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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 547 / 19.2.2010

Von Kopenhagen zur Vernetzung für Klimagerechtigkeit

Perspektiven in einer Post-COP15-Welt

Bewertungen und Einschätzungen zu den Protesten beim Klimagipfel in Kopenhagen können sehr unterschiedlich ausfallen. (Vgl. ak 546) Die folgende Evaluation fällt positiv bis optimistisch aus, was wohl auch mit den inspirierenden Erfahrungen während der Organisation von und der Teilnahme an der Karawane "Handel-Macht-Klima" zusammenhängt. (1) Hinzu kommt ein Blick auf die Bedeutung der Proteste in Kopenhagen für zukünftige Vernetzung, Aktionen und Interventionen in die Klimadebatte.

Wenn der Fokus für eine Bewertung allein auf die Aktionstage gelegt wird, dann kann ohne Probleme eine lange Negativ-Liste aufgestellt werden: zu wenig Menschen auf den Straßen von Kopenhagen; wichtige Spektren einer links-alternativen Szene sind nicht aufgesprungen; zu Nordeuropa-lastig, Südeuropa war unterrepräsentiert, ganz zu schweigen von Osteuropa; zu wenige VertreterInnen aus dem Globalen Süden; kaum vorhandene Gegenöffentlichkeit und mediale Sichtbarkeit von radikalen Alternativen; zu wenig Durchschlagskraft der Aktionen; keine Gegenstrategien bezüglich der Repression durch die dänische Polizei; und für manche sicher auch: zu wenig Blockieren, Stören, Riots ...

Aber über die eigentlichen Aktionstage in Kopenhagen hinaus wird immer deutlicher, wie wichtig die Proteste waren: In Bolivien wird zu einem "Klimagipfel" der sozialen Bewegungen aufgerufen. Obgleich dies erst mal als Reaktion auf das eklatante Scheitern der offiziellen Verhandlungen zu verstehen ist, knüpft diese Zusammenkunft sicher aber auch an die sichtbare Bewegung auf den Straßen von Kopenhagen an. (2) Die Idee weiterer People's Assemblies war sowohl auf Evaluationstreffen von Climate Justice Action (CJA) als auch von Climate Justice Now! (CJN) zu hören. Über ihre Realisierung wird bereits nachgedacht. Auf anderen Kontinenten werden Klimakarawanen erwogen, nicht nur zur Mobilisierung, sondern auch zu Zwecken des Austausches zwischen Bewegungen, der gegenseitigen Weiterbildung zu Klimawandel und Kapitalismuskritik sowie der Strategieentwicklung für soziale Veränderungen. Es werden Interventionen in Kreise der Sozialforen geplant und von Bonn bis Mexiko (COP16) könnten Gegenaktionen von einem erweiterten Spektrum der Vernetzung für Klimagerechtigkeit strategisch sinnvoll sein.

Kopenhagen als Meilenstein für Klimagerechtigkeit

Gerade hinsichtlich eines der wichtigsten Ziele der CJA-Mobilisierung, nämlich die Stärkung eines internationalen Netzwerks für Klimagerechtigkeit, stellt Kopenhagen wirklich einen "Meilenstein" dar. Was daraus gemacht wird, ist die große Frage. Die Frage wäre aber auch dann dieselbe, wenn beispielsweise die Reclaim-Power-Blocks 5.000 Menschen mehr gezählt hätten, über die Zäune gekommen wären, und die People's Assembly auf dem Gelände des Bella-Centers stattgefunden hätte.

Wenn wir uns den kritischen Klimadiskurs ansehen, dann war dieser - zumindest im europäischen Kontext - ein Jahr vor Kopenhagen gespaltener und schwächer: Es gab die kräftige Stimme der NGOs (in der BRD der Klima-Allianz), die allen Ernstes die mehrheitsfähige Meinung vertrat, dass Kyoto das beste sei, was wir in der internationalen Diplomatie erreicht haben, und das daran angesetzt und weiterentwickelt werden müsste, hin zu einem "besseren Kyoto", wenigstens etwas besser. Kurz die Position: "A bad deal is better than no deal". Auf der anderen Seite gab es diejenigen, die den gesamten Kyoto-Prozess in Frage stellten und einen radikalen Wandel propagierten. Jedoch war deren Position, das "No deal is better than a bad deal", für viele nicht ernst zu nehmen und in der öffentlichen Wahrnehmung marginal.

