Der Gipfel des Scheiterns
Zaghafte Schritte einer dringend notwendigen Klimabewegung
In Kopenhagen haben zwei bedeutsame Ereignisse gleichzeitig stattgefunden: der Startschuss und die Sinnkrise der internationalen Klimaprotestbewegung. Während im Vorfeld des Gipfels zugespitzt debattiert wurde, ob der UN-Gipfel gestützt oder gestört werden solle, haben die Ergebnisse der offiziellen Verhandlungen und die Ereignisse bei den Protesten vor den Toren beide Ansätze bis aufs Mark blamiert. Wie kann es uns nun im lokalen Widerstand gelingen, Leute zu integrieren, die in Kopenhagen waren? Schaffen wir es, eine Bewegungsstärke zu entwickeln, die zumindest perspektivisch klar stellt, was die Alternative zu bescheuerten Klimaverhandlungen ist?
"Kopenhagen ist gescheitert", die Welt wurde mal eben nicht so ein bisschen gerettet, und eigentlich wissen das mittlerweile von FAZ bis jungle world auch alle. Noch nie war es so unbefriedigend, es mal wieder schon vorher gewusst zu haben. Für die breite Front der Umwelt- NGOs hat Kopenhagen hoffentlich unmissverständlich klargestellt, dass ihre Appelle verhallen, schlimmer noch, dass sie mit Füßen getreten werden. Die Bitternis kann sich jetzt eigentlich nur in Frustration oder Rebellion wandeln. Auf jeden Fall gibt es keinen Anlass mehr, beim nächsten Klimagipfel mit der gleichen Strategie und dem gleichen Zweckoptimismus aufzulaufen. Und die Erfahrungen der Mobilisierung geben Anlass für einen verhaltenen Zweckoptimismus: Der Tisch für eine Radikalisierung der lokalen Kämpfe ist gedeckt.
Das Produktivste an Kopenhagen war die Mobilisierung im Vorfeld. Kaum ein Politikfeld eröffnet solch einen Facettenreichtum unterschiedlicher Interessen und Verknüpfungen; mit dem Klimathema können als "Querschnittsthema" erfolgreich unterschiedliche Spektren in radikaler Systemkritik zusammengeführt werden. Ebenso verhält es sich mit den Erfahrungen in lokalen Bündnissen. Wir haben erfahren, dass wir in den letzten zwei Jahren zu einer realen Linksverschiebung beigetragen haben: Fast alle unserer MitdiskutantInnen aus dem reformorientierten Spektrum bestätigen, dass es im Rahmen der Kopenhagen-Mobilisierung zu einer inhaltlichen Öffnung für radikale Systemkritik gekommen ist.
Climate must change: from protest to resistance!
Leider ist es jedoch nicht gelungen, über praktische Aktionen im Vorfeld unsere Botschaft stärker nach Außen zu tragen und uns zum Beispiel gegenüber der Presse als wichtiger Faktor zu etablieren. Hierin bildete die Klima-Karawane eine rühmliche Ausnahme. Abgesehen davon, dass der Austausch mit den TeilnehmerInnen aus dem Süden ein praktisch- internationalistisches Highlight war, gingen von der Karawane gut vermittelbare Botschaften aus (z.B. die Heimsuchung der Monsanto-Zentrale in Brüssel).
Resultat der Mobilisierung waren über 100.000 AktivistInnen bei der Großdemonstration am Samstag. Dies ist als Startschuss für eine neue internationale Bewegung im Politikfeld Klima enorm beeindruckend. Trotzdem fällt die Bilanz dieser ersten Massendemonstration vernichtend aus. Die Strategie der reformistischen NGOs ist absehbar nicht aufgegangen. Nicht einmal das selbst gesteckte Ziel, Druck auf die Verhandlungen aufzubauen, konnte erreicht werden. Die Botschaft der Proteste war so weichgespült, die Haltung zum Gipfelgeschehen so diffus, dass der Effekt der Demonstration komplett verpuffte.
Aber auch der radikale Teil der Klimabewegung hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Der riesige Block "System Change - Not Climate Change" auf der Demonstration konnte - unorganisiert wie er war - wenig eigenständige Akzente setzen. Die willkürliche Einkesselung eines ganzen Teils der Demonstration wurde ob seiner Größe und der fehlenden Kommunikationsstruktur in den anderen Teilen gar nicht mitbekommen. So konnte darauf auch nicht reagiert werden. Noch katastrophaler scheiterten die großspurig angekündigten militanten Aktionskonzepte. Wieder einmal wurde geglaubt, es reiche aus, etwas anzukündigen, ohne es auch praktisch zu organisieren. Der einzige kleinere Angriff auf ein ehemaliges Börsengebäude wurde ausgerechnet im "System-Change"-Block gestartet, obwohl dieser im Vorfeld klar kommuniziert hatte, dass u.a. angesichts der Beteiligung von AktivistInnen aus dem Süden keine Angriffe aus dem Block heraus erfolgen sollten.
