Widersprüche bearbeiten lernen
Interview zum linken Think Tank Institut Solidarische Moderne
Ohne große Vorwarnung gründete sich Ende Januar das Institut Solidarische Moderne (ISM). Der linke Think Tank sorgte medial für einigen Wirbel. Nicht zuletzt deshalb, weil das Institut mit Andrea Ypsilanti (SPD), Katja Kipping (Die LINKE) und dem ehemaligen attac-Aktivisten Sven Giegold (Die Grünen) auch ein rot-rot-grünes Projekt vorwegnimmt. Bei Thomas Seibert, einem Sprecher des ISM, Aktivist bei IL (Interventionistische Linke) und attac sowie Autor von Krise und Ereignis (ak 546) hakte Ingo Stützle kritisch nach. Das Institut ist online unter www.solidarische-moderne.de zu finden.
ak: "Die Zeit ist reif für einen neuen Politikentwurf", heißt es im Gründungsaufruf - ist die Zeit des Überwinterns vorbei?
Thomas Seibert: Die Zeit des Überwinterns ist seit Seattle vorbei, seit dem Aufbruch der globalisierungskritischen Bewegungen einerseits und der Formierung der neuen Linksparteien andererseits. Problematisch ist, dass beide aktuell stagnieren, hier und außerhalb Deutschlands. Bloße Bewegungspolitik hat sich erschöpft, bloße Parteipolitik ist für sich keine Alternative. Darum geht's: eine strategische Verschiebung.
Böse Zungen würden ja sagen, wenn Linke in Deutschland nicht weiter wissen, gründen sie einen Verein ...
Das spielt sicher mit - geschenkt! Doch machen wir's noch mal groß auf: Der globalisierungskritische Aufbruch war bewegungsorientiert und konsequent staatsfern, unterlegt von einem diffus verallgemeinerten Zapatismus. Zugleich formierten sich in vielen Ländern Parteien vom Typ der italienischen Rifondazione Comunista, hier DIE LINKE. Der Akzent wurde auf die Bewegungen gelegt. Das war und ist ebenso richtig wie problematisch: Ich halte es z.B. schon seit langem für Unsinn, dass attac und die Sozialforen unterschiedslos alle Parteien ausschließen, während deutlich rechts von der LINKEN positionierte NGOs oder Sozialverbände problemlos Mitglied sind. Andererseits wurde in Italien, um das jetzt nur aufzurufen, die Allianz der Bewegungen mit der Rifondazione zum Desaster, an dem beide in dem Augenblick zerbrachen, als Rifondazione tat, was eine Partei tun soll: an einer Regierung teilnehmen. Hier liegt das strategische Problem: Wie orientiert man auf staatsferne oder auch antistaatliche Selbstermächtigung und geht gleichzeitig die Frage des Einflusses auf staatliche Politik an?
Parteien seien "nicht unser erster Gedanke", versicherte Andrea Ypslianti nach der Gründung auf einer Pressekonferenz. Die politische Debatte wird aber fast immer mit einer rot-rot-grünen Machtoption verknüpft. Wie passt das zusammen?
Die Frage muss man wortwörtlich nehmen: Wie? Das Institut hat zwei Ziele: Es will Debatten um gesellschaftliche Alternativen zum Neoliberalismus voranbringen, die über bloße Regierungskoalitionen hinausgehen, und es nimmt an der Herausbildung einer rot-rot-grünen Wahloption teil. Das darf weder in eins gesetzt noch getrennt noch verschwiegen werden. Genau besehen geht es also um drei Züge: ein umfassendes gesellschaftliches Projekt, zu dem Parteilinke, "Zivilgesellschaft", Gewerkschaften, linke Intellektuelle, BewegungsaktivistInnen und Bewegungslinke öffentlich, aber auch unter sich zusammenkommen, um ein Mitte-Links-Regierungsprojekt, das es erst seit Formierung der LINKEN geben kann, und um die Frage, was, wie und wie weit das eine mit dem anderen zu tun haben wird.
