Hamburg High Heels
Städtische Raumproduktion voll Widerstand und Selbstverwaltung
"Sie erleben gerade den Beginn einer neuen Bewegung für das Recht auf Stadt." - vollmundige Ankündigung auf der Demonstration "Die Stadt gehört allen" im Juni 2009. Ein halbes Jahr später konnte diese Bewegung Erfolge verzeichnen, die kaum jemand für möglich gehalten hätte: Eine bereits verkaufte Immobilie in zentraler Innenstadtlage wurde rekommunalisiert: das Gängeviertel. Eine städtische Debatte über die Absichten und Folgen von Immobilienverwertung und urbaner Planung ist in Gang gekommen. Wie ein Lauffeuer haben sich die Initiativen und der Slogan "Recht auf Stadt" über die Stadt ausgebreitet. Jüngst schob das Hamburger Oberverwaltungsgericht den Bauplänen des Vattenfall-Konzerns für die Moorburgtrasse (1) erstmal einen Riegel vor. Wow! Wie konnte das geschehen?
Frühsommer 2008: Das Centro Sociale wird als Stadtteiltreff und Kontrapunkt zur Gentrifizierung im Schanzenviertel eröffnet +++ April 2009: 130 KünstlerInnen ziehen nach Vertreibung von anderen Orten in Altona und St. Pauli in das Frappant, ein ehemaliges Karstadt-Kaufhaus +++ Juni 2009: Das Netzwerk Recht auf Stadt konstituiert sich: "Nehmen wir uns das Recht auf Stadt! Es liegt auf der Straße, es hängt in Bäumen und versteckt sich unter Pflastersteinen." +++ Juli 2009: Der Bezirk Altona gibt den Abrissplan für das Frappant bekannt. Stattdessen soll dort ein IKEA-Kaufhaus gebaut werden +++ 22.8.09: Das Gängeviertel, ein Arbeiterquartier aus dem 17. Jahrhundert, wird mit einer Bilderausstellung unter Schirmherrschaft von Daniel Richter besetzt. Im November kauft die Stadt das Quartier vom Investor zurück. Aktuell laufen Verhandlungen über die Nutzung +++ 27.8.09: Das Bürgerbegehren gegen IKEA wird angemeldet. Im Gegenzug gründet sich ein Pro-IKEA-Begehren mit Unterstützung des Bezirks, lokaler Presse, des Einzelhandels und der meisten Parteien. Im Winter steht der Konflikt im Zentrum der Hamburger Öffentlichkeit. Pro und Contra werden in Live Sendungen im Lokalfernsehen und in Presseinterviews verhandelt +++ Herbst 2009: "Not In Our Name, Marke Hamburg!" (2) Ein Manifest zirkuliert im Internet. Verfasst haben es mehrere bekannte KünstlerInnen. Binnen kurzer Zeit unterzeichnen über 4.000 Leute. Das Manifest wird in der Hamburger Bürgerschaft diskutiert +++ 16.1.10: Das Hamburger Abendblatt (Springer) titelt: "Senat will Schutzschirm für die Mieter. Die Politik will in den Stadtteilen St. Pauli und St. Georg mit der Erhaltungsverordnung die weitere Gentrifizierung verhindern."
Die urbane Bewegung hat den Hamburger Senat dazu gebracht, sich in ihrem Vokabular von seiner eigenen Politik zu distanzieren. Hamburgs "kreative Klasse" hat ihre Ansprüche gegen die "Marke Hamburg" in Stellung gebracht, die als "pulsierende Metropole" Kulturschaffenden das anregendste Umfeld biete. Nichts an der neuen urbanen Bewegung erinnert an die konfrontativen Strategien, die die BesetzerInnen der Hafenstraße in den 1980er Jahren anwandten. Oder doch? Frank John aka mctimetunnel, Hafenstraßenbewohner der frühen Stunde, geht im Selbstgespräch auf stadtpolitische Erkundungstour.
mctimetunnel: Was sind, was waren für dich wesentliche Faktoren bei der Entstehung dieser städtischen Unruhe?