Alle, die sich angesichts des Vortags auf die Aktion "Hit the Production" am Sonntag gefreut hatten, wurden enttäuscht. Die autonom geprägte Vorbereitung setzte die gute Idee gehörig in den Sand. Am Ende blieb ein öffentlich angekündigter, aber zielloser Sturm auf den Hafen, der ohne Vermittlung und Bündnispolitik klein und der Polizeirepression schutzlos ausgeliefert war. Dementsprechend wurden fast alle der vielleicht 500 TeilnehmerInnen gleich zu Beginn eingekesselt und in Gewahrsam genommen. Eine anschlussfähige Massenaktion, die in Abgrenzung zu der Demo nicht bei Appellen stehen bleibt, sondern praktisch eingreift, hat bitter gefehlt.
Viele der 100.000 DemonstrantInnen wären davon zu überzeugen gewesen, beispielsweise ein Kohlekraftwerk zu besetzten und hätten sich so mit einer Perspektive, die auch auf lokale Auseinandersetzungen übertragbar ist, auf den Heimweg gemacht. So blieb aber auch der Sonntag ein Flop und zu viele AktivistInnen sind wohl eher mit einem Gefühl der Ohnmacht enttäuscht in ihre Busse gestiegen.
Planet Erde brennt, Kopenhagen pennt
So wichtig es ist, die eigenen Schwächen festzustellen, so wichtig ist es auch, darauf hinzuweisen, dass die entgrenzte Polizeirepression ihren Anteil daran hatte. Insgesamt wurden in den Gipfeltagen fast 2.000 AktivistInnen in Gewahrsam genommen. Vor ihren Festnahmen mussten sie in langen Reihen meist mehrere Stunden auf dem gefrorenen Boden sitzen, ohne dass ihnen erlaubt wurde auf Klo zu gehen. Etliche GenossInnen wurden abgeschoben oder über den Gipfelzeitraum eingesperrt und angeklagt.
Im Laufe der Woche besserte sich der Grad der Organisiertheit kontinuierlich. Angefangen mit der geschlossen in Ketten laufenden "No-Border"-Demonstration am Montag bis hin zur starken Abschlussdemo am Freitag. Dabei war "Reclaim Power" ohne Frage der Höhepunkt der Gipfelproteste. In der Mitte der Woche gelegen, wo zwar bereits viele AktivistInnen wieder zu Hause waren, sich die Auseinandersetzungen in den Klimaverhandlungen allerdings zuspitzten, sollte sich der Zugang zum Gipfel erkämpft werden. Von Süden sollte der mobile "grüne Block" durch Polizeiketten zum Zaun vordringen und vom Norden sollte der "blaue Block" als angemeldeter Demozug bis zum Konferenzgebäude ziehen, um sich dort über die wenigen Brücken durchzudrücken. Der "grüne Block" scheiterte an der TeilnehmerInnenzahl. Mit 300 Leuten kamen fast weniger Leute zum Treffpunkt als zum Vorbereitungsplenum am Abend davor. Hier zeigt sich die einschüchternde Nachwirkung der Massenfestnahmen. Schon bei 1.000 Leuten wären die Polizeikräfte maßlos überfordert gewesen und der Weg zum und durch den Zaun hätte gelingen können.
Der "blaue Block" startete mit über 2.000 AktivistInnen. Den ganzen Weg lief der komplette Zug in Ketten. Am Gipfelort angekommen, wurde versucht, die massiven Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Im Laufe der Auseinandersetzung gelang es, die erste Reihe aus Polizeiwannen und Ketten zu überwinden, die Versuche scheiterten jedoch an einer zweiten Reihe mit Absperrwänden. Wir konnten nur Staunen, dass die AktivistInnen, die augenscheinlich größtenteils noch nie eine direkte Konfrontation mit der Polizei erlebt hatten, über 20 Minuten trotz massiven Knüppel- und Pfeffersprayeinsatzes den Druck aufrecht halten konnten.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich "Reclaim Power" durch den Grad an Organisiertheit, aber vor allem durch die Entschlossenheit der Beteiligten, deutlich vom Rest der Gipfelproteste abhob. Dies, obwohl die Vorbereitung einen mehr als prekären Eindruck machte. Im Vergleich zur remotivierenden Innenwirkung blieb die Außenwirkung allerdings bescheiden, weil es nicht gelang, die Botschaft bzw. eine zusammengestauchte Formel an die Presse zu vermitteln. Das größte Manko war die mangelnde Beteiligung. Mit 6.000 statt 3.000 Menschen hätten wir den Gipfel gestürmt. Für einen Wochentag im Dezember war die internationale Präsenz noch ordentlich, aber offensichtlich war es nicht gelungen, eine nennenswerte Anzahl KopenhagenerInnen für die Aktionen zu mobilisieren.