Heißt das, dass das Institut die Rolle von Parteien und Parlamentarismus auch kritisch reflektiert? Schließlich sind bei den Gründungsmitgliedern eine Menge Parteimitglieder dabei.
Das meine ich mit dem dritten Zug. Im Institut geistert die alte Idee umher, nach der starke soziale Bewegungen die Voraussetzung fortschrittlicher Regierungspolitik seien. Obwohl das faktisch zutrifft, wird soziale Bewegung so auf eine instrumentelle Bedingung der "eigentlichen", der Partei- und Staatspolitik reduziert. Die entgegengesetzte Position, das ur-grüne Doppel von Bewegungsstandbein und parlamentarischem Spielbein, glaubt umgekehrt, Partei- und Staatsform "von unten" instrumentalisieren zu können. Beide Herangehensweisen unterstellen ein letztlich harmonisches Verhältnis von staatsbezogener und staatsferner Politik. Hier fehlt - da stimmt das Wort dann - ein "neuer Politikentwurf": Wie wäre es, bewegungsforcierte parteilinke Einflussnahmen auf den Staat einerseits und eigensinnige gesellschaftliche Selbstermächtigung andererseits strategisch in ein Verhältnis zu bringen, dieses Verhältnis aber genauso strategisch als unvermeidlich konfliktives anzugehen, und das auf Dauer? Da wird's interessant, das wäre das Neue.
Mehrheiten sind doch keine abstrakten Mehrheiten, sondern immer für oder gegen etwas. Ich denke da bspw. an die nach wie vor fast unversöhnlichen Positionen von GewerkschaftsaktivistInnen und vielen Linken zum Thema Grundeinkommen - diese Widersprüche löst auch kein Institut.
Lösen nicht, bearbeiten schon. Diesen Punkt spricht der Gründungsaufruf an, wenn er sich den Austausch von "industriellen" und "postindustriellen" Linken zum Ziel nimmt. Ich erinnere hier nur an den mühsam erstrittenen attac-Kompromiss, zugleich die bedingungslose Grundsicherung, die Arbeitszeitverkürzung und den Mindestlohn zu fordern: der ist bei vielen KontrahentInnen noch gar nicht angekommen. Ein anderer Punkt ist der Widerstand gegen Kriegsführung und Kriegsfähigkeit des deutschen Staates. Da hoffe ich, dass sich die drei Parteien erst mal nicht einigen, weil eine schnelle Einigung nur zu Lasten der Anti-Kriegs-Position gehen wird.
Denkfabrik ist ja das eine; Konstitutionsprozesse von Gegenmacht und Organisierung von Hegemonie etwas anderes. Und mal ehrlich: "Wir entwickeln politische Kompetenz für wirkungsvolle parlamentarische und außerparlamentarische Umsetzungsstrategien" - das klingt anmaßend, oder?!
Anmaßung ist nicht immer schlecht. Mir fallen dazu zwei Dinge ein: Gesellschaftlich relevante Debatten haben immer schon auch in kleinen Kreisen angefangen. Entschieden werden sie stets anderswo, manchmal eben auf der Straße. Auf letzteres hoffe ich, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Gelingt das Institut, wird es mittendrin seinen Platz finden - was definitiv nicht heißt: in einer Position der Mitte.
Du repräsentierst den linken Flügel des ISM. Du bist
jedoch auch prominenter Aktivist bei der IL. Wie passt das
zusammen? Schiebt die IL das ISM nach links oder brichst du den
radikalen Stachel der IL und integrierst sie in ein
Regierungsprojekt?
Ich bin nicht als Vertreter der
IL im ISM; die IL ist am ISM nicht beteiligt. Sie
wird das auch nicht tun; ich werde nicht dafür werben, dass sie
diese richtige Position aufgibt und werde mich auch selbst nicht in
ein Regierungsprojekt "integrieren". Wie die IL sich zu dem
gesellschaftlichen Projekt des ISM verhält, wird sie entscheiden,
wenn es sich formiert hat. Sie wird das dann aber so tun, wie sie
es allein tun kann: staatsfern und antistaatlich. Weniger komplex
ist das nicht zu haben.