Schon die COP15-Vorverhandlungen und dann der Klimagipfel in Kopenhagen selber haben die Sackgasse, in der die UN-Klimaverhandlungen stecken, mehr als deutlich gemacht. Das Scheitern der offiziellen Verhandlungen hat die Ratlosigkeit bei den herrschenden Eliten und die Frustration (oder auch nur Distanzierung) der Öffentlichkeit vom UN-Klimaprozess gefördert und Räume aufgemacht für neue Ansätze. In dieser Situation war es gut, eine kräftige und sichtbare Gegenmobilisierung auf die Beine gestellt zu haben. Gut waren auch die erfolgreichen Kooperationen zwischen Süd und Nord - wie z.B. auf der Karawane "Handel-Macht-Klima" - sowie die zwischen NGOs und Anti-KapitalistInnen - wie in der gemeinsamen "Reclaim-Power"-Aktion von CJA und CJN. Nicht zuletzt für die CJA-AktivistInnen selber war es ein motivierendes Erlebnis, dass auf der zentralen Großdemonstration am 12. Dezember der Block "System Change - Not Climate Change" so groß war und dass sich viele NGOs auf dem Klimaforum dieser Position stark angenähert haben, auch dem CJA-Grundsatz: Es gibt kein unbegrenztes Wachstum auf einem begrenzten Planeten. Die Außenseiter-Position des "No deal is better than a bad deal" rückte durch diese Entwicklung ins Zentrum.

Was ist die Alternative zum Deal?

Auf die Frage, "Was soll denn bitteschön die Alternative zum Deal sein?" können konkrete Gegenentwürfe aufgezeigt werden, ja eine ganze Agenda größtenteils klar antikapitalistischer Alternativen, wie sie z.B. auf der People's Assembly durch VertreterInnen südlicher Bewegungen, aber auch von den Inputs nach dem horizontalen Prozess artikuliert wurden: Öl im Boden belassen und die Förderung fossiler Rohstoffe beenden, Überproduktion und Überkonsum eines wachstumsabhängigen Wirtschaftssystems stoppen, Ernährungssouveränität durch regionale Produktion und kleinbäuerliche Landwirtschaft fördern, dezentrale und kollektiv verwaltete Energieversorgung anstreben, keine Plünderung der Ressourcen durch transnationale Konzerne, sondern Beteiligung aller Betroffenen - v.a. Indigene und Kleinbauern auf den betreffenden Territorien - an der Entscheidung jeglichen Ressourcenabbaus, ein generelles Garantieren indigener Rechte und absoluter Stopp der Regenwaldvernichtung. Viele Punkte klingen utopisch, aber für praktisch alle diese Forderungen gibt es zwingende Gründe, wenn mit der Verhinderung schlimmster Klimawandelfolgen Ernst gemacht werden soll - und sie lassen sich nur durch fundamentalen Wandel der ökonomischen und politischen Strukturen realisieren.

Gerade die Perspektive südlicher Basisbewegungen konnte eine Gegenöffentlichkeit finden. Sie wurde nicht geschaffen, z.B. in einer Wahrnehmung "dies ist die südliche Perspektive, welche mehr Berücksichtigung erfahren sollte", sondern sie hat sich in den Stimmen gegen die laufenden Verhandlungen, in die Alternativen, die im COP15-Protest artikuliert wurden, integriert.

