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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 549 / 16.4.2010

Internet für Audimarx

Was taugen Twitter, Facebook und Co. für politische Arbeit?

"Noch nie war ein Aufstand in Österreich so stark von High-Tech geprägt wie der Studentenprotest: Die Demonstranten bedienen sich aller erdenklichen Kommunikationskanäle - sei es zur Selbstpräsentation via Uni-TV; sei es zur subversiven Hack-Attack am Internet." Wer jetzt denkt, dass es sich hierbei um eine Meldung der österreichischen Presseagentur Ende 2009 handelt, verschätzt sich fast um 15 Jahre. Geschrieben stand es in der Wiener Stadtzeitung Falter im März 1996 zu den Protesten gegen das damalige Sparpaket.

Ähnlich lautende techno-euphorische Meldungen finden sich zu fast jeder jüngeren Protestbewegung - aus dem Inneren sowie von (unbeteiligten) BeobachterInnen. Wolfgang Schüssels Ausspruch von der "Internetgeneration" ist zumindest in Österreich legendär und Gerald Raunig schwärmte in "Wien Feber Null" über die parallelen Informationsstrukturen der Proteste gegen Schwarz-Blau: "Die Flexibilität und Wendigkeit der Demos auf der Straße korrelierten mit einer schnellen - und vor allem horizontal vernetzenden - Nutzung der ... Kommunikationstechnologien." Damals ging es halt um SMS und nicht um einen Eintrag auf Twitter.

Der Euphorie folgt bekanntlich oft die Enttäuschung und so kam es ob des Engagements auf Social Network Sites (SNS) zumindest im angloamerikanischen Feuilleton und einschlägigen Blogs zu einer Renaissance des Slacktivismus-Begriffs. (1) Dieser machte einst im Zusammenhang mit einer Kritik an Online-Petitionen die Runde und dient heute KritikerInnen des unverbindlichen Gruppengründens bzw. -beitretens auf Facebook und Co., Slacktivismus 2.0 sozusagen.

Aber ist es so einfach? Können SNS nicht mehr sein als der zeitgeistige "Weiterleiten"-Button? Um das zu beantworten, braucht es erst einen Blick auf Facebook und Co. selbst. In ihrem Essay über die politische Ökonomie von SNS schreibt Nicole Cohen, dass Facebook "dem bekannten Modell extensiver Kommodifizierung, unter bedeutsamen Einsatz von Überwachungstechnologie folgt". Die Verwertung von unbezahlt eingebrachter Arbeit durch Millionen NutzerInnen macht das Geschäftsmodell zum Paradebeispiel dafür, das "Wissen der Massen" in den Dienst der Kapitalakkumulation zu stellen.

Facebook und Co.: Slacktivismus 2.0

Anstatt UserInnen Handlungen oder Wünsche vorzuschreiben, sieht das SNS-Geschäftsmodell vielmehr ihre Strukturierung und Kanalisierung vor. Die Seiten verwerten die aggregierten Beziehungs- und Verhaltensmuster nicht (nur), um die UserInnen-Erfahrung zu optimieren, sondern um GeschäftspartnerInnen Anknüpfungspunkte zu bieten.

Am deutlichsten wurde das im November 2007, als Facebook "Beacon" einführte. Rund 50 Partnerseiten akquirierten das Recht, Statusmeldungen über Online-Einkäufe vom Kinoticket bis zur Weltreise im FreundInnen-Netzwerk zu verbreiten. So sichtbar war Überwachung und Target-Marketing davor und danach nie mehr. Tausende UserInnen (und das US-Politnetzwerk MoveOn.org) protestierten. Nur einen Monat nach Einführung wurde das Programm von "opt out" (generlle Freischaltung) auf "opt in" (bestätigte Freischaltung) umgestellt. Facebook entschuldigte sich offiziell und Mainstream-Medien feierten das vermeintliche Mitspracherecht. Mittlerweile musste die Funktion - zumindest vorläufig - überhaupt von der Website entfernt werden.

