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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 550 / 21.5.2010

Wer will schon gegen Gerechtigkeit sein?

Climate Justice im Elchtest: Kampfbegriff oder mit Absicht ungefüllte Leerformel?

Wir wollen hier die Debatte des Arbeitsschwerpunktes Soziale Ökologie der BUKO über den Begriff Klimagerechtigkeit weiterführen (vgl. ak 549). (1) Unser Eindruck ist, dass der Begriff - zumindest in der Form, in der er gegenwärtig von mächtigen AkteurInnen konzipiert wird - das Paradigma der Nachhaltigkeit in Zeiten der Legitimationskrise des Neoliberalismus strategisch ergänzen soll. Er klingt gut, sagt aber nichts aus. Vor allem stellen wir uns also die Frage, ob das "hegemonisieren" eines Begriffs, der nach Zuckerwatte schmeckt und auch ungefähr deren Konsistenz hat, für eine linke Bewegung Sinn macht.

Dem Begriff muss zunächst zugute gehalten werden, das Klimathema aus der ökologischen Ecke heraus geholt und es in einen breiteren Kontext gestellt zu haben, der auch die sozialen Folgen des Klimawandels beinhaltet und so eine Debatte jenseits der reinen CO2-Rhetorik anregen kann. Zwar wurden abhängig davon, wer den Begriff gerade benutzt, auch typisch umweltbewegte Forderungen nach Konsumverzicht gestellt; gleichzeitig aber wurden die, in Abhängigkeit von geographischen Bedingungen und ökonomischer Struktur, extrem unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensbedingungen verschiedener Menschen und Gruppen deutlich.

Wurde der Begriff in den letzten Jahren vorrangig von den Climate-Justice-Netzwerken genutzt und dabei auch mit einer Kritik an marktförmigen Lösungsansätzen verbunden, so wird er spätestens seit den Klimaverhandlungen in Kopenhagen verstärkt von PolitikerInnen und AkteurInnen verwendet, die damit keine grundsätzlichere Kapitalismuskritik verbinden. Ihre vorher zur Klimarettung thematisierten Forderungen werden mit dem Schlagwort Gerechtigkeit aufgepeppt, ohne darüber weitere Worte verlieren zu müssen. Auf TckTckTck (http://tcktcktck.org/) und deren Nutzung der Forderung nach Climate Justice ohne Kritik der marktbasierten false solutions, also getrennt von grundlegender Kapitalismus-Kritik, verweisen schon Austen und Bedall (vgl. ak 549).

Verschiebungen innerhalb der diskursiven Ordnung

Auch das Europaparlament fordert im Februar diesen Jahres "die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, das Prinzip der Klimagerechtigkeit in der langfristigen Perspektive 2050 und danach durchzusetzen". Es tritt deshalb "für eine Gerechtigkeitsklausel in künftigen internationalen Klimaverhandlungen ein". (2) Es nutzt den Begriff ganz selbstverständlich im Kontext von Forderungen nach green economy, energy security und dem 2-Grad-Ziel. Dass energy security - was für die EU auch den globalen Zugriff auf Ressourcen des Südens bedeutet - und green economy nichts mit Kapitalismus-Kritik zu tun haben und das 2-Grad-Ziel nichts mit Gerechtigkeit, weist auf die bereits jetzt krasse Unstimmigkeit in der Nutzung des Begriffs hin.

Es finden sich noch viele weitere Beispiele, in denen Klimagerechtigkeit getrennt von einer Kritik an false solutions genutzt wird. Was passiert also gegenwärtig mit dem Begriff? Eignet er sich (noch) als Bezugspunkt für eine emanzipatorische Klimabewegung?

Im Anschluss an Laclau und Mouffe beschreiben unsere GenossInnen in ak 549 den Begriff der Klimagerechtigkeit als einen leeren Signifikant, als Begriff, den es zu besetzen, zu hegemonisieren gilt. Der Bezug auf Gramsci in der Kontroverse um Begriffe verweist für uns auf das Bestreben der ökonomisch und politisch Herrschenden, in gesellschaftlichen Konflikten den aktiven Konsens der Beherrschten zu gewinnen. Gramsci betont den engen Zusammenhang von Gewalt und Konsens und weist darauf hin, dass Herrschaft, demokratische zumal, auf beidem beruht. Herrschaft muss sich legitimieren. Gelingt dies einem Herrschaftssystem nicht, gerät es in die Krise und verliert an Akzeptanz. Innerhalb dieser prinzipiell offenen Situation agieren wir und sollten jeweils diskutieren, inwieweit unsere Argumentation - und dazu gehören auch zentrale Begriffe und Verbildlichungen unserer Paradigmen - tatsächlich Ausdruck von Gegenmacht und Gegenhegemonie sind bzw. eine Möglichkeit bieten, es zu werden.

