Aufgeblättert
Aufstandsbekämpfung in Afghanistan
Marc Thörners lesenswertes Buch ist nicht nur ein notwendiges Korrektiv zur herrschenden Erzählung von Politik und Medien über Afghanistan. Seine engagiert recherierte Reportage hilft auch, die täglichen Nachrichten zu sortieren und zu bewerten. Deutlich wird, dass die Aufstandsbekämpfung u.a. der Logik früherer Kriege in französischen Kolonien folgt. Zunächst wird der Feind bekämpft und verjagt (clear). Danach wird das eroberte Gebiet mit Hilfe Einheimischer unter Kontrolle gebracht (hold). Hierbei stützen sich die ISAF-Truppen auf Warlords, die ihre ganz eigene Agenda verfolgen und teilweise zur ehemaligen Nordallianz gehören. Diese hatte 2001 mit massiver Luftunterstützung Afghanistan zurückerobert. Schließlich sollen Aufbauarbeiten die Bevölkerung gewinnen und die Situation stabilisieren (build). Thörner zeigt, dass diese Strategie nicht nur eine eigenständige Entwicklung Afghanistans verhindert, sondern die kriegerischen Zustände hervorbringt und zementiert. Die Bundeswehr nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, da sie mit einem der größten Warlords kooperiert: Mohammed Atta, dem Gouverneur der Provinz Balkh, in deren Hauptstadt Mazar-e-Sharif die Bundeswehr ihr größtes Feldlager in Afghanistan unterhält. Die von Deutschland unterstützte Ausbildung von Polizeikräften stellt somit keine Normalisierung dar, sondern eine kriegerische Eskalation. Die militärische Präsenz in Afghanistan folgt einer Logik, in der die Bombardierung der Tanklaster bei Kundus nur ein trauriger Höhepunkt war.
Ingo Stützle
Marc Thörner: Afghanistan-Code. Reportagen über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie. Edition Nautilus, Hamburg 2010, 160 Seiten, 16 EUR
Südafrika hinter den WM-Kulissen
In 17 Aufsätzen geben SoziologInnen, PolitologInnen und JournalistInnen, die alle auch Teil von politischen und sozialen Bewegungen sind, einen Überblick über die Lebensverhältnisse in Südafrika. Die bevorstehende WM wird nur in zwei von Romin Khan geführten Interviews gestreift. Während der Historiker Achille Mbembe meint, die Regierung habe mit der Ausgestaltung der WM eine Chance auf eine Gesellschaftsumgestaltung verpasst, berichtet der Straßenfriseur und soziale Aktivist Gaby Bikombo über die Schwierigkeiten von Straßenhändlern und Armen während der WM. Die Regierung will die Vorgaben der FIFA erfüllen, was für Bikombo und seine Kollegen Vertreibung und weitere Verarmung bedeuten kann. In anderen Beiträgen werden die Probleme von sozialen Bewegungen deutlich, die in den letzten Jahren des Apartheid-Regimes gewachsen sind und später vom allmächtigen ANC kooptiert oder an den Rand gedrängt wurden. Dass dafür aber auch interne Probleme verantwortlich sind, wird am Scheitern der Landlosenbewegung und an den internen Konflikten des Antiprivatisierungsforums gezeigt. Auch kritische ANC-Mitglieder kommen zu Wort, wie der Anti-Aids-Aktivist Zackie Achmat. Er sieht die Partei noch immer als ein Bollwerk gegen Xenophobie und Rassismus. Achmat und die Aktivistin Manisa Mali zeichnen in ihren Beiträgen ein wesentlich differenziertes Bild von der Aids-Politik der ANC-Regierung als ein Großteil der hiesigen Medien. Die letzten beiden Kapitel befassen sich mit dem Rassismus gegenüber MigrantInnen aus anderen afrikanischen Ländern. Dabei geht der in der Arbeiterbildungsarbeit tätige Oupa Lehulere scharf mit der Position der größten südafrikanischen Gewerkschaft COSATU ins Gericht. Das Buch schließt mit einer Erklärung von AktivistInnen aus Armensiedlungen in der Nähe von Durban, die sich wenige Tage nach den rassistischen Pogromen im Mai 2008 für einen gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten aussprachen.
