Standort Kommune
Die Krise der Kommunalfinanzen hat viele Gründe
Anfang März teilte das Statistische Bundesamt mit, dass die Gesamtverschuldung der Bundesrepublik bei knapp 1,7 Bio. Euro liegt. Davon tragen etwa 100 Mrd. Euro die Kommunen. Allein 2010 wird das Defizit der kommunalen Haushalte etwa 12 Mrd. Euro umfassen. In der bisher schwersten kommunalen Finanzkrise im Jahr 2003 betrug dieses Defizit lediglich 8,4 Mrd. Euro. Diese Entwicklung ist nicht allein auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen, sondern Resultat eines politisch organisierten Sachzwangs, der mit einem veränderten Leitbild von Kommunalpolitik, der Reform der öffentlichen Verwaltung und der Liberalisierung der Finanzmärkte einherging.
Die Krise verursachte aber durchaus Verluste bei den Steuereinnahmen. Bereits im vergangenen Jahr gingen die kommunalen Einnahmen um etwa 3,6 Mrd. auf 171,3 Mrd. Euro zurück, während die Ausgaben um 8,5 Mrd. auf 175,75 Mrd. Euro stiegen. Die Gewerbesteuern brachen um 17,4% ein und erreichten in einigen Kommunen durchaus Werte um 40%.
Die Ursachen der Krise der kommunalen Finanzen hat ihren Grund jedoch in einer grundlegenden Veränderung des Stellenwertes und des Charakters der Kommune in Staat und Gesellschaft. Betrachtet man die letzten 20 Jahre, so lässt sich sagen, dass die Liberalisierung der Finanzmärkte, die Reformen in der öffentlichen Verwaltung und die Finanzkrise der Kommunen nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich zusammenfallen. Dabei sind die Finanzprobleme der Kommunen ja keinesfalls neu. Bereits 1994 wandten sich Oberbürgermeister mit einem dramatischen Manifest "Rettet unsere Städte jetzt" an die Öffentlichkeit. Sie kündigten an, dass drastischer Personalabbau, Einstellung von "nicht existenziellen" Dienstleistungen, die Reduzierung von Zuschüssen an Vereine und vielem mehr nötig seien, wenn die Finanzverfassung nicht geändert werden würde.
Standortwettbewerb als Krisenursache
Die Bundespolitik und die Parteien, deren Mitglieder die Oberbürgermeister waren (und zum großen Teil wohl auch noch sein dürften), reagierten auf ihre Weise. Anfang der 1990er Jahre trat offen die Verteidigung des "Standortes Deutschland" in den Vordergrund der Politik. Im September 1993 veröffentlichte die Bundesregierung ihren Bericht zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland. Die Politik auch von Ländern und Kommunen wurde damit auf standortfreundliches Verhalten entsprechend den Werten der Sozialen Marktwirtschaft im Geiste Ludwig Erhards verpflichtet. Auch durch eine weitgehende Anpassung kommunaler Politik an die Bedürfnisse und Forderungen von Unternehmen sollte die Konkurrenzposition der BRD in den weltwirtschaftlichen Beziehungen verbessert werden. Seitdem wird immer wieder von verschiedenen Seiten vorgeschlagen, den politischen Spielraum der Kommunen an ihre Fähigkeit, Investoren und Unternehmen zu gewinnen, zu binden. Diese Strategie fand ihren Niederschlag in einer Vielfalt parallel ablaufender Prozesse.
Die Basis dieser Veränderungen - der "Sachzwang" - wurde durch die zielgerichtete Verschlechterung der finanziellen Situation der Kommunen geschaffen. Die verschiedenen Steuerreformen erfolgten vor allem auf Kosten der Kommunen. Während sich ihre Einnahmesituation verschlechterte, wurden ihnen gleichzeitig neue Aufgaben ohne entsprechende Finanzausstattung übertragen. Zu derartigen Aufgaben gehören z.B. die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbslosigkeit, der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende, Eingliederungshilfen und Hilfen zur Pflege, Leistungen für Unterkunft und Heizung und der Ausbau der Kinderbetreuung entsprechend den vom Bund festgelegten Zielen.
Auf der ideologischen und politisch-konzeptionellen Ebene wurde dieser Kurs z.B. durch die Kommission "Schlanker Staat" (Scholz-Kommission), durch Diskussionen um den "Konzern Stadt" oder zum bürgerschaftlichen Engagement begleitet. Durch "Städte-Rankings" durch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und andere Instrumente wird versucht, die Konkurrenz unter den Kommunen anzuheizen. Betriebswirtschaftliche Denkweisen wurden bei den Beschäftigten der Verwaltung und bei BürgerInnen immer mehr verankert.