In welchem gesellschaftlichen Kontext steht also die gegenwärtige Forderung nach Klimagerechtigkeit? Die Krise der fordistischen Formation seit den 1970er Jahren war mit einem ziemlich grundlegenden Wandel der diskursiven Ordnung (und der darauf bezogenen Praxis) verbunden. Natur- und Umweltzerstörung durch rücksichtslose Ausbeutung wurden unübersehbar und riefen Proteste hervor. Die Abkehr vom utilitaristischen Naturzugriff wurde vielerorts eingefordert. Es entstand eine breite, teils explizit staats- und kapitalismuskritische Umweltbewegung, die beispielsweise Dutzende AKWs verhindert hat und insgesamt das fordistische Paradigma der Naturvernutzung offensiv anging. Mittlerweile ist es um diese Bewegungen freilich ruhiger geworden, was auch an der Integrationsleistung der Nachhaltigkeits-Debatte, die in der BRD seit Mitte der 1990er Jahre geführt wird, liegt.

Infolge der Nachhaltigkeits-Debatte ist das Bewusstsein einer ökologischen Krise heute zwar weit verbreitet, was jedoch keineswegs bedeutet, dass sich die Welt in dieser Hinsicht zum Besseren entwickelt. Das Thema ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der Diskursstrang Nachhaltigkeit ist also ein Beispiel dafür, wie sich Kräfteverhältnisse verschieben und linke Bewegungen es (bisher) nicht schaffen, dem Sog einer neuen diskursiven Ordnung eigene, emanzipatorische Bilder, Paradigmen und Utopien entgegenzuhalten. Die Strategie, an den Begriff Nachhaltigkeit von links kritisch anzuknüpfen, ihn gewissermaßen zu "hegemonisieren" (gefordert z.B. in ak 388), kann unseres Erachtens als gescheitert angesehen werden.

Linke Proteste im Nachhaltigkeitsreformsog

Oppositionelle Formen des Protests wurden im Nachhaltigkeits-Reformsog über Bord geworfen, Kritik an der herrschenden Produktionsweise ebenfalls. Aus sozialen Bewegungen sind NGOs entstanden, die Spenden sammeln, realistische Forderungen stellen und damit den immensen Preis des globalen Kapitalismus senken wollen. Für uns steht der Begriff der Klimagerechtigkeit auch für eben dieses Paradigma der Nachhaltigkeit. Als gerecht gilt in dieser technokratischen Konzeption der Klimagerechtigkeit "von oben", wenn sie im globalen Maßstab die Pro-Kopf-Emissionen durch effektive Technik und individuelle Sparsamkeit angleichen würden.

Gesellschaftliche Individuen und Kollektive, die ihre Bedürfnisse artikulieren, sind die Leerstelle dieser Konzeption. Sie legt ein Durchschnittsmaß fest - kann also (in Anlehnung an Jürgen Link) als eine machtvermittelte Strategie der Normalisierung bezeichnet werden. In dieser Perspektive sind alle gleich vom Klimawandel betroffen und alle müssen Konsequenzen ziehen. Gesellschaftliche Konfliktfelder werden vernebelt. Zudem wird die Geschichte von Kolonialismus und globaler Herrschaft unsichtbar, was einigen konfliktscheuen NGOs am Verhandlungstisch sicher nicht ganz ungelegen kommt.

Von in letzter Zeit neu entstandenen linken Netzwerken wie Climate Justice Action wird der Begriff Klimagerechtigkeit dagegen zur Mobilisierung verwendet. Es wird Bezug genommen auf soziale Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung, Klimagerechtigkeit soll also von unten erkämpft werden. Problematisch erscheint uns der Begriff hier, weil er losgelöst von konkreten Forderungen genutzt wird, oder diese Forderungen nur auf dem Papier erscheinen, sich mit ihnen also keine Praxis verbindet. Klimagerechtigkeit ist dann ein leerer Wortcontainer. Diese Problematik fiel in der Mobilisierung nach Kopenhagen und dann vor allem bei den dortigen Demos und Aktionen selbst auf.

