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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 550 / 21.5.2010

Effizienzsteigerungen auf schwarz-gelbe Art

Wie Gesundheitsminister Rösler die Arzneimittelkosten senken will

Die Ausgaben der Krankenkassen steigen weiter, während die Einnahmen aufgrund der Weltwirtschaftskrise langsam anfangen wegzuschmelzen. Schon haben einige - bislang kleinere - Krankenkassen die berüchtigten Zusatzbeiträge eingeführt, um ihren Haushalt auszugleichen. Doch nun versucht der neue freidemokratische Gesundheitsminister, den Sorgen der Krankenkassen zu begegnen: Er will die Ausgabenspirale bei den Arzneimitteln brechen. Dieser Einstieg ist insofern unüblich, als liberale Gesundheitsminister aufgrund klientelistischer Beziehungen dazu neigen, die steigenden Kosten und Profite der Pharmaunternehmen über steigende Zuzahlungen und Leistungsausgrenzungen zu privatisieren.

Es ist noch überraschender, weil als eine der ersten ausgehandelten gesundheitspolitischen Entscheidungen der neuen Regierung der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) - das seit 2004 u.a. Leistungen, Verfahren und Prozeduren auf ihre Qualität und Wirtschaftlichkeit untersuchen soll - aufgrund fadenscheiniger Argumente fallen gelassen wurde. Der bekannte Pharma-Kritiker Prof. Dr. Peter Sawicki, der nicht nur das pharmakritische Arzneimittel-Telegramm herausgegeben hat, sondern auch als ein Verfechter einer evidenzbasierten Medizin in Deutschland gilt, soll nach Ablauf seines Vertrages im Sommer 2010 keine Vertragsverlängerung bekommen.

Warum das überraschend ist? Nun, der größte Ausgabenanstieg für die Arzneimittelausgaben geht auf die sog. "strukturelle Komponente" im Arzneimittelmarkt zurück. Zwar sind die Preise und sogar die Verordnungen seit langer Zeit im Durchschnitt aller Arzneimittel rückläufig; das ist u.a. darauf zurückzuführen, dass SPD, Grüne und CDU/CSU 2004 alle nicht-rezeptpflichtigen, also frei verkaufbaren Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) gestrichen haben. Aber paradoxerweise steigen die Ausgaben der GKV für Arzneimittel insgesamt immer noch zügig an. Warum?

Satte Profite durch "neue" Medikamente

Aufgrund des Regulierungssystems in Deutschland unterliegen die (neuen) Arzneimittel bei Zulassung zunächst keiner Preisregulierung. Doch während manche Arzneimittel nach Ablauf ihres Patentschutzes einem intensiven Wettbewerb ausgesetzt sind (sog. Generika-Markt) und die Krankenkassen - wenn überhaupt - nur einen Festbetrag für ihre Erstattung zahlen, genießen neu auf dem Markt eingeführte Arzneimittel einen doppelten Vorteil: Es existiert keine Konkurrenz (Patentschutz), und die Festbetragsregelung der GKV gelten für sie nicht. Folglich können die Hersteller solcher Innovationen praktisch jeden Preis gegenüber der GKV durchsetzen. Konsequenterweise setzen die forschenden Pharmaunternehmen auf die stetige Einführung von "neuen" Arzneimitteln, die sich teilweise nur durch sog. Molekülvariationen voneinander unterscheiden (sog. Analog-Arzneimittel). Obwohl also Arzneimittelpreise (der gleichen Arzneimittel!) und die Zahl der Verordnungen stagnieren und teilweise rückläufig sind, steigen die Arzneimittelausgaben aufgrund dieser "strukturellen Komponente" immer wieder steil an.

Das IQWiG hatte nun die rechtliche Möglichkeit bekommen, die "Innovativität" bzw. den "Nutzen" von neu eingeführten Arzneimitteln zu überprüfen. Das war freilich der forschenden Pharmaindustrie ein Dorn im Auge. In diesem arzneimittelpolitischen Kontext ist die jüngste Gesetzesinitiative von Dr. Rösler zu verorten: ein Versuch, die Ziele des Schutzes (fragwürdiger) Arzneimittelinnovationen und entsprechend monopolistischer Marktpositionen einerseits und der Kostensenkung auf der Angebotsseite des Gesundheitsmarktes andererseits miteinander in Einklang zu bringen.

In den "Eckpunkten zur Umsetzung des Koalitionsvertrags in der Arzneimittelversorgung", die Ende April vom Kabinett abgesegnet wurden, stellt das Gesundheitsministerium seine arzneimittelpolitische Strategie dar. Nachdem der pharmakritische Vorsitzende des IQWiG geschasst wurde, muss das IQWiG an sich nicht abgeschafft werden. Statt dem IQWiG die (auch nachträgliche) Macht zu lassen, nicht wirklich nutzenstiftende Arzneimittel vom Markt zu nehmen, soll es jetzt "dem pharmazeutischen Unternehmen bei Bedarf frühzeitig beratend zur Seite stehen." Zwar wird das pharmazeutische Unternehmen, das ein "innovatives Arzneimittel" auf den Markt bringen will, dazu verpflichtet, beim IQWiG ein "Dossier zu Nutzen und Kosten" einzureichen, dessen Studien und Daten jedoch vom Pharma-Unternehmen selbst vorgelegt werden sollen. Aufgrund dieses Dossiers kann dann das IQWiG bzw. der ihm vorstehende Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), in dem Leistungserbringer- und Krankenkassenvertreter sitzen, entscheiden, ob ein Zusatznutzen besteht. Hierzu hat das IQWiG allerdings nur drei Monate Zeit. Das ist de facto eine Umkehr der Beweislast zu Lasten der Initiative des IQWiG.

