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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 546 / 22.1.2010

Islamfeindlichkeit von links

Was die Aktion 3. Welt Saar unter "Multikulti" versteht

"Bye bye Multikulti - Es lebe Multikulti" unter diesem Titel erschien jüngst eine vierseitige Flugschrift der Aktion 3. Welt Saar. Nach Angaben der HerausgeberInnen wurde davon eine erste Auflage von 100.000 Exemplaren gedruckt und u.a. als Beilage in der taz und der Jungle World unter die Leute gebracht. Ihr Ziel ist es, die "falsche Toleranz" gegenüber dem Islam anzugreifen, die sie vor allem bei "vielen der sich als links, liberal und antirassistisch verstehenden AktivistInnen oder in der Flüchtlingsarbeit Tätigen" festgestellt haben wollen.

Mag die Weltwirtschaft noch so stottern, Islam-Bashing hat ungebrochen Konjunktur. Die Aktion 3. Welt Saar mag in solchen Zeiten nicht abseits stehen. "Es herrscht Konfusion um Multikulti", so beginnt ihre Flugschrift. Die VerfasserInnen des Textes zeichnen sich indes nicht nur durch ein hohes Maß an Konfusion, sondern auch durch ein (un)gehöriges Maß an Islamfeindlichkeit aus. Ihre Hauptstoßrichtung ist das "Hätschelkind Islam". Zunächst einmal ließen sich die VerfasserInnen fragen, wo denn dieses "Hätschelkind Islam" leben soll? Ihre überraschende Antwort lautet: in Deutschland, mitten unter uns. Nicht nur, dass die AutorInnen u.a. die Toten von Mölln und den Mord an der Apothekerin Marwa S. im Dresdner Landgericht bereits wieder vergessen haben, auch empirische Umfragen zur wachsenden Islamfeindlichkeit in Deutschland, Hass-Blogs wie u.a. die Website Politically Incorrect, die bereits über 30 Millionen BesucherInnen verzeichnet, Demos gegen den Bau von Moscheen, wissenschaftliche Studien, die belegen, wie schwer es für Muslime ist, in "besseren Stadtteilen" eine Wohnung zu finden sowie für sogenannte "Kopftuchträgerinnen" in Deutschland einen Arbeitsplatz zu erhalten - all das kennen oder reflektieren sie anscheinend nicht.

Mit Henryk M. Broder gegen das "Hätschelkind Islam"

Islamfeindlichkeit als "negativ-stereotype Haltungen gegenüber dem Islam" lässt sich methodisch wie u.a. in der "Bielefelder Langzeitstudie" präzise messen. In der jüngsten Befragungswelle gaben 30% der Befragten an, dass Muslimen die Zuwanderung in Deutschland untersagt werden soll, knapp 40% fühlen sich durch Muslime "manchmal wie ein Fremder im eigenen Lande." Auf die Frage, was man mit dem Islam assoziiere, antworten laut Allensbach 93% mit "Unterdrückung von Frauen" und 83% mit "Terror", ferner halten 55% der Befragten eine "friedliche Koexistenz von christlichem und islamischem Glauben" für nicht möglich. Rund drei Viertel der Bevölkerung in NRW mit türkischem Background hat bereits die Erfahrung von Diskriminierung im Alltagsleben gemacht. Selbst wenn die AutorInnen der Flugschrift an dieser Stelle einwenden könnten, ihre Position sei es ja nicht, dass das "Hätschelkind Islam" mitten in Deutschland lebe, sondern nur mitten in Teilen der (intellektuellen) Linken dieses Landes, so bleibt die Missachtung alltäglicher Diskriminierungen und islamfeindlicher Praxen in unserem Land zynisch. Auch die Volksabstimmung für ein Minarett-Verbot in der Schweiz und die Umfrageergebnisse in Deutschland diesbezüglich sind der Flugschrift keine einzige Zeile wert.

Dies ist kein Zufall, nein es ist Methode. Geht es doch der Flugschrift im Kern darum, die wenigen Personen, Initiativen und Gruppierungen, die in Deutschland vor der wachsenden Islamfeindlichkeit nicht kapitulieren, zu attackieren. Dies ist die Stoßrichtung der SchreiberInnen, und dies wird bereits im rot umrandeten Aufmacher deutlich, der u.a. Pro Asyl schmählich attackiert. "Pro Asyl", so heißt es dort, "ruft Kritiker des Islamismus mit dem bei iranischen Mullahs entlehnten Kampfbegriff der Islamophobie" zur Ordnung. Hier bereits offenbart sich die Islamfeindlichkeit der AutorInnen überdeutlich. Es sind eben keine "Kritiker des Islamismus", die Pro Asyl "zur Ordnung ruft", sondern "Kritiker des Islams".

