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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 547 / 19.2.2010

Aufgeblättert

Widerstand von Erwerbslosen

Peter Nowaks Büchlein gibt einen Überblick über den Widerstand von Erwerbslosen gegen die Schikanen der JobCenter und ARGE'n, gegen Arbeitszwang und Billiglöhne. Nowak beginnt bei den Montagsdemonstrationen im Sommer 2004, die auf ihrem Höhepunkt in 223 Städten der Bundesrepublik Deutschland stattfanden. Am 3. Januar 2005 folgte die "Aktion Agenturschluss", an der sich ca. 6.000 Erwerbslose in 30 Städten beteiligten. Es folgten Aktivitäten wie "1-Euro-Job-Spaziergänge" und Besetzungen von SGB-II-Trägern. In dem bundesweit getragenen Projekt "Schwarzbuch Hartz IV", das im Januar 2006 als Zwischenbilanz erschien, berichten ErwerbslosenaktivistInnen über die bis dahin erfolgten Widerstandsaktionen und analysieren die inhaltliche Ausrichtung des Gesetzes und die Umsetzungspraxis. Bereits zu dieser Zeit ist eine massive Widerspruchs- und Klagewelle gegen die Ämter zu beobachten. Ebenfalls 2006 entwickeln sich die bundesweite "Kampagne gegen Zwangsumzüge nach Hartz IV" und viele Aktivitäten in und vor den Arbeitsagenturen. Im Mittelpunkt des Büchleins stehen die aktuellen Aktionen "Zahltag", "Keiner muss allein zum Amt" sowie die Forderung nach einem Sanktionsmoratorium. In seinem Gastartikel klärt Holger Marcks auf über die Machenschaften der SGB-II-"Trägermafia", also derjenigen Firmen und Organisationen, die die Erwerbslosen für Billigjobs zurichten, sie knechten und entrechten. Das Büchlein ist empfehlenswert, weil es für Einkommensarme und Erwerbslose direkt politisch Partei ergreift. Es informiert über ihren politischen Widerstand und hilft diesen verstärken.

Anne Allex

Peter Nowak (Hg.): Zahltag. Zwang und Widerstand: Erwerbslose in Hartz IV. Unrast Verlag, Münster 2009. 80 Seiten, 7,80 EUR

Unermüdlicher Antifaschist

Viele haben ihn auf Kundgebungen sprechen hören - bei den Protesten gegen die Gebirgsjägertreffen in Mittenwald, gegen Aktionärsversammlungen der IG Farben i.A. oder auf Anti-Nazi-Demonstrationen. Vielen gab der fröhliche Optimist dabei Kraft und Hoffnung. Peter Gingold (1916 - 2006) hatte auch im hohen Alter stets einen vollen Terminkalender. In den Monaten vor seinem Tod begann er, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Wenn man das Buch liest, ist es, als würde man Peter Gingold sprechen hören - mit seinem Humor und seinen schnörkellosen Aussagen. In Aschaffenburg und Frankfurt wuchs er in einem polnisch-jüdischen Elternhaus auf und begann sich schon sehr früh "einzumischen", wie er es nennt. Mit 14 trat er in die Gewerkschaft ein, nachdem er erfahren hatte, dass sich in der Gruppe auch Mädchen befanden. Im Kommunistischen Jugendverband kämpfte er gegen die NSDAP und wurde schon 1933 festgenommen. Nach mehrmonatiger Haft kam er mit der Auflage frei, Deutschland sofort zu verlassen. Er folgte seiner Familie, die bereits nach Frankreich geflohen war. Dort lernte er seine Frau kennen, mit der er 60 Jahre verheiratet blieb, kämpfte in der Résistance und gründete mit anderen die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Ihm gelang eine atemberaubende Flucht aus den Fängen der Gestapo, er erlebte die Befreiung von Paris und später den 8. Mai 1945 in Turin, wo er in der Resistenza gekämpft hatte. In der Bundesrepublik bekamen die KommunistInnen Etti und Peter Gingold und ihre Familie den Antikommunismus hart zu spüren: Verbot der KPD, zeitweiliger Entzug der Staatsangehörigkeit, Berufsverbot für die Tochter. Und so erfährt man in dem Buch nicht nur Biographisches, sondern auch viel über den antifaschistischen Widerstand und die Nachkriegszeit.

