können, zulasten des Weidegrundes.
Nun hat Ostrom zwar völlig recht: Warum sollen in Hardins Modell die Hirten eigentlich nicht miteinander reden können? Das wäre sogar durchaus eine "individuelle rationale Strategie", denn welcher Hirte möchte seine wirtschaftliche Grundlage schon dauerhaft gefährden? Und somit ist es dann auch wieder weniger erstaunlich, dass es auch im Kapitalismus vielfältige mehr oder weniger erfolgreiche Formen von im Übrigen nicht nur selbstorganisierter, sondern auch privater oder staatlicher Regulation gibt, die verhindern sollen, dass die Grundlage der wirtschaftlichen Tätigkeit vernichtet wird.
Allerdings entgeht Ostrom, ganz dem ahistorischen Herangehen der bürgerlichen Ökonomie verhaftet, dass Hardins Modell eindeutig Züge einer kapitalistischen Gesellschaft trägt, in der sich der Tausch von Ware und Geld als dominierende Verkehrsform durchgesetzt hat. Dass die Hirten ihr Vieh nur deshalb weiden lassen, um möglichst viel davon zu verkaufen, gilt nicht für vorkapitalistische Epochen, in denen Subsistenz (Selbstversorgung) vorherrschte. Eigentum in vorkapitalistischen Epochen war ein anderes soziales Verhältnis als das Privateigentum heute.
Privateigentum, wie wir es kennen, ist privates Eigentum an Produktionsmitteln (Maschinen, Fabrikgebäude, Rohstoffe, Werkzeug, etc.), über deren Verwendung eine Minderheit bestimmt. Dabei ist für kapitalistisches Eigentum kennzeichnend, dass die Produktionsmittel eingesetzt werden, um unter den Bedingungen von Konkurrenz aus vorgeschossenem Kapital mehr Kapital zu machen. Die Naturstoffe, die im Produktionsprozess verarbeitet werden, ebenso wie die menschliche Arbeitskraft sind nur das Mittel, um damit mehr Kapital generieren zu können, als man für ihren Kauf investieren musste.
Diese Dynamik findet kein Ende "an sich selbst". Der gesellschaftlich dominante Zweck ist der Profit. Kaum ein Kapitalist würde wohl zu den anderen sagen, "Kommt, jetzt lasst uns doch mal damit aufhören, ständig neuen Quatsch zu produzieren, den wir recht eigentlich nicht brauchen. Ihr seht doch, dass wir dafür viel zu viel Ressourcen verbrauchen." Vielmehr geht der Antrieb in die umgekehrte Richtung, so dass alle ständig von der Frage vorangetrieben werden: "Womit kann ich noch ein Geschäft machen?"
Tatsächlich kommen dann die Impulse, die Umwelt zu schützen, nur vor als noch ein weiteres Feld, mit dem sich Geld verdienen lassen könnte, mit anderen Worten: als Green New Deal. Nicht aber als Überlegung, wie eine Gesellschaft eingerichtet werden könnte, in der darüber verhandelt wird, wie viel und was für wen produziert werden sollte und welchen natürlichen Schranken wir unsere Wünsche unterordnen. Eben Selbstverwaltungsformen jenseits von Markt und Staat. Damit wären wir wieder bei Elinor Ostrom. Dafür hat sie doch den Nobelpreis verdient. Oder?
Sabine Nuss