Nichtsdestotrotz wurde aus dem ungeschickten Agieren entlang der öffentlich/privaten und sozial/kommerziellen Bruchlinien des SNS-Geschäftsmodells, das den unhierarchischen, unkommerziellen Schein um jeden Preis wahren muss, noch ein Erfolg für Facebook. Wäre der Glaube der privaten NutzerInnen nachhaltig erschüttert worden, hätte die Aufwertung der Waren der kommerziellen Partner-Unternehmen durch die Affekt-Produktion der UserInnen nachhaltig gelitten.

So kam es neben der Bestätigung, dass sich aktive SNS-Mitgliedschaft bezahlt macht, auch noch zu einem Musterfall politischer Arbeit in SNS, da ein Großteil der Proteste gegen "Beacon" mit Facebooks eigenen Tools, sprich Gruppen, geführt wurde. Was unmittelbar zur Ausgangsfrage zurückführt: Was taugen Facebook und Co. für politische Arbeit?

Die Slacktivismus-Diskussion wird dabei von großen NGOs bzw. einem sehr amerikanischen Grassroots-Campaign Bild bestimmt und die Sprache, in der sie geführt wird, von wirtschaftsuniversitärem Marketinggewäsch. Es geht um Aufmerksamkeit, Akquise und Haltedauer von potenziellen MultiplikatorInnen. Anekdotische Erfolgs- bzw. Misserfolgsgeschichten dienen sowohl BefürworterInnen als auch GegnerInnen als Argument.

Aus der Sicht großer NGOs ist das nachvollziehbar. Da Fund- und Awareness-Raising ihre Hauptaktivität darstellen, reicht ein positiver Saldo allemal aus. Dass der Aufmerksamkeitswettbewerb oft im Zeichen der Abgrenzung zu anderen Kampagnen steht, ist lediglich ein bedauerlicher Nebeneffekt. Schließlich geht es darum, "den Stakeholdern eine unique value proposition zu machen, ... denn andere Organisationen kämpfen ebenso um die Zeit und das Talent derselben Menschen". (Social Citizens Blog)

Gewinner in diesem Wettstreit ist eindeutig Facebook, die mit "Causes" bereits ein Kampagnentool eingeführt haben. Der Affekt-Produktion kann so leicht eine neue Dimension hinzugefügt werden, die zwischen den Polen "sozial" und "kommerziell" schwankende Außenwahrnehmung quasi aufwandslos hin zu Ersterem gekippt und politisches Engagement kommodifiziert werden.

Wie freundlich sind Online-FreundInnen?

Mit der Bedeutung, die Facebook und Co. dadurch erlangen, steigt trotz aller Vorbehalte die Dringlichkeit der Frage, wie damit umgegangen werden soll. Es sind ja nicht nur progressive Gruppen, die um die Aufmerksamkeit einer immer größeren Öffentlichkeit in SNS buhlen, Facebook und Co. zur Organisierung realer Kämpfe nutzen. Lediglich eine Gruppe als Teil der politischen Strategie zu gründen, heißt aber noch lange nicht, SNS strategisch zu nutzen.

So gesehen sind die jüngsten Studierendenproteste ein schönes Beispiel für die von Klaus Schönberger in ak 541 attestierten neuen Möglichkeiten des Agierens und Handelns von AktivistInnen, die mit medientechnologischer Entwicklung einhergehen. In der Verquickung von Wikis, Facebook, Live-Streams und Twitter als Instrumente der Selbstorganisation mit dem dadurch gewährten Einblick für eine interessierte Öffentlichkeit ergänzen sich Mobilisierung und Selbstdarstellung auf erstaunliche Weise. Und warum sollte es anders sein? Die Halböffentlichkeit der Web 2.0 Netzwerke bestimmte schon vor den Hörsaal-Besetzungen den Alltag vieler StudentInnen, also tun sie das auch im Protest. Selbstkritik inbegriffen. Daraus mehr abzuleiten erscheint allerdings gewagt.

cp

Anmerkung:

1) Slacktivismus ist ein Kunstbegriff aus den englischen Wörtern "slack" (lustlos, schlaff) und "activism" (Aktivismus) und kritisiert, dass in Netzwerken wie Facebook oder Twitter nur geredet aber nicht gehandelt wird.

Der Artikel beruht auf den zwei in Malmoe 47 ("Ein Mausklick für die gute Sache") bzw. 48 ("Twitter statt Logik") erschienenen Artikeln zu Aktivismus auf SNS, abrufbar unter www.malmoe.org.