Peter Nowak
Jens Erik Ambacher, Romin Khan (Hrsg.): Südafrika - die Grenzen der Befreiung. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2010. 263 Seiten, 16 EUR
Barça: Fußball, Kunst, Politik
Das Endspiel der Champions-League hat der FC Barcelona ("Barça") in diesem Jahr verpasst - im Halbfinale war der Club Inter Mailand, dem effektiveren Team, knapp unterlegen. Sei's drum: Gewinnen ist nicht alles - "die Kunst des schönen Spiels" ist wichtiger, findet Dietrich Schulze-Marmeling, der jetzt ein lesenswertes Buch über den katalanischen Kultverein vorgelegt hat. In früheren Jahren verblüffte der Autor mit wagemutigen Thesen über "linken Fußball", definiert als "Fußball, der ein linkes Lebensgefühl bedient". In diesem Sinne spielt Barça linken Fußball: "Kein anderer Verein im professionellen Fußball verkörpert so stark ,das Gute und das Schöne` am Spiel - zeitweise als bloßes Ideal, zuweilen sogar nur als Illusion. Doch die Idee vom schönen und offensiven Fußball würde nicht diese Strahlkraft besitzen, wäre nicht ihr Gralshüter einer der geschichtsmächtigsten, größten und erfolgreichsten Clubs auf dieser Welt." Beim FC Barcelona stimmt nicht nur das - als Ergebnis niederländischer Fußballphilosophie - zur Perfektion getriebene schnelle Offensivspiel, sondern auch das Umfeld und die Geschichte: der Internationalismus, der Widerstand gegen Franco, die Verteidigung katalanischer Autonomierechte gegen den spanischen Zentralstaat. Dass der Autor nicht ganz ohne Klischees (etwa über die "Mentalität" der Stadt, die dem Spielstil der Mannschaft entspreche) und Schwärmerei (über den Superstar Johan Cruyff) auskommt, ist wohl unumgänglich und daher verzeihlich.
Js.
Dietrich Schulze-Marmeling: Barça. Oder: Die Kunst des schönen Spiels. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2010, 224 Seiten, 14,90 EUR
Nazis und Islamisten
In seinem Roman "Das Dorf der Deutschen" verwebt der algerische Autor Boualem Sansal eine authentische deutsch-algerische Familiengeschichte mit dem Holocaust, dem Islamismus und der algerischen Unabhängigkeitsbewegung. Eine bewaffnete Bande tötet fast alle BewohnerInnen des algerischen Dorfes Ain Deb, darunter auch Hans und Aicha Schiller. Deren Söhne Rachel und Malrich leben in Frankreich; mit dem Mord an den Eltern gerät ihr Leben aus den Fugen. In einem Koffer entdeckt Rachel das SS-Soldbuch seines als Unabhängigkeitskämpfer geehrten und zum Islam konvertierten Vaters. Er liest, recherchiert und reist auf den Spuren seines Vaters durch Deutschland, Ägypten und Polen. Am Ende bringt er sich um. Sein Bruder Malrich macht sich ebenfalls auf die Reise - und auf die radikale Suche nach der Wahrheit. Boualem Sansal, Ingenieur und hoher Beamter im algerischen Industrieministerium, wurde nach Erscheinen seines ersten Romans "Der Schwur der Barbaren" entlassen; "Das Dorf der Deutschen" durfte in Algerien nicht erscheinen. Es ist ein beklemmendes Buch, in dem es um die Wiederholung von Geschichte geht, um Schuld, Strafe und Vergebung - und das Schweigen der Täterfamilien. Sansal kritisiert die Tabuisierung des Holocaust in der arabischen Welt, die triste Realität in den französischen Vorstädten, die Methoden der Islamisten. Eine angenehme Bettlektüre ist das nicht; ärgerlich sind einige Stellen, an denen Malrich die Gewalt algerischer Polizisten und Islamisten mit der der Nazis allzu platt parallelisiert. Aber es ist ein reflexionsreiches Buch, das einen wichtigen Aspekt aufgreift: In der algerischen Befreiungsbewegung FLN kämpften auch ehemalige deutsche SS-Männer mit.
as
Boualem Sansal: Das Dorf der Deutschen. Roman. Merlin-Verlag, Gifkendorf 2009. 279 Seiten, 22,90 EUR
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