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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 548 / 19.3.2010

Aufgeblättert

DDR-Opposition und deutsche Einheit

Wenn Andreas H. Apelt, ein bekennender Deutschnationaler vom rechten Rand der Union, ein Buch über die DDR-Opposition und die "deutsche Frage" vorlegt, ist dessen Stoßrichtung von vornherein klar. Trotzdem ist das Buch interessant, wenn man sich auf die Fakten konzentriert, die der Autor anführt, und nicht auf das, was er bezweckt. Denn er mag noch so oft behaupten, die Mehrheit der DDR-Bevölkerung sei immer für die "Wiedervereinigung" gewesen - seine Quellen sprechen eine andere Sprache. Danach gab es noch bis Dezember 1989 eine Mehrheit für eine eigenständige DDR. Erst die massive Einmischung der Bundesregierung brachte diese Mehrheit zum Kippen. Dass Apelt das begrüßt, ist nicht verwunderlich. Er gehörte selbst als Aktivist des Demokratischen Aufbruchs zu den führenden Protagonisten des rechten Flügels der Bewegung. Mit der Deutschen Gesellschaft, dem Neuen Deutschen Nationalverein und dem Deutschen Kreis stellt der Autor drei bisher wenig beachtete rechte Denkfabriken vor, die seit 1989 an der Förderung eines deutschen Nationalismus arbeiten. Das Treiben des rechten Randes in und außerhalb der Union sollte von linker Seite genauer betrachtet werden. So wie es Anfang der 1980er Jahre Linke in der BRD taten, die sich kritisch mit nationalistischen Positionen in Teilen der mit der DDR-Dissidentenszene verbandelten Alternativbewegung auseinandergesetzt haben. Bei Apelt finden diese Aktivitäten eine ausführliche Würdigung. Unter anderem erwähnt er von westdeutscher Seite Figuren wie Alfred Mechtersheimer, Rolf Stolz, Herbert Ammon und Theodor Schweisfurth, die nicht nur als Autoren der Jungen Freiheit fest im rechten Lager verankert sind.

Peter Nowak

Andreas H. Apelt: Die Opposition in der DDR und die deutsche Frage 1989/90. Christoph Links Verlag, Berlin 2009. 344 Seiten, 34,90 EUR

Politische Geschichte der Türkei

Der britische Historiker Perry Anderson beschreibt die politische Geschichte der Türkei vom Zerfall des Osmanischen Reiches und der Gründung des türkischen Staates nach dem Ersten Weltkrieg bis zur derzeitigen Regierung Erdogan. Anderson arbeitet die Kontinuitäten türkischer Politik heraus und führt sie einer Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei zu. Drei große Hindernisse sieht Anderson, die dem EU-Beitritt im Weg stehen: die militärische Besetzung eines Teiles von Zypern; die vor Krieg und brutaler Repression nicht zurückschreckende Minderheitenpolitik gegenüber fast einem Drittel der Bevölkerung (Kurden, Aleviten, Christen); die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern. Der armenisch-türkische Journalist Hrant Dink, der davon sprach, wurde wegen "Herabsetzung des Türkentums" angeklagt und 2007 in Istanbul auf offener Straße ermordet. Mehrere Straßen, Stadtviertel und Schulen sind allein in Istanbul nach den jungtürkischen Haupttätern des Völkermordes benannt. Anderson nennt die Regierung Atatürks ein Kabinett aus "Veteranen des Genozids". Ein Wahn aus erdichteter Urtürkei, systematischer Turkifizierung und ethnischer Säuberung ist das ideologische Gift, mit dem sich die türkische Republik von Anfang an nährte. Offizieller Säkularität zum Trotz bleibt die mindere Rechtsstellung von Andersgläubigen im Islam ein Hemmschuh für Reformen. Auch die Regierung der AKP fährt auf den Schienen des Nationalismus weiter, nur der Islam soll in der Öffentlichkeit stärker auftreten. Die Zerschlagung der kurdischen Guerilla-Aktionen im Winter 2007 an der irakischen Grenze wurde von der Gesellschaft mit einem chauvinistischen Orkan begleitet. Das Militär hat alle Freiheiten. Für diese Großzügigkeit lässt es die AKP ihre politischen Ziele verfolgen, die Gesellschaft systematisch zu islamisieren und den Staatsapparat mit zuverlässigen Anhängern zu besetzen.