Die undifferenzierte Gleichsetzung von Islam und Islamismus, die sich durch den gesamten Text zieht, das ist das Einmaleins der Islamfeindlichkeit par excellence. Der politische Gegner Pro Asyl wird diffamiert als "vierte Kolonne" der iranischen Mullahs - ein historisch allzu bekanntes Verschwörungstheorem. Islamfeindlichkeit wird dergestalt betrachtet im Text der Flugschrift überhaupt nicht kritisch thematisiert, weil sie eine "Erfindung Teherans" sei, eine Chimäre. Keinen einzigen Gedanken verwenden die AutorInnen darauf, sich einmal die durchaus schwierig zu beantwortende Frage zu stellen, wo denn genau die Grenze zwischen einer in einer säkularen Gesellschaft legitimen Islamkritik und einer Islamfeindlichkeit liegt. Für die VerfasserInnen ist die Antwort äußerst einfach, da "Islamophobie" ein iranischer Kampfbegriff sei, den nur naive Lämmer übernehmen, die man zur Schlachtbank führt. Im weiteren Verlauf des Textes heißt es: "Soweit der heute gebräuchlichere Begriff des antimuslimischen Rassismus lediglich als Synonym für Islamophobie gebraucht wird, macht dies die Sache selbstverständlich auch nicht besser." Islamfeindlichkeit gibt es schlicht und einfach für die AutorInnen nicht, sondern ausschließlich berechtigte Islamkritik.

Neben Pro Asyl werden als zweite Gruppe 60 MigrationsforscherInnen attackiert, die den Aufruf "Gerechtigkeit für die Muslime" unterschrieben haben (der Autor zählt nicht zu den UnterzeichnerInnen). Auch diese gegen Islamfeindlichkeit aktive Gruppierung wird als Beispiel angeführt für die angeblich ach so gefährlichen Verharmloser in der Linken mit ihrer "falschen Toleranz" (Broder lässt grüßen!). Statt sich mit dem Aufruf inhaltlich-argumentativ auseinanderzusetzen, folgt wie bei Pro Asyl eine Diffamierung. Obwohl es sich um Personen handelt, die solche Vereine und Initiativen aktiv beraten und unterstützen, die sich um Migrantinnen kümmern, die von Diskriminierung und häuslicher Gewalt betroffen sind, heißt es, von diesen ForscherInnen "werden Zwangsverheiratungen systematisch verharmlost und relativiert." So werde "aus dem linken und liberalen Spektrum heraus islamischen FundamentalistInnen der Weg in die Mitte der Gesellschaft geebnet." Einen Beleg diesbezüglich gibt es natürlich nicht.

Was haben "Ehrenmorde" mit dem Islam zu tun?

Unter Islamfeindlichkeit verstehen wir eine intentionale und im Unterschied zum von uns abgelehnten Begriff der Islamophobie daher durchaus rationale gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die sich in der Ablehnung des Islams und der Muslime durch die sogenannte "Mehrheitsgesellschaft" äußert. Sie zeigt sich in der Ausgrenzung des mit negativen Bildern konstruierten Anderen, der als Vertreter einer bedrohlichen Fremdgruppe erscheint, wobei großer Wert auf die Betonung der Ungleichwertigkeit der Muslime und der Betrachtung der "eigenen Kultur" als "höherwertig" gelegt wird.

Welche islamfeindlichen Stereotype finden wir im zu analysierenden Text außer der Betrachtung des Islams als monolithischer Einheit noch? Auffallend ist von Anfang an die Häufung negativ-geladener Termini, deren essenziell-integraler Zusammenhang zur Religion des Islams unhinterfragt unterstellt wird: "patriarchale und religiös aufgeladene Herrschaft", "Kopftuchzwang", "Zwangsverheiratung", "Ehrenmorde", "Verherrlichung des islamistischen Terrorismus", "Schleierzwang", "Genitalverstümmelung" und "Homophobie". Keine einzige wissenschaftliche Studie wurde zur Kenntnis genommen, um die Prädiktoren der zu verurteilenden Phänomene zu differenzieren: Bildungsniveau, Sozialstruktur, Stadt-Land-Herkunft, Familienstruktur, Armut, archaische Strukturen, politische Verhältnisse der Herkunftsländer etc. Hochgradig komplexe, multifaktorielle Phänomene und Probleme werden so einzig und allein auf den Islam reduziert, um weiter gegen "das Hätschelkind" agitieren zu können und über drei Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland dergestalt unter Generalverdacht stellen zu können.

