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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 547 / 19.2.2010

Die Machtfrage ist gestellt

Die iranische Opposition fordert das Regime heraus

Anfang Februar nutzten die Machthaber des islamischen Regimes im Iran die Münchner Sicherheitskonferenz, um die Atomdiskussion neu anzuheizen. Erst wurden Kompromisse in Aussicht gestellt, dann wurde die Urananreicherung angekündigt. Der Westen gab sich empört, einzelne US-Senatoren forderten mal wieder Militärschläge. Dies alles geschah kurz vor dem 31. Jahrestag der Iranischen Revolution am 9. Februar, dem 22. Bahman iranischen Kalenders. Präsident Ahmadinedschad erklärte auf der Regierungskundgebung anlässlich des Revolutionstages Iran endgültig zum Atomstaat. Dieses Thema bestimmte dann weitestgehend das Interesse im Westen. Im Iran selbst ist die Atomenergie aber eine Randfrage. Das Land befindet sich in einer vorrevolutionären Periode.

Bereits im Herbst erlebten wir weitere wichtige Erfolge der Protestmobilisierung, jeweils an symbolischen Jahrestagen, die im Iran schon immer eine wichtige Rolle für zivilgesellschaftliche Aktivitäten gespielt haben. Wenn in einer Diktatur soziale Bewegungen nicht die Infrastruktur entwickeln können, um Proteste anzusetzen und diese über ihre Kanäle bekannt zu machen, übernehmen Jahrestage eine Ersatzfunktion, die den Protest markieren.

Der 13. Aban, der 4. November, ist gleichzeitig der Jahrestag zweier wichtiger Ereignisse. Im Jahre 1978 kam es an diesem Tag zu einer größeren Kundgebung von SchülerInnen und Studierenden auf dem Campus der Teheraner Uni, bei der die Armee des Schah in die Menge schoss und viele Jugendliche umgebracht wurden. Im Jahr darauf, die Revolution hatte inzwischen gesiegt, besetzten militante Jugendliche der radikalislamischen Khate Immam die US-amerikanische Botschaft in Teheran. Dieser Tag, den das Regime für antiamerikanische Zeremonien benutzte, wurde ähnlich wie der Al-Quds-Tag im September zum Mobilisierungsanlass für die Opposition.

Jahrestage werden für die Mobilisierung genutzt

Neu war im vergangenen Jahr die geographische Breite des Protests. Den Sicherheitskräften gelang es wieder nicht, Demonstrationen zu unterbinden, und so kam es in vielen großen und mittelgroßen Städten zu größeren Protesten. In Teheran fanden die meisten Zusammenkünfte außerhalb des Stadtkerns statt, wo es weniger Sicherheitskräfte gab. Zum ersten Mal wurden Bilder des geistlichen Führers Chamenei von den Wänden gerissen - was stark an die Revolution von 1979 erinnert, als Statuen und Bilder des Schah heruntergerissen wurden.

Die nächste wichtige Station war der 16. Azar, der 7. Dezember, der Tag der Studierenden. An diesem Tag im Jahre 1953, kurz nach dem von der CIA unterstützten Militärputsch, wurden bei Protesten gegen den Besuch von US-Vizepräsident Nixon drei linke Studenten von der Polizei erschossen. 2009 überließen die Repressionsapparate die Universitätsgelände den Demonstrierenden, versuchten aber alles, eine Ausweitung der Demos in die Städte zu unterbinden. Die Demonstrationen in den Unis waren sehr stark und von neuer politischer Radikalität geprägt. An der Teheraner TU z.B. wurden Bilder von Chamenei verbrannt und "Tod den Basijis" (Paramilitärs) gerufen. Die landesweiten Proteste blieben aber weitgehend auf die Unis beschränkt.

Die neue Runde der Radikalisierung wurde bei den "Ashura-Unruhen" am 27. Dezember erreicht. Der Ashura ist der höchste religiöse Trauertag für die Schiiten, an dem überall in den Straßen Trauerprozessionen stattfinden. Die Opposition nutzte die Chance, da es an diesem Tag kaum möglich war, Ansammlungen zu verhindern. Die Sicherheitskräfte verloren schnell die Kontrolle und antworteten mit Härte. Zum ersten Mal seit Monaten wurde wieder scharf in die Menge geschossen. Dabei wurde auch der Neffe des Oppositionspolitikers Mussawi auf offener Straße von Paramilitärs erschossen. Allein diese Tatsache bedeutet eine große symbolische Niederlage für das Regime. Religiöse Vorschriften verbieten es an diesem heiligen Tag strengstens, Gewalt gegen andere anzuwenden. Diese Gewaltwelle schwächte die kleine verbliebene Basis der Machthaber noch weiter, wie sich bald herausstellte.