Nach Brecht gibt es nur eine Gerechtigkeit für wen, keine Gerechtigkeit um ihrer selbst willen. Es gibt Kollektive (emanzipatorische bestenfalls), die konkrete Projekte als ungerecht wahrnehmen und ihre Interessen gegen diese konkrete Ungerechtigkeit durchsetzen. Gerechtigkeit wird insofern nie objektiv gegeben sein. Wer definiert, was Gerechtigkeit ist und wann sie erreicht ist? Der Begriff in seiner abstrakten Form verweist auf eine Tausende von Jahren alte philosophische Debatte und verleitet dazu, auf der Ebene der Diskussion um Normen stehen zu bleiben. In dieser Diskussion um Werte und Normen werden wir uns nur verheddern. Der Begriff kann unserer Meinung nach im Vergleich zu anderen (z.B. dem Begriff der Souveränität) nur unzureichend wiedergeben, dass es um einen antagonistischen Konflikt geht, einen Kampf emanzipatorischer sozialer Bewegungen. Das ist aber der Inhalt bzw. die Aussage, mit der wir unseren zentralen Begriffe, Verbildlichungen und Paradigmen gefüllt sehen wollen.

Alleskleber oder Kampfbegriff?

Der Begriff Klimagerechtigkeit impliziert vor allem Uneindeutigkeiten: Was genau ist überhaupt ein gerechtes Klima? Was zeichnet ein gerechtes Klima aus? Wer macht das Klima wie gerecht? Oder machen wir uns dem Klima gerecht? Wollen wir das? Wer ist das Subjekt, das Gerechtigkeit durchsetzt bzw. von wem kann sie gefordert werden? Ist unser Ziel ein globaler Klimagerichtshof (SZ, 22.4.10)? Vom lieben Gott angefangen kann man Gerechtigkeit von jeder denkbaren Autorität einfordern: von Regierungen, Konzernen, globalen Institutionen usw. Und die Gerechtigkeit schreit auch nicht auf, wenn eine solche Autorität ihr Handeln (z.B. einen Krieg) mit dem Hinweis auf das Schaffen von Gerechtigkeit legitimiert. Es ist also keineswegs ausgemacht, dass der Begriff eine emanzipatorische Komponente in dem Sinne hat, dass Menschen und Bewegungen darin gestärkt werden, ihre Lebensumstände selbst zu bestimmen und zu schützen - das aber sollte zentraler und klarer Inhalt eines Kampfbegriffs sein, auf den sich soziale (Klima-)Bewegungen global beziehen können.

Uns erscheint der Begriff Klimagerechtigkeit bestenfalls als Alleskleber: Er kann für linksradikale Gruppen, ChristInnen, VerfechterInnen neoliberal-nachhaltiger Sparsamkeit und das Auswärtige Amt in gleichem Maße nützlich erscheinen. Sicher, der Begriff ist umkämpft und es ist prinzipiell offen, welche Bedeutung er in Zukunft erhält. Wir vermuten aber, dass die Häufigkeit seiner Verwendung sich umgekehrt proportional zur Bestimmtheit verhalten wird. Dies gilt insbesondere im Kontext der aktuellen Legitimationskrise des Neoliberalismus, innerhalb derer die Bedeutung von Gerechtigkeit von den ökonomisch und politisch Herrschenden mal wieder etwas mehr hervorgehoben wird. Die schon jetzt problematische Unbestimmtheit des Begriffs als die eigentliche Stärke zu verkaufen, erscheint uns wenig plausibel. Insbesondere mit Blick auf die Marginalisierung radikaler Positionen vor und in Kopenhagen. Unter den gegebenen Kräfteverhältnissen laufen wir also Gefahr, uns auf einen Begriff zu beziehen, der von den meisten ganz anders verstanden wird. In diesem Fall würden die Inhalte der Bewegungen (weiterhin) untergehen und sie würden als Fürsprecher eines weitgehend unkritisch gefüllten, Begriffs subsumiert.

Zusammenfassend erscheint uns der Bezug auf den Begriff (Klima-)Gerechtigkeit aus Bewegungssicht demnach wenig sinnvoll. Er ist inhaltlich zu unbestimmt und es fehlt der Bezug auf kollektive Selbstbestimmung, wie er in anderen Begriffen wie Souveränität enthalten ist (bspw. bei der Forderung nach Ernährungssouveränität oder Energiesouveränität). Wir kämpfen gerne in sozialen Bewegungen gegen ganz konkrete Projekte, die uns als ungerecht erscheinen. Aber hierbei brauchen wir keine schmückenden Worthülsen, die im Grunde nicht viel aussagen.

Till Seidensticker, Niels Spilker, Wasilis von Rauch, ASSÖ der BUKO

Anmerkungen:

1) Dank an Jana Flemming und Heiko Balsmeyer für Anregungen und Kritik.

2) www.europa-eu-un.org/articles/en/article_9484_en.htm