Diese entsoziologisierende Methode als zentrales Kernelement der Islamfeindlichkeit ist mittlerweile durch Necla Keleks Arbeiten sattsam bekannt. Den wissenschaftlich in keiner Weise näher analysierten Problemen setzt Frau Kelek das Hütchen Islam auf und feuert Breitsalven gegen den auf diese Weise konstruierten Pappkameraden ab, ohne sich auch nur zu fragen, welchen elementaren Beitrag sie damit zur Islam- und Fremdenfeindlichkeit liefert. So ist es denn kein Wunder, dass gerade Frau Kelek, die zur führenden Figur der Islamfeindlichkeits-Industrie in Deutschland zählt, als "Kritikerin" von den AutorInnen bezeichnet wird, deren Bedeutung nicht "herabgewürdigt" werden dürfe. Genau bei Frau Kelek verläuft aber die Grenze zwischen Islamkritik und Islamfeindlichkeit. Wer den Islam wie Frau Kelek monolithisiert, ihm die prinzipielle Fähigkeit zur Veränderung abspricht, ihn darstellt, als habe er keine gemeinsamen Ziele und Werte mit anderen Kulturen (obwohl es sich ja gerade um eine der drei abrahamitischen Religionen handelt), ihn präsentiert, als sei er eine politische Ideologie und keine Religion, kritisiert den Islam nicht, nein es sind u.a. die seit den "Kreuzzügen" bekannten klassischen Stereotype der Islamfeindlichkeit, die wir bei Frau Kelek und im Text der Aktion 3. Welt Saar finden.

Stichwortgeberin für Islam- Feindlichkeit: Necla Kelek

Da Islam-Bashing zu einer Art Volkssport geworden ist, äußern sich zu diesem Thema öffentlich zunehmend Personen, die sich noch nicht einmal elementar mit dem Gegenstand ihrer Rede vertraut gemacht haben. Um wie ihr großes Vorbild Frau Kelek gegen muslimische Verbände zu agitieren, unterstellen die Autoren der Ditib, sie würde den Kopftuchzwang propagieren. Eine nur minimale journalistische Sorgfaltspflicht hätte bereits ausgereicht, um feststellen zu können, dass die Ditib als "staatsnaher türkischer Islamverband" sich eindeutig gegen einen Kopftuchzwang ausspricht. Doch es geht den AutorInnen nicht um journalistische Sorgfaltspflicht, sondern um ihre aktive Beteiligung am "Islam-Bashing". Auch dass es sich bei sogenannten "Ehrenmorden" um eine Praxis handelt, die in keiner Weise mit der Theologie des Islam begründet werden kann, ja dass das Tötungsverbot gerade eine der großen Gemeinsamkeiten der drei abrahamitischen Religionen darstellt, all das interessiert sie nicht.

So landen die AutorInnen genau dort, wo sie zu Beginn ihrer Schrift vorgeben nicht landen zu wollen: beim Kulturalismus als postmodernem Neorassismus, einem Rassismus ohne Rassen, der den Terminus Rasse aufgibt, ohne dass die Exkludierung des Anderen und seine stereotype Abwertung als "anti-aufklärerisch", "intolerant", "unmodern", "gewalttätig", "anti-emanzipatorisch", "herrschsüchtig", "reaktionär", "extrem patriarchalisch", "homophob", "machohaft" nur einen Hauch an Schärfe verlieren würde. Gut, dass wir ja die besseren Menschen, vor allem Männer sind. Am neodeutschen Wesen soll wohl die Welt genesen ...

Achim Bühl

Achim Bühl, Prof. Dr. phil. habil., Professur für Soziologie mit den Schwerpunkten Migrationssoziologie und Islamwissenschaften, Techniksoziologie und Zukunftsforschung an der Beuth Hochschule für Technik Berlin