Den PatientInnen drohen erhöhte Zuzahlungen

Auch eine Preissenkung der "strukturellen Komponente" auf dem Arzneimittelmarkt kann dieses Verfahren nicht bewirken. Denn erstens ist aufgrund des geänderten Verfahrens kaum mit einer massiven Zunahme der Anzahl "nicht-innovativer" Arzneimittel zu rechnen. Zwar ist in die Eckpunkte der Passus aufgenommen worden, dass der Zusatznutzen bei Arzneimitteln, deren Innovativität nur auf "Molekülvariationen" beruht (sog. Analog-Arzneimittel), von den Unternehmen selbst belegt werden muss. Der G-BA entscheidet innerhalb von drei Monaten nach Markteinführung darüber, ob das Analog-Arzneimittel aufgrund der Argumente des Pharmaunternehmens als innovativ oder nicht-innovativ zu betrachten ist. Diese Einzelfallentscheidung bedeutet daher keinen pauschalen Ausschluss solcher Analog-Arzneimittel aus der Liste innovativer Arzneimittel, wie Pharma-Kritiker fordern.

Zweitens sind die im Eckpunktepapier genannten Regelungen für die Preisregulierung der als "innovativ" eingestuften Arzneimittel recht schwach. Die Pharmaunternehmen können ein Jahr lang für jedes neu eingeführte Arzneimittel jeden geforderten Preis bei den Krankenkassen einsammeln und sollen dann in Rabattverhandlungen mit diesen gehen. Bei Nicht-Einigung entscheidet eine Schlichterstelle über die Preisfestlegung - nach drei Monaten. D.h. 15 Monate lang können die Pharmaunternehmen jeden Preis festlegen, bevor möglicherweise ihnen Preis- (aber keineswegs Mengen-)Begrenzungen auferlegt werden können. Erst danach können Krankenkassen (gemeinsam) oder das betroffene Pharmaunternehmen eine klärende IQWiG-Studie anfordern.

Darüber hinaus können einzelne Krankenkassen besondere Verträge mit den Pharmaunternehmen eingehen. Hier kündigt sich eine mögliche Entsolidarisierungstendenz und Realität ungleicher Versorgungsstrukturen an. Lediglich die Einführung eines erhöhten Abschlags auf Arzneimittel ohne Festbetrag (von 6% auf 16%) kann kurzfristig die Arzneimittelkosten senken. Um die monopolistische Preissetzungsmacht der (innovativen) Pharmaunternehmen zu umgehen, gilt ab der Gültigkeit des Gesetzes (das nicht absehbar ist) bis zum 31.12.13 ein Preisstopp. Allerdings wird die Preisbasis vom 1. August 2010 zugrunde gelegt, was die Arzneimittelpreise kurzfristig nach oben treiben dürfte: Für die während dieses Preismoratoriums neu eingeführten Arzneimittel gilt diese Regelung letztlich nicht, weil die Preissetzung bei Markteinführung frei ist und frei bleiben soll, ein dann geltender Preisstopp kann also einkalkuliert werden.

Die Pharma-Industrie wird geschont

Drittens sind auch von Seiten der Festbetrags-Arzneimittel keine großen Kostensenkungen zu erwarten. Denn die schwarz-gelbe Regierungskoalition unterwirft die von der SPD geförderten Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharma-Unternehmen dem Zivilrecht: sprich, dem Wettbewerbsrecht. Hierdurch besteht die Gefahr, dass die - vor allem von den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) betriebenen - Rabattverträge aufgrund der "Nachfragemacht" der AOKen insgesamt als wettbewerbswidrig, eben: monopolistisch angesehen und möglicherweise entschärft werden.

Die Unzufriedenheit vieler (chronisch erkrankter) PatientInnen mit den Rabattverträgen und dem wechselnden Arzneimittelnamen (bei gleichen Wirkstoffen) will die Regierung darüber angehen, dass auch andere Arzneimittel als von der Krankenkasse vorgegebene gewählt werden dürfen. Hierzu müssen die PatientInnen sich aber die Arzneimittelkosten im Nachhinein bei der Krankenkasse wiederholen, wobei die Krankenkasse nur einen Teil davon zahlen wird (eben: Kostenerstattung). In der Folge werden sich wohlhabende chronisch Erkrankte diesen "Luxus" leisten können, andere nicht.

Aufgrund der Eckpunkte zu den arzneipolitischen Maßnahmen der schwarz-gelben Regierungskoalition ist zu erwarten, dass die Arzneimittelausgaben nicht sinken werden. Weder wird die strukturelle Komponente im Arzneimittelmarkt "entschärft" noch die Preissetzungsmacht der forschenden Pharmaunternehmen geschwächt. Und auch der von den Krankenkassen über Rabattverträge induzierte Wettbewerb auf dem Generika-Markt (Arzneimittel mit Festbeträgen) wird zu Gunsten der Pharmaunternehmen und des hiesigen Pharma-Standortes abgeschwächt werden.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass mit der Vorlage eines großen Reformkonzeptes für die GKV durch die Regierungskommission die Finanzierungsprobleme auf bekannte Weise über den Weg des geringsten Widerstandes gelöst werden: durch Erhöhung der Zuzahlungen, vermehrte Leistungsausgrenzungen und - dem liberalen Wettbewerbscredo ihrer Klientel entsprechend - durch eine verstärkte Leistungsdifferenzierung zwischen den Krankenkassen (und ihren Versicherten) bei Schonung der Leistungserbringerseite. Effizienzsteigerungen im Gesundheitswesen sehen anders aus.

Kai Mosebach, Institut für Medizinische Soziologie, Frankfurt a.M.

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