as

Ulrich Schneider (Hg.): Peter Gingold. Paris - Boulevard St. Martin No. 11. Ein jüdischer Antifaschist und Kommunist in der Résistance und der Bundesrepublik. PapyRossa Verlag, Köln 2009. 187 Seiten, 14,90 EUR

Staat und Krise

Die gegenwärtige Krise des Kapitalismus ist auch eine Krise des Staates bzw. neoliberaler Politik. Der seit Jahrzehnten propagierte Rückzug des Staates blamierte sich angesichts des Crashs. Mehr noch: Ohne die massiven Staatshilfen und -interventionen und Verstaatlichungen wäre der Kapitalismus vielleicht schon Geschichte. Das neue Widerspruch-Heft widmet sich dem Verhältnis von Staat und Krise in elf Beiträgen. Während Elmar Altvater die Chancen eines ökologischen Keynesianismus vor dem Hintergrund des gegenwärtig herrschenden "staatsgetriebenen Kapitalismus" diskutiert, zeigt Hans-Jürgen Bieling die Brüche und Kontinuitäten des markliberalen Diskurses. Ihm zufolge wird die gegenwärtige Staatsintervention innerhalb der politischen Klassen als eine Art "Ausnahmezustand" verstanden und nicht als Bruch mit neoliberaler Politik. Henning Melber behandelt Staatenbildung in Afrika vor dem Hintergrund der krisenhaften Globalisierung. Birgit Sauer diskutiert die Relevanz der Geschlechterverhältnisse angesichts der scheinbaren "Rückkehr des Staates". Andere Aufsätze verhandeln die mit dem Crash einhergehende Krise der Staatsfinanzen und populistische Vorstöße à la Peter Sloterdijk, der den Steuer- und Sozialstaat am liebsten zugunsten eines freiwilligen Abgabe- und Almosensystems ganz abschaffen würde. Auch strategische Debatten werden in dem Heft geführt. Neben der Frage, welche Risse im Neoliberalismus alternative Strategien ermöglichen, geht es auch um gewerkschaftliche Gegenwehr und Fragen der Wirtschaftsdemokratie. Außerhalb des Schwerpunkts wird die seit mehreren Nummern geführte Debatte um Kapital-Lektüre und Marx fortgesetzt. Im aktuellen Heft stellt Max Henninger den von Karl Heinz Roth und Marcel van der Linden herausgegebenen Sammelband "Über Marx hinaus" vor.

Ingo Stützle

Widerspruch. Beiträge zu sozialistischer Politik, Nr. 57, Heft 2, 2009, 16 EUR

Deutsche Geschichtspolitik

Um die Vergangenheit für das "nationale Selbstbewusstsein" nutzbar zu machen, bedarf es Bearbeitungsformen, Gedenkrahmen, Erinnerungsorte oder: sichtbarer Zeichen. Jan Korte und Gerd Wiegel, Herausgeber eines Sammelbandes zu "neuer deutscher Geschichtspolitik", sehen im dazugehörigen Diskurs zwei Tendenzen: zum einen die verstärkte Wendung weg von deutscher Tätergeschichte hin zu deutscher Opfererinnerung, zum anderen die totalitarismustheorethische Parallelisierung von Nationalsozialismus und Realsozialismus. Die verschiedenen Beiträge folgen dieser Einschätzung, so dass sich ein roter Faden durch den Band zieht. Mit der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" wird nicht nur das Leid der Deutschen ins kollektive Gedächtnis zurückgeholt, sondern zugleich eine positive Identifikation mit der eigenen Nationalgeschichte ermöglicht. In diesem Sinne versucht auch das Gedenkstättenkonzept des Bundes den Weg hin zu einem Geschichtsbild zu ebnen, in dem das heutige Deutschland als Happy End erscheint. Folgerichtig wird diesem Happy End ein Einheits- und Freiheitsdenkmal gewidmet. Verteidiger dieser kostbaren Freiheit sind nicht zuletzt deutsche Soldaten, denen (als Investition in die Zukunft) ein Ehrenmal gesetzt wird. "Sichtbare Zeichen" setzt sich mit diesen und weiteren Aspekten deutscher Geschichtspolitik kritisch auseinander und gibt einen kurzen aber fundierten Überblick über die aktuellen Entwicklungen deutscher Geschichtspolitik.

mm

Jan Korte, Gerd Wiegel (Hg): Sichtbare Zeichen. Die neue deutsche Geschichtspolitik - von der Tätergeschichte zur Opfererinnerung. PapyRossa, Köln 2009. 170 Seiten, 12,90 EUR