Das wurde durch Veränderungen im Öffentlichen Dienst und in den Verwaltungen selbst fundiert. Die Gemeinde- und Kreisgebietsreformen, verschiedene Schritte in der Verwaltungsreform (Neues Steuerungsmodell, Einführung der doppelten Buchführung, die bisher nur in Privatunternehmen Anwendung fand), die Föderalismusreformen sowie vor allem auch die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und die Auslagerung von Aufgaben des Öffentlichen Dienstes an Dritte haben den Charakter der Kommunen grundlegend verändert. Die Qualität und Versorgungssicherheit mit einem breiten Angebot öffentlicher Leistungen trat gegenüber der betriebswirtschaftlichen Effizienz in den Hintergrund.
Zwischen schlankem Staat und Konzern Stadt
Schließlich wurden die Spielräume der Kommunen, genauer der Kommunalverwaltungen, für die Nutzung von verschiedenen "innovativen Finanzmarktinstrumenten" geschaffen bzw. erweitert. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre ist die Nutzung derartiger Instrumente zum "kommunalen Schuldenmanagement" durch landesgesetzliche und kommunale Regelungen rechtlich abgedeckt. Das fällt zusammen mit deutlichen Schritten zur Deregulierung der Finanzmärkte, vor allem in den neunziger Jahren. Allerdings ist die kommunale Seite dieser Deregulierung in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden. Wie auch die Kommerzialisierung bzw. Privatisierung öffentlicher Unternehmen, dem wachsenden Stellenwert von Public Private Partnership (PPP) und Cross-Border-Leasing (CBL) haben diese Tendenzen zu einer Monopolisierung von Entscheidungsfähigkeit in einem ganz schmalen Segment der Finanzverwaltungen beigetragen. Außerdem wächst die Rolle von Beratungsunternehmen. Diese ihrerseits verstärken die betriebswirtschaftlich bestimmten Verhaltens- und Denkweisen in der Verwaltung - und es ist ein großes Geschäft.
Mit der Etablierung der Schuldenbremse im Grundgesetz ist der 1993 begonnene Prozess der Neuformierung der Rolle der Kommunen zu einem relativen Höhepunkt und Abschluss gekommen. Nun ist es durchaus richtig, öffentliche Verschuldung zu vermeiden. Allerdings müsste auch bestimmt werden, was die Kommune für die EinwohnerInnen tun muss und wie sie zu den Finanzen kommt, um diese Aufgaben zu erfüllen. Dafür fehlen belastbare Regelungen. Die Aufteilung nach Pflicht- und freiwilligen Aufgaben hilft da nicht weiter. Nimmt man etwa die Ergebnisse selbst der regierungsamtlichen Armuts- und Reichtumsberichterstattung zum Ausgangspunkt, würden sich der Kreis und der Umfang der Pflichtaufgaben erheblich erweitern.
Die Fiktion all dieser Schritte bestand darin, dass eine perfekte Anpassung an Unternehmensinteressen den Kommunen schon hinreichende Mittel für die Erfüllung der wesentlichen Aufgaben bringen würde. Die betriebswirtschaftliche Organisation der Verwaltung würde zu einer rasanten Erhöhung der Effektivität führen, wodurch Personalabbau und damit Einsparungen in den öffentlichen Haushalten möglich seien. Außerdem sollten private Unternehmen durch PPP und Sponsoring einen Beitrag für die Entwicklung "ihres" Standortes leisten. Die EinwohnerInnen schließlich würden freiwillig die Aufgaben übernehmen, die nun nicht mehr öffentlich erbracht werden. Durch den Bürgerhaushalt im konzeptionellen Verständnis der Bertelsmann Stiftung sollte außerdem der Abbau öffentlicher Leistungen den BürgerInnen als alternativlos vermittelt werden. Dadurch sollte wiederum der Bundeshaushalt entlastet werden, was sich in Steuersenkungen für die Unternehmen umsetzen sollte. Diese Steuersenkungen würden sich, so der Glaube, in wirtschaftliches Wachstum verwandeln.
Die heutige Situation der Kommunen erscheint vor diesem Hintergrund als Resultat eines weitgehend missglückten Programms für Wirtschaftsförderung. Geglückt ist es als Programm massiver Umverteilung von unten nach oben. Geglückt ist es auch als ein Programm der Brechung gewerkschaftlicher Macht. Versuche von Beschäftigten und Gewerkschaften, in diesen Veränderungsprozessen eigenständige Projekte zu etablieren, blieben ohne Erfolg. Mit der Privatisierung öffentlichen Eigentums und Auslagerungen von Leistungen wurden vielmehr Potenziale zur Gestaltung der Lebensbedingungen in den Kommunen und Wirtschaftskompetenz aus der Hand gegeben.