Frank John: In der Stadt ist genügend kritische Masse entstanden, um eine Kettenreaktion in Gang zu setzen. Es gibt den Wunsch, eine als unzumutbar empfundene Situation zu verändern und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Dieser Wunsch hat in einem sehr gut platzierten Ereignis seinen Katalysator und Umschlagpunkt gefunden - das war die Besetzung des Gängeviertels. Die Menge kleiner lokaler Geschichten und Anekdoten haben die Eigendynamik einer städtischen Erzählung angenommen. Bewaffnet mit Klischees des politischen Gegners und des Mainstreams und durch die Thematisierung der eigenen sozialen und subjektiven Lagen (sei es als Künstlerin, Mieterin, Bürgerin, Schrebergärtnerin) hat die Produktion von etwas Gemeinsamen begonnen.
Was sind das für "kleine lokale Geschichten und Anekdoten", von denen du sprichst?
Vorweg. Was ich in Hamburg über die letzten 20 Jahre erlebt habe, war die kontinuierliche, widerborstige und gemeinwesenorientierte Präsenz einer Kritik der öffentlichen Räume und des kommunalen Ausverkaufs. In den 1990er Jahren standen die Stadtteile St. Georg und St. Pauli mit dem Symbol Park Fiction (siehe ak 449) und den Konflikten um die Drogenpolitik im Zentrum der Aufmerksamkeit. In dem Kontext hat auch eine bemerkenswerte Aktion stattgefunden: die Besetzung des Hafenkrankenhauses durch NachbarInnen in Kooperation mit PatientInnen und Angestellten gegen die Schließung.
Die Proteste rund um die Räumung des Bauwagenplatzes Bambule Ende 2002 haben einen Einschnitt markiert. Trotz kreativer Präsenz auf der Straße hat der Protest keine Veränderung mehr bewirkt. Dennoch hat sich diese Kritik über die Stadt ausgebreitet.
In den letzten Jahren hat es eine beständige Debatte um die Rolle von KünstlerInnen und anderen WissensarbeiterInnen in städtischen Entwicklungsprozessen gegeben. Dazu hat ein Teil der Hamburger Künstlerschaft eine Machtprobe mit dem Establishment des Kulturbetriebs, dem Hamburger Kunstverein, gewagt. Ob Kunst einen gesellschaftlichen Auftrag hat, sich selbst genügt oder Ware ist, war auch in den Studiengebührenstreiks an der HfbK (Hochschule für bildende Künste) Thema.
Die jahrelangen Kontroversen um Volksentscheide und Bürgerbegehren runden das tief empfundene Misstrauen gegen die Politik Hamburg ab. Diese Storys blieben unverbunden, bis mit der Initiative für ein Centro Sociale eine erste Entscheidung für einen eigenen Weg getroffen wurde. In diesen Geschichten gab es eine Ausbildung, Schulung und Organisierung von Kritik plus Aneignung von Wissen über die politischen, ökonomischen und medialen Diskurse und Mechanismen in der Stadt. Der Dokumentarfilm "Empire St. Pauli" produzierte die passenden Bilder und schürte im Sommer 2009 Zorn bei tausenden ZuschauerInnen (ak 539). Bei Park Fiction war ein Slogan "Die Wünsche werden die Wohnung verlassen". Heute verlassen die Wünsche und Initiativen ihre Hinterhöfe.
Wie siehst du als Teilnehmer der Hafenstraßenbesetzung der 1980er Jahre die Shooting Stars vom Gängeviertel?
Diese Besetzung war klug geplant. Die TeilnehmerInnen hatten überlegt, was sie wollen und welche Mittel ihren Möglichkeiten und Lebenslagen entsprechen. Dafür wurde eine Menge Know-how aus lokalen und internationalen Quellen und Begegnungen aufgenommen. So entstand eine Argumentation, die sowohl das über Jahre angesammelte Unbehagen als auch die Wünsche in der Stadt artikulierte und in eine Form übersetzte, mit der sich viele identifizieren konnten.