Auf der anderen Seite zeigten die Demonstrierenden eine neue Qualität der Militanz. Sehr viele Videos auf Facebook zeigen Polizeieinheiten im Steinhagel. Teherans Straßenbild war von brennenden Barrikaden geprägt. Es kamen erste Berichte von der Kapitulation von Polizeieinheiten, vielerorts sollen sich Sicherheitskräfte, auch wegen der religiösen Aufladung dieses Tages, geweigert haben zu schießen. Erste Plünderungen von Polizei-Kasernen wurden aus dem Norden Irans gemeldet. Interessant ist dabei das Verhalten der Demonstrierenden, die sich zwar wehrten, aber vereinzelte Polizeieinheiten, die sich ergaben, human behandelten. Sie wurden entwaffnet, aber nie misshandelt. Es ist das Muster einer Militanz, die sich nicht in der Gewalt- und Rachelogik verliert; das hat Modellcharakter für antidiktatorische Befreiungsbewegungen.

Die Brutalität der Polizei an diesem Tag schwächte den Rückhalt des Regimes in den unentschlossenen und stark religiösen Schichten noch weiter. Dies wurde deutlich, als die Regierung zwei Tage später zu einer Gegenmobilisierung rief, die aber relativ klein blieb. In Teheran waren nach unterschiedlichen Schätzungen 80.000 bis 200.000 Leute auf den Beinen. Für eine populistische Regierung in diesem Ballungszentrum mit über zehn Millionen Menschen war das in solchen Zeiten eine deutliche Niederlage. In Karaj, einer Stadt nahe Teheran mit mehr als einer Million EinwohnerInnen, beteiligten sich gerade mal 500 Menschen an dem Regierungsmarsch.

Die Radikalität der Proteste auf der einen und die Schwäche der Regierung auf der anderen Seite sorgten in den darauf folgenden Wochen für neue Bewegung in den politischen Lagern. Im Lager der oppositionellen Politiker wuchs die Sorge über die neue Straßenmilitanz. Es begann eine Gewaltdebatte, und die "Gewalttäter" wurden scharf kritisiert, während gegenüber den Machthabern Gesten der Versöhnung zu beobachten waren. Der ehemalige Reformpräsident Chatami sprach sich gegen die "Radikalen in beiden Lagern" aus, und Mussawi verlangte in einer Erklärung nicht mehr die Absetzung der Regierung, sondern stellte konkrete Forderungen an diese, was als Zeichen der Anerkennung der Regierung ausgelegt wurde.

Das Regierungslager ist in zwei Fraktionen gespalten

Gleichzeitig haben innerhalb des Regierungslagers die Spannungen zugenommen. Die Rechten sind seit Langem in zwei große Lager gespalten: die alten Konservativen, angeführt vom Parlamentspräsidenten und ehemaligen Atomunterhändler Laridjani auf der einen, Ahmadinedschad und die Hauptteile der Repressionsapparate auf der anderen Seite. Ahmadinedschad wollte in Form einer "Schocktherapie" die Subventionen für Benzin und Brot auf einen Schlag aufheben und damit eine große Teuerung in Kauf nehmen. Von der konservativen Mehrheit im Parlament wurde dieses Programm abgelehnt und schrittweise auf fünf Jahre ausgedehnt.

Laridjanis Block versuchte, mit vorsichtigen Schritten der Annäherung an die Opposition die Lage zu beruhigen. So wurde unter anderem das Ahmadinedschad nahestehende und für seine harte Linie bekannte Journal Hemmat verboten. Im staatlichen Fernsehen wurden wieder einige Streitgespräche ausgestrahlt, bei denen auch Oppositionspolitiker zu Wort kamen. Ein Untersuchungsausschuss des Parlaments veröffentlichte ein monatelang geheim gehaltenes Dossier, in dem der Ahmadinedschad nahestehende ehemalige Teheraner Justizchef für die brutale Behandlung von politischen Gefangenen im berüchtigten Haftanstalt Kahrizak verantwortlich gemacht wurde. Als Schlüsselfigur hinter dieser Strategie des Kompromisses und der Annäherung wird der ehemalige Präsident Rafsandschani vermutet, der bis zum Aufstieg Ahmadinedschads immer hinter dem geistlichen Führer als Nr. 2 des Systems galt; er ist dafür bekannt, hinter der Bühne zu agieren.