Die Schwäche der linksradikalen Proteste hat viel mit der sichtbar gewordenen Schwäche der radikalen Linken in Kopenhagen zu tun. Vor der infrastrukturellen Meisterleistung der GenossInnen ziehen wir den Hut: Bei der Unterbringung, der Infostruktur, der Verpflegung und vor allem der Gefangenenbetreuung wurde Großes geleistet. Damit waren die wenigen AktivistInnen, die sich vor Ort an der Vorbereitung beteiligten aber auch schon überlastet.
Auf der Strecke geblieben ist dabei Mobilisierung, Vermittlung und Bündnisarbeit vor Ort. Große Teile der Szene hielten sich vornehm raus, anderen gelang ob der informellen und intransparenten Vorbereitungsprozesse nur schwerlich eine Beteiligung. Die Erfahrungen und Erfolge der vergangenen Zeit wurden nicht konserviert und transportiert. Seit einigen Jahren brechen organisierte Strukturen und Gruppen in Kopenhagen weg, ohne dass der dadurch frei gewordene Platz durch andere aufgefüllt würde. Stehen politische Events, wie eben COP15 an, treffen sich stets von neuem interessierte Einzelpersonen und teilweise freundschaftliche Netzwerke. Fällt der Anlass weg, fallen die gerade aufgebauten Strukturen, Erfahrungen und Ergebnisse großteils wieder in sich zusammen. Eine ordentliche Auswertung bleibt aus und nach einer Ruhepause wird sich in die nächste Kampagne gestürzt.
Diesmal traf diese Unorganisiertheit der Szene samt der innewohnenden Mobilisierungsschwäche mit einem völlig entfesselten Polizeistaat zusammen. Nur zur Erinnerung: Die Aktion "Shut it down" konnte auf einen Samstag im September 2.000 Leute, mit dem Ziel, ein Kohlekraftwerk lahmzulegen, mobilisieren. Trotz dieser recht anspruchsvollen und sehr illegalen Ankündigung, ließ die Polizei die AktivistInnen sich versammeln und bis an das Kraftwerk herankommen. Dieser Spielraum ist dem Respekt, den sich die Linke im Zusammenhang mit dem Ungdomshuskonflikt 2006/07 zurückerarbeitet hatte, geschuldet. Die Gefahr, jetzt viel von diesem Spielraum im COP-Protest verloren zu haben, liegt auf der Hand.
Mexiko kann, Moorburg muss!
Wir ziehen ein gemischtes Fazit der Proteste. Die Gipfelproteste waren erste Gehversuche und Kommunikationsort einer internationalistischen Klimabewegung. Aber es ist etwas voreilig, sich jetzt schon "bis nächstes Jahr in Mexiko" zu verabschieden. Die Klimabewegung, und erst recht die systemkritische Perspektive hierin, kann bei solchen Großevents in ihrer derzeitigen Verfasstheit nicht viel gewinnen. Unsere nächsten Veranstaltungen müssen vor Ort stattfinden: In Lubmin, Schafflund, Salzgitter, Gorleben und Hamburg-Moorburg. Aber auch das ist alles andere als ein Selbstgänger. Wir fürchten, dass aus Kopenhagen viele Leute ohne klare Bewegungsperspektive wieder nach Hause gefahren sind und angesichts des dreisten Gipfelergebnisses eher ohnmächtiger Frust als produktive Wut und Energie bleiben. Diese Leute müssen wir jetzt erreichen und ihnen ein konkretes Widerstandsangebot machen. Dass Klimaschutz lokal erkämpft wird müssen wir halt erstmal beweisen.
Kopenhagen kann uns nachhaltig stärken, wenn wir an die positiven Erfahrung der erfolgreichen, spektrenüberbrückenden Mobilisierungsphase anknüpfen, die zarten Bündnispflänzchen hegen und pflegen und internationalistische Erfahrungen kleinteilig einbetten. Unser nächster Schritt besteht darin, konkrete Auseinandersetzungen anzuzetteln und zu radikalisieren. Mittels kalkulierbarer und verlässlich organisierter Aktionen des zivilen Ungehorsams gilt es, das Niveau der Konfrontation real zu erhöhen, den politischen Kern des Konflikts als solchen herauszuschälen und so die in Kopenhagen berechtigterweise entstandene Frustration in Widerstand vor Ort zu wenden.
Avanti - Projekt undogmatische Linke
Eine ungekürzte Version der Auswertung kann unter www.avanti-projekt.de gelesen werden, dort gibt es auch die Fotogalerie.