Zur Hafenstraße: Einige hatten Ende der 1980er Jahre eine Ausdehnung in den Stadtteil begonnen aus den Erfahrungen, die wir während der Barrikadentage gemacht hatten. Diese Militanz war kaum zu toppen, ihre Unterstützung nicht beliebig abrufbar. Was für heute wichtig ist: In diesen fast 15 Jahren Stadtteilkämpfen sind informelle Beziehungen, Vertrauensverhältnisse, Infrastrukturen und Selbstbewusstsein gewachsen, die heute präsent sind. Sie haben sich in die lokalen Geschichten eingeschrieben und in die aktuelle Bewegung transformiert.
Unsere Geschichte hat einen tiefen Abgrund offenbart. Sie hat gezeigt, wie weit die Spaltung in der Stadt reicht. Viele überlegen sich, ob sie da noch einmal reinblicken wollen. Sie fragen sich, ist eine Konfrontation wie zu Zeiten der Hafenstraße wünschenswert? Was sind heute die Einsätze, mit denen die Beteiligen die Auseinandersetzung gewinnen können? Die BesetzerInnen aus dem Gängeviertel wussten, das die Bilder einer Ausstellung eine Waffe sein können. Auch sie achten darauf, was ihr Spiel ist, was sie können und was nicht. Heute würde die Politik allzu gern die Militanz der 1980er Jahre herbeireden. Damit könnte sie einfacher umgehen als mit der aktuellen Bewegung.
Mit dem Bürgerbegehren für das IKEA-Kaufhaus musstet ihr eine empfindliche Schlappe einstecken ...
Shit happens. Dass der Gegner kämpft, kann man ihm nicht vorwerfen. Vielen war klar, dass das Bürgerbegehren ein zweischneidiges Schwert ist. Auch wenn die Proteste große Aufmerksamkeit erreicht und zeitweise den Diskurs in der Stadt bestimmt haben, bedeutet das nicht, dass sie die Stimmung aller BürgerInnen repräsentieren. Die schweigende Mehrheit hat sich in der Abstimmung für das IKEA-Kaufhaus in Altona mobilisiert - und gegen das Frappant als Stein gewordene Enttäuschung des Wohlfahrtsversprechens der 1970er Jahre.
Der gesellschaftliche Mobilisierung und Polarisierung im Bürgerbegehren, der Öffentlichkeit der Argumente und dem Infragestellen städtischer Planungsprozesse gewinne ich viel Positives ab. Es hat jede Menge Spaß gemacht, und unser Anliegen ist eine unüberhörbare Stimme in der Stadt geworden.
Meine Meinung: Die Entscheidung zum Baustopp der Moorburgtrasse ist ein klares Signal, dass es nicht einfach so weitergeht. Es bedeutet, dass auch andere Kreise sich Gedanken machen, wie sozialer Friede aussieht bzw. wer welchen Preis dafür zahlt.
Nun versucht die Politik einen Diskurs, der repräsentative Legitimation im Namen des Allgemeinwohls wieder gewinnen will. Den Bürgerinitiativen und dem Recht-auf-Stadt-Zusammenschluss wirft sie die Betonung von Partikularinteressen vor.
Ja, und zu Recht. Wir artikulieren besondere - partikulare - Interessen, die in der städtischen Politik nicht mehr vorkommen. Mannigfache Bevölkerungsgruppen wurden mit ihren Interessen weder von Gewerkschaften, Parteien, noch von Kirchen oder Verbänden repräsentiert. In den Handlungskonzepten rund um das Gängeviertel, Centro Sociale und Frappant gibt es eine bemerkenswerte Bereitschaft zur Selbstverwaltung. Es geht nicht allein um Rekommunalisierung, sondern den städtischen Wohnungsbaugesellschaften oder der Stadtentwicklungsbehörde wird auch die Kompetenz und die Bereitschaft zur Orientierung am Gemeinwohl abgesprochen.