Bezogen auf die Kommunen ist so eine (scheinbar) paradoxe Situation entstanden. Sie werden durch bundesgesetzliche Regelungen in die Verschuldung getrieben und sollen nun sowohl Schulden abbauen wie auch möglichst mehr und bessere Leistungen erbringen. Die Wirtschaftskrise hat dieses Dilemma offensichtlich gemacht, verursacht hat sie es nicht. Wohl aber gehören die Privatisierung öffentlichen Eigentums und die Spekulationsgeschäfte von Kommunen mit zu den krisenauslösenden Momenten.
Über kurz oder lang muss diese Situation dazu führen, dass Teile der Einwohnerschaft aus Leistungen ausgeschlossen werden. Hier liegt eine entscheidende politische Herausforderung und Chance. Es ist nämlich bisher nicht gelungen, BürgerInnen zur rückhaltlosen Bejahung des Abbaus öffentlicher Leistungen zu bringen. Die Hoffnungen, im Rahmen des Bürgerschaftlichen Engagements Akzeptanz in dieser Richtung zu erreichen, gingen nicht in Erfüllung. Außerdem wächst sogar das Vertrauen in öffentliche Unternehmen.
Staatliche Bürokratie nach kapitalistischer Logik
Die Durchsetzung von Alternativen erfordert Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen. Kommunalpolitik muss von linken Bewegungen viel stärker als Feld von Möglichkeiten verstanden werden, als ein Feld, auf dem politische, soziale und Wirtschaftskompetenz erlernt werden können. Dies umso mehr, als dass die Bundesregierung im März eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung eingesetzt hat. Damit werden Weichenstellungen - wieder unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit - mit langfristiger Perspektive vorbereitet.
Unter dem hier betrachteten Aspekt dürften es vor allem folgende Bereiche von Interesse sein. Erstens die Herstellung von Transparenz von Entscheidungsprozessen auf der kommunalen Ebene, sei es durch alternative Sozialberichterstattung, Monitoring der Haushaltspolitik oder erst einmal nur konsequente Nutzung von bestehenden Beteiligungs- und Auskunftsrechten. Zweitens bieten gerade die jetzt zu beobachtenden Tendenzen zur Rekommunalisierung ehemals öffentlicher Unternehmen Möglichkeiten, deren Entwicklungsrichtung neu zu bestimmen. Bewegungen zur Rekommunalisierung dürfen nicht mit dem Rückkauf enden - es geht vielmehr darum, Wege zur nachhaltigen öffentlichen Gestaltung der Unternehmenspolitik zu eröffnen. Es gilt die Frage zu beantworten, wie ein öffentliches Unternehmen der Zukunft aussehen soll - eine Frage, die nur praktisch beantwortet werden kann.
Drittens ginge es um Schritte zur Demokratisierung von Haushaltspolitik, etwa durch BürgerInnenhaushalte. Viertens müssen Bündnisse zwischen den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, öffentlichen Unternehmen, regional agierenden Privatunternehmen und den EinwohnerInnen gefunden werden. Ohne solche Bündnisse oder gar gegen die Beschäftigten werden Veränderungen in der Kommune kaum möglich sein. Schließlich gehört dazu auch, dass linke Bewegungen ihre Vorstellungen zur Zukunft des Öffentlichen Dienstes konkret benennen.
Auf dieser Grundlage können Forderungen nach einer anderen Finanzverfassung, nach einer aufgabengerechten Finanzierung von Kommunen, etwa durch eine Vitalisierung der Gewerbesteuer, nach einem Ausbau des Öffentlichen usw. durchsetzbar sein. Auch das sogenannte Konnexitätsprinzip könnte verwirklicht werden, d.h. der Grundsatz, dass die Finanzhoheit auch dort liegt, wo die Aufgaben getragen und erfüllt werden. Eine von sozialen Bewegungen getragene Alternativkommission zur Gemeindefinanzierung könnte ein Ansatz sein, diese verschiedenen Arbeitsrichtungen zu bündeln.
Lutz Brangsch
Zum Weiterlesen: Michael Faber: Kein Buch mit sieben Siegeln. Der kommunale Haushalt. Crashkurs Kommune 2, herausgegeben von Katharina Weise. VSA Verlag, Hamburg 2010