Klaus-Peter Lehmann

Perry Anderson: Nach Atatürk. Die Türken, ihr Staat und Europa. Berenberg Verlag, Berlin 2009, 184 Seiten, 19 EUR

Moskau 1937

Das Jahr 1937 markiert eine Zäsur nicht nur für die Sowjetunion unter der Diktatur Stalins. Die sowjetische Hauptstadt, so der Historiker Karl Schlögel, "ist ein Schauplatz der europäischen Geschichte. Moskau liegt nicht irgendwo, sondern auf einer Bruchstelle der europäischen Zivilisation. Die Toten von 1937 sind die Zeitgenossen des einen grenzüberschreitenden ,Jahrhundert der Extreme`. Daher gehört Moskau 1937 zur Selbstverständigung darüber, was das 20. Jahrhundert für Europa war." Schlögels 800 Seiten starkes Buch handelt vom Terror, aber auch vom Traum, von Reichtum und von Zerstörung. Moskau ist der Schauplatz rasanter Modernisierung und mörderischer Tyrannei. Mittendrin die Genossen von der "alten Garde" der Revolution, die rücksichtslos liquidiert werden, vorher aber noch - wie Bucharin - durch absurde Selbstbezichtigungen der Partei einen letzten Dienst zu erweisen meinen. Schlögels Buch ist nicht nur reich an Fakten, sondern auch plausibel in seinen Deutungen.

Js.

Karl Schlögel: Terror und Traum. Moskau 1937. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2008. 815 Seiten, 4 EUR incl. Porto

Sozialismus oder Barbarei

Mehr als andere beeinflussten zwei kleine Gruppen die Revolte des Mai 68: die Situationisten um Guy Debord und Raul Vaneigem sowie die kleine linksradikale Organisation Socialisme ou Barbarie. "Die Gruppe um Cornelius Castoriadis und Claude Lefort war der entscheidende Impulsgeber für alle jene Bestrebungen, die in der globalen Sozialrevolte der späten 1960er Jahre die Bedürfnisse nach individueller Selbstverwirklichung mit den gesellschaftlichen Bestrebungen nach egalitärer Selbstbestimmung verknüpften", schreiben Karl-Heinz Roth und Marcel van der Linden in "Über Marx hinaus". Im deutschsprachigen Raum fehlte bisher eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte von Socialisme ou Barbarie und ihren Inhalten. Mit "Antizipierte Autonomie. Zur Theorie und Praxis der Gruppe ,Socialisme ou Barbarie` (1949-1967)" wird diese Lücke geschlossen. Beschrieben wird der Weg der Organisation und der gleichnamigen Zeitschrift von einer trotzkistischen Splittergruppe hin zu einer der produktivsten Strömungen der radikalen Linken. Lesenswert! Zwei schmale, vor kurzem neu veröffentlichte Bändchen von Lefort und Castoriadis machen deutlich, wieso Socialisme ou Barbarie so einflussreich war. Beide Bändchen enthalten Texte, die inmitten der Revolte von 68 geschrieben wurden. Sie haben nichts von ihrer analytischen Tiefenschärfe verloren. Kompetente Einführungen zum Werk der Autoren lassen die Bücher aus der unüberschaubaren Fülle an Literatur zum Thema 68 herausragen. Bei der Edition AV sind bisher drei Bände der Ausgewählten Werke von Castoriadis erschienen. Die Herausgeber Michael Halfbrodt und Harald Wolf wollen damit das krasse Missverhältnis abmildern zwischen dem großem Anregungspotenzial und der geringen Beachtung, die Castoriadis' Werk in Deutschland zuteil wird. Unverzichtbar für alle, die sich näher mit Grundbegriffen wie Autonomie, Demokratie und Revolution beschäftigen wollen.

Josef Moe Hierlmeier

Andrea Gabler: Antizipierte Autonomie. Zur Theorie und Praxis der Gruppe "Socialisme ou Barbarie" (1946-1967). Offizin-Verlag, Hannover 2009. 294 Seiten, 28,80 EUR

Cornelius Castoriadis: Mai 68. Die vorweggenommene Revolution. Verlag Syndikat-A, Moers 2009. 82 Seiten, 7,90 EUR

Cornelius Castoriadis: Autonomie oder Barbarei. Ausgewählte Schriften 1. Verlag Edition AV, Lich 2006. 221 Seiten, 17 EUR

Claude Lefort: Die Bresche. Essays zum Mai 68. Verlag Turia + Kant, Wien 2008. 92 Seiten 10 EUR