Diese Strategie war aber nicht von Erfolg gekrönt. Die Hardliner um Ahmadinedschad eskalierten die Lage weiter mit ihrem hartem Vorgehen, und der Konflikt verschärfte sich in den letzten Wochen wieder. Die Festnahmen von AktivistInnen gingen nach den Ashura-Unruhen in eine neue Runde. War in den ersten Monaten vor allem der Apparat der innerstaatlichen Opposition und ihr Umfeld von der Repression betroffen, wurde nun die Verhaftungswelle massiv auf AktivistInnen der Linken und der sozialen Bewegungen ausgeweitet. Vielerorts sind mobile und provisorische Gefangenenlager entstanden. Von der in den letzten zehn Jahren insbesondere an den Universitäten entstandenen marxistischen Linken sind nahezu alle AktivistInnen entweder verhaftet oder in den Untergrund abgetaucht. Der Höhepunkt der Repressionswelle war dann Mitte Januar erreicht, als zum ersten Mal zwei Gefangene im Zusammenhang mit der aktuellen Protestbewegung hingerichtet wurden. Weitere neun sind von der Hinrichtung bedroht.

Unter diesem Eindruck und kurz vor dem Revolutionstag wurden die Erklärungen der Oppositionspolitiker wieder schärfer. Der als sehr moderat geltende Chatami sprach davon, das Demonstrationsrecht gelte auch für Menschen, die die gesamte Ordnung nicht wollten. Letzte Woche erklärte Mussawi, dass die Revolution von 1979 ihr Ziel verfehlt und die Wurzel der Diktatur nicht beseitigt habe.

Der mit Spannung erwartete Revolutionstag, der 22. Bahman, verlief für die Oppositionsbewegung aber ernüchternd. Drei Mal hatte sie es schon geschafft, Mobilisierungen des Regimes an symbolischen Gedenktagen zu "kapern": beim Freitagsgebet im Juli, als das traditionelle Treffen der Regimetreuen zum Ausgangspunkt von Massendemos der Opposition wurden, am Al-Quds-Tag im September, als die anti-israelischen Demos von so vielen Oppositionellen besucht wurden, dass sie zu Anti-Regime-Demos wurden, und am 13. Aban.

Zunehmende Straßenmilitanz und Gewaltfreiheitsdiskurs

Diesmal hatte die Regierung sich besser vorbereitet. Von überall wurden Regimetreue nach Teheran verfrachtet, so dass zum ersten Mal der größte Platz in Teheran, der Azadi-Platz, mit Anhängern Ahmadinedschads voll gepackt war. Militärische Verbände bauten einen massiven Ring um den Platz, so dass keine größere Menge von Oppositionellen durchsickern konnte. Die Strategie der Opposition, sich auf diesem Platz während der Regierungsdemonstration zu versammeln, ging nicht auf. So sah man zwar in den umliegenden Stadtteilen und auch in anderen Städten wie Shiraz, Isfahan und zum ersten Mal auch in Tabriz oppositionelle Demonstrationen und Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften, aber die Bewegung schaffte es nicht, diesen Tag für sich zu nutzen. Eine genaue Einschätzung der oppositionellen Aktivitäten war aber auch dadurch erschwert, dass die Internetsperren an diesem Tag besser als sonst funktionierten und kaum Videos von Aktionen über das Web zu sehen waren.

Die weitere Ausweitung der Bewegung hängt jetzt stark von ihrer Verbindung mit den sozialen Kämpfen ab. Die Unzufriedenheit über den Preisanstieg durch die Kappung von Subventionen müsste genutzt, die betrieblichen Kämpfe, die besonders im Spätsommer wieder aufflammten, müssten viel direkter mit der Oppositionsbewegung verknüpft werden. Und auch die Frage der ethnischen Minderheiten. Zwar regt sich in den Provinzen langsam mehr Widerstand, aber mit Ausnahme moderner Städte wie Shiraz oder Isfahan ist Teheran die alleingelassene Megacity im Dauerkampf.

Ferner braucht die Bewegung eine intensivere Debatte über ihre Taktik auf der Straße. Auch wenn punktuell die Straßenmilitanz an Stärke zugenommen hat, bestimmt ein Diskurs der Gewaltfreiheit die Opposition. In den konkreten Auseinandersetzungen bei den Demonstrationen wirkt das verwirrend und entwaffnend und trägt so zur Entmutigung bei. Der Mittwoch nach dem persischen Neujahrsfest Ende März, ein heidnischer Festtag, der vom Regime bitter bekämpft wurde, war in den letzten zehn Jahren immer wieder Schauplatz einer Jugendrevolte. Dieses Jahr könnte im Kontext der neuen Bewegung daraus ein Kräftemessen mit den Sicherheitskräften werden.

Pedram Shahyar