ver.di blockt - Blogger: Schock!
Anti-Piraterie-Vorstoß empört die Blogger-Szene
Ver.di kapiert gar nichts! So lautet die aktuelle Einschätzung der Dienstleistungsgewerkschaft in großen Teilen der Blogger-Szene. Der Grund hierfür ist eine Pressekonferenz, zu der ver.di am 26. April, dem Welttag des geistigen Eigentums, geladen hat. Gemeinsam mit dem Bundesverband der Musikindustrie, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und anderen Anti-Piraterie-Hardlinern forderte ver.di den besseren Schutz geistigen Eigentums im Internet. Piraterie - gemeint ist das unerlaubte Austauschen von digitalen Medien wie Filmen, Büchern und Musikstücken - sorge für Verluste der Medien-Industrie und vernichte Arbeitsplätze.
Untermauert wird diese Sicht durch eine Studie der Unternehmensberatung TERA Consultants, die die Anti-Piraterie-Lobbyinitiative BASCAP und die Internationale Handelskammer ICC in Auftrag gegeben haben. Unter dem Titel "Aufbau einer digitalen Wirtschaft: Die Bedeutung der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Kreativwirtschaft der Europäischen Union" werden hier Zahlen für die Lobbyarbeit der Medien-Industrie präsentiert. Beweise für die schweren Vorwürfe fehlen, aber immerhin steht nun schwarz auf weiß fest: Bis zu 56 Mrd. Euro Umsatzverlust wären zu erwarten, wenn bis 2015 nichts gegen Piraterie unternommen würde. 1.216.800 Arbeitsplätze wären gefährdet.
Miese Arbeitsbedingungen in der Kreativindustrie
Das wäre nicht weiter der Rede wert, wenn nicht ausgerechnet ver.di sich diese Positionen zu Eigen gemacht hätte. Die Provokation war perfekt, ein Aufschrei ging durch die Blogger-Szene. Gegenpositionen und offene Briefe durchziehen das Web 2.0. (1) Empörte medienschaffende ver.di-Mitglieder verkünden ihren Austritt. Die Vorwürfe an die Gewerkschaft lauten einhellig: Löst euch von antiquierten internetfeindlichen Vorstellungen, und fangt endlich an, auch unsere Interessen zu vertreten! Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen! Das Urheberrecht gehört abgeschafft! Was aus den schon jetzt oft prekären UrheberInnen werden soll, ist indes weniger klar. Existenzgeldforderungen stehen neben neoliberalen Vorstellungen von der Suche nach der besten Geschäftsidee. In der Welt der BloggerInnen treffen sich Unternehmertum und Revolutionsromantik, ohne wirklich miteinander in Konflikt geraten zu müssen.
Aber der Aufschrei der BloggerInnen wird wahrgenommen: Selten wurde eine Pressekonferenz zu dem Thema mit so viel Spannung erwartet. Ist ver.di der Anti-Piraterie-Koalition beigetreten?
Die Pressekonferenz trägt wenig zur Aufklärung bei. Die meisten spielen ihre bekannte Rolle: Der Verband der Drehbuchautoren gibt den ausgebeuteten Urheber und erklärt, das Denken werde nicht mehr honoriert. Die Kostenlos-Kultur des Internet berge die Gefahr, dass "Hobby-Künstler" das Ruder übernehmen. Die Musikindustrie wundert sich, warum in der digitalen Welt ein Unrechtsbewusstsein fehle, das in der "echten Welt" doch existiere. Im Einkaufsladen wüssten doch auch alle, das Diebstahl nicht in Ordnung sei. Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien VPRT wünscht sich, dass sich Internet Service Provider mit der Filmindustrie zusammen bei der Verfolgung illegaler Downloads engagieren mögen. Und so weiter und so fort.
Als letzter spricht Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Bereichsleiter Kunst und Kultur bei ver.di. Er gibt eine deutliche Nicht-Positionierung ab: ver.di sei kein Teil des Bündnisses, weil es gar kein Bündnis gebe. Die Studie gefalle ver.di auch nicht, aber das mit dem Arbeitsplatzverlust müsse mal gesagt werden. Immerhin gehe es um die UrheberInnen.
Aber geht es überhaupt um die UrheberInnen? Die Arbeitsbedingungen in der Kreativwirtschaft sind in der Tat alles andere als gut. Die Branche setzt sich größtenteils aus PraktikantInnen, 400-Euro-JobberInnen und ÜberlebenskünstlerInnen zusammen. Sogenannte Normalarbeitsverhältnisse gibt es kaum. JournalistInnen, AutorInnen, UrheberInnen aller Art arbeiten für miese Löhne oder ganz ohne Bezahlung.
ver.di und Verlage Hand in Hand gegen UrheberInnen?
Von den Zeitungsverlagen haben die UrheberInnen wenig Unterstützung erhalten, im Gegenteil. Die Verlage haben flächendeckend "Total-Buy-Out"-Verträge durchgesetzt, in denen die UrheberInnen gegen ein meist lächerlich geringes Honorar sämtliche Rechte an ihren Werken an die Verlage abtreten. Und die wollen gern noch weiter gehen. Allen voran dem Burda- und dem Axel-Springer-Verlag ist es gelungen, ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage in den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP zu schmuggeln. Ein solches Gesetz würde die Verlage von lästigen Verhandlungen mit den UrheberInnen befreien: Das verlegerische Werk bekäme - ähnlich wie in der Musikindustrie - sein eigenes Verwertungsrecht. Wer es weiterverbreitet, muss dafür zahlen.
Im Prinzip haben es die Verlage dabei auf Unternehmen wie Google abgesehen, von deren Werbegewinnen sie gern einen Anteil hätten. Das große Problem an den existierenden Gesetzesentwürfen sind die darin enthaltenden Kollateralschäden. Im Prinzip könnte damit jeder Link auf verlegerische Werte kostenpflichtig werden. An der Situation der UrheberInnen würde das Gesetz wenig ändern. Durch die Total-Buy-Out-Verträge sind sie bereits faktisch enteignet.
Aus dem Hause Springer (oder Burda) verwundert eine solche Initiative nicht. Dass ver.di mitmacht, dagegen schon. Vor ein paar Tagen sind die noch nicht veröffentlichten Positionen von ver.di und den Presseverlagen an die Öffentlichkeit lanciert worden. Darin schließt sich ver.di fast nahtlos der Verlagsinitiative an. (2) Wieder geht ein Aufschrei durch die Szene; wahrscheinlich haben inzwischen die letzten bloggenden Mitglieder ver.di verlassen. Zu einer Neu-Positionierung von ver.di zum Leistungsschutz, die die Rechte UrheberInnen und die Arbeitsbedingungen in der Kreativwirtschaft in den Mittelpunkt stellt, hat das bislang nicht geführt.
Susanne Lang
Anmerkungen:
1) Zum Beispiel: carta.info/25968/offener-brief-5-vor-12-fuer-ver-di-wo-steht-die-gewerkschaft-beim-urheberrecht/
2) Kommentar des Entwurfs durch iRights.info (Info-Webseite zum Urheberrecht in der digitalen Welt) vom 7.5.10: irights.info/index.php?id=880