Lieber wollen Initiativen mit für ihre Verhältnisse unglaublichen Summen die Grundstücke selbst kaufen. Bei Geldsummen von fünf bis 50 Millionen Euro für Kauf und Sanierung reden wir über eine Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und Sprecherinnenpositionen in der Stadt. In der Recht-auf-Stadt-Debatte positionieren sich gesellschaftliche Subjektivitäten, die ihren Platz in der Stadt offensiv einfordern und mit ihrer Kompetenz die Spielregeln in Frage stellen.
Das Schwabinggrad Ballett nennt seine April-Premiere "Business Punk City". (3) Einige im Euromayday wie bei Recht auf Stadt sagen "Die Stadt ist unsere Fabrik". Geht ihr jetzt in die Produktion?
Wenn der halbe Lohn für die Miete draufgeht, dann reden wir auch über städtische Einkommensfragen. Es ist nicht zufällig, wer das Gängeviertel besetzt hat. Welche junge Künstlerin soll in Hamburg ein Atelier bezahlen? Es ist nicht zufällig, dass die Schreberspacken in meinen Augen die interessanteste Website zum Thema (4) haben. Es ist nicht zufällig, wer das Manifest "Not In Our Name" geschrieben, publiziert und unterzeichnet hat. Es ist nicht zufällig, dass sich der ganze städtische Diskurs um das Kreative und das Wissen als Standortfaktor dreht. Weil es nämlich um einen Standort geht, an dem ein Leben, mit dem ich oder andere einverstanden sind, zur (Überlebens-)Kunst gemacht wird.
Es sind genau die Leute, die das "keine Zeit" und keine Erholungsorte haben, das schlechte Geld für gute Arbeit, das ständig auf Achse sein, zu gut und bis zum Überdruss kennen, um ewig so weitermachen zu können. Deshalb werden soziale und kulturelle Fragen räumlich gestellt. Es braucht Orte, an denen das verhandelt wird. Orte, an denen das produziert wird. Orte, an denen das öffentlich wird.
Manche empfinden den Begriff der Fabrik als Provokation, weil sie damit nur Abscheu, Unterwerfung und den Stumpfsinn der Lohnarbeit verbinden. Aber das - stumpfsinnige Arbeit, Unterwerfung bei AuftraggeberInnen, Abscheu erregende Missstände - erleben wir auch in den "Wow-wie-kreativen-und-selbstbestimmten" Tätigkeiten.
Die Fabrikallegorie fragt altmodisch: Wenn die Stadt zur Produktions- und Konsumzone mutiert ist, wer hat das Kommando über die Arbeit und wie sieht ProduzentInnenmacht oder Selbstverwaltung aus? Wo findet die Betriebsversammlung im Unternehmen Stadt statt und welches Branding drücken wir der Marke Hamburg bis zur Unkenntlichkeit auf?
Frank John aka mctimetunnel
Anmerkungen:
1) Im Oktober 2007 geht das Kohlekraftwerk Moorburg in Bau. Eine Fernwärmeleitung soll quer durch die Stadt gelegt werden - die Moorburgtrasse. Im Zug der Bauarbeiten sollen Quartiere mit einkommensschwachen MieterInnen sowie Parks abgerissen oder umgewidmet werden. Im Februar 2010 stoppt das Gericht den Bau und mahnt ein umfangreiches Planfeststellungsverfahren mit Bürgerbeteiligung an.
2) http://nionhh.wordpress.com/
3) Das kollektive Spektakel von und mit dem Schwabinggrad Ballett ist vom 8.-10. April jeweils um 20 Uhr zu sehen; der Ort wird noch bekannt gegeben.
4) www.schreberspacken.de