Die Polizeirepression unterstrich dabei, dass es den Regierenden nicht nur um das Verhindern von Ausschreitungen ging, sondern auch um das Verstummen einer wahrnehmbaren antikapitalistischen Ge-genposition. Die Konfiszierung aller Aktionsmaterialien für den Reclaim-Power-Tag, die Massenverhaftungen in den Tagen vorher, die gezielte Verhaftung von angeblich "führenden CJA-Köpfen" und die Vermeidung jeder Art von Bühne für die People's Assembly (der Soundwagen wurde gerade in jenem Moment von der Polizei beschlagnahmt, als sich die RednerInnen für die Eröffnung der Versammlung dorthin bewegten) zeigen, dass die bis dahin und über die gesamten Tage hinweg friedlichen Proteste kriminalisiert werden sollten, damit die Massenmedien wieder ihr Lied von den "Chaoten" anstimmen können, anstatt von Inhalten der Proteste zu berichten. Selbst der kleine Demozug einiger Delegierter und NGOs aus dem Bella Center heraus in Richtung People's Assembly musste mit Polizeigewalt zurückgehalten werden. Das Bild einer "Vereinigung" von drinnen und draußen sollte unbedingt vermieden werden.

Für zukünftige Vernetzung, Kampagnen und Kämpfe um das Thema Klima und grüner Kapitalismus ist die Tatsache des "No deal" eine wichtige und günstige strategische Ausgangslage, die es in dieser Form vor Kopenhagen, als die mediale Öffentlichkeit noch auf die politischen "Retter" schaute, nicht gab. In meinen Augen dürfte es jetzt auch spannender für andere linke und radikale Spektren werden, sich in eine Vernetzung für Klimagerechtigkeit einzubringen. Ist es jetzt doch allzu offensichtlich, dass es bei Klimagerechtigkeit nicht um Naturschutz-Themen geht, sondern um die Veränderung eines gesamten (Welt-)Wirtschaftssystems.

Peoples Assemblies als Schritt zur Selbstorganisation

Der Zusammenkunft der sozialen Bewegungen in Bolivien im April diesen Jahres wird es sehr wahrscheinlich um den Entwurf eines antikapitalistischen Produktions- und Distributionssystems gehen. Zumindest ist es das, was in meinen Augen aus der Forderung, sich für die Rechte einer "Pachamama", einer "Mutter Erde" einzusetzen, herausgelesen werden kann. Wenn dieser Bezugspunkt nicht archaisch gemeint sein soll, dann wäre das emanzipative Moment eine Erde ohne Kapitalismus. In ähnlicher Weise ließe sich der progressive Charakter der People's Assemblies entwickeln, als autonome Selbstermächtigung, und in einer verstetigten Form vielleicht auch als konkrete lokale bis internationale Selbstorganisation. Hier wird es langsam etwas utopisch, aber für eine umfassende Bewertung der politischen Ereignisse in Kopenhagen spielt dies durchaus eine Rolle. Bezüglich der Perspektiven steht für die Bewegung ähnliches an, wie vor zehn Jahren nach Seattle: Wie können wir nach einem historischen Scheitern offizieller Verhandlungen die frei gewordenen Räume besetzen, den Diskurs verschieben und mit unseren Kämpfen um Alternativen in die Offensive kommen? Und was bedeutet es, unsere "lokalen Hausaufgaben" zu machen, auf welche sich nach solchen Gipfelereignissen immer wieder bezogen wird?

Da landen wir dann bei den Besetzungen von Kohlekraftwerken, bei der Infrage-Stellung der Konsummuster im industrialisierten Norden, bei individueller Mobilität vs. kostenfreien öffentlichen Nahverkehr und bei all den klimarelevanten Kampagnen, die bisher noch viel zu wenig Zugkraft hatten, als dass sie Ausdruck einer Bewegung gewesen wären. Eine Einschätzung, die sowohl bei CJA-Evaluationstreffen als auch bei der Karawane-Auswertung zu hören war, sieht Kopenhagen als eine wichtige Zäsur in der Klimadebatte und als Schub für Vernetzungsprozesse sozialer Bewegungen. Das Jahr 2010 kann in dieser Hinsicht spannend werden!

Jürgen Kraus

Anmerkungen:

1) www.climatecaravan.org

2) Vgl. Peoples' World Conference on Climate Change and Mother Earth's Right: http://cmpcc.org