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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 551 / 18.6.2010

Aufgeblättert

Kaum Neues von Taibo II

Paco Ignacio Taibo II hat einen neuen Kriminalroman vorgelegt. Nach dem eher mäßigen Buchduett mit Subcommandante Marcos ("Unbequeme Tote") wendet er sich darin dem postrevolutionären Mexiko der 1920er Jahre und dem (zerstörten) Erbe von Pancho Villa und Emiliano Zapata zu. Vier Figuren - der Journalist Pioquinto Manterola, der Anwalt Alberto Verdugo, der Chinese Tomás Wong und der Dichter Fermín Valencia (unschwer erkennt man Züge von Paco Taibo II in dieser Figur) - finden sich in Mexiko-Stadt in eine Kriminalgeschichte gezogen, die sie mit Bravour, dem Einsatz von Schießeisen, der Solidarität der Unterwelt und der Entrechteten und nicht zuletzt Freund Zufall, der etwas zu oft auf den Plan tritt, zu lösen vermögen. So decken sie ein Komplott zwischen Armeegenerälen, US-amerikanischen Ölförderfirmen und Senatoren auf, die nichts weniger zum Ziel haben als die Abspaltung eines Teils des mexikanischen Territoriums, in dem das schwarze Gold sprudelt. Auf dem Weg zur Erkenntnis werden etliche Runden Domino gezockt, eine Chinesin aus den Klauen von Mädchenhändlern befreit und fleißig Streiks organisiert, denn Mexiko-Stadt durchlebt das anarchistisch geprägte Aufbegehren der Fabrikarbeiter. Taibo II kehrt in "Schatten des Schattens" zu seinen Lieblingsthemen und -orten zurück: Mexiko-Stadt und seinen postrevolutionären Geschehnissen. Leider hat man, nach der oft begeisterten Lektüre von Taibo-Büchern, mittlerweile das Gefühl, dass sich diese Welten etwas erschöpft haben: Die Figur des entbehrungsreich lebenden Revolutionärs - Raubein, einsamer Held mit Pistole, bester Freund der Huren und Gescheiterten - kennt man aus vielen anderen Geschichten des Schriftstellers. Vielleicht sind die Wiederholungen der Sehnsucht Taibos nach scheinbar besseren Zeiten geschuldet: als ein Ehrenwort noch etwas galt, ein Streik ein richtiger Streik war und Männer noch richtige Männer, die wenig Sinn für saubere Wäsche und behagliche Zimmer, aber für eine Menge Drinks hatten.

ev

Paco Ignacio Taibo II: Der Schatten des Schattens. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2010. 232 Seiten, 18 EUR

Eurozentrismus- und Kapitalismuskritik

Die koloniale Geschichte und die postkoloniale Gegenwart Deutschlands werden wenig beachtet. Die Zusammenhänge zwischen den kolonialen und postkolonialen Strukturen und die prägende Rolle des Kolonialismus, auch für die europäischen Staaten, bleiben so unterbelichtet. Insofern ist das verstärkte Interesse an postkolonialen Ansätzen zu begrüßen. Allerdings führen die Akademisierung postkolonialer Ansätze und die Etablierung der "postkolonialen Studien" zu einer Dominanz diskursanalytischer Ansätze. Durch die Rede über Diskurse geraten vielfach die realen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse aus dem Blickwinkel. Es ist den AutorInnen der aktuellen PROKLA anzurechnen, dass sie diese Kritik aufgreifen, ohne damit postkoloniale Ansätze insgesamt zu delegitimieren. Ihnen geht es um die "Verbindung einer materialistischen Analyse von Ausbeutungsverhältnissen mit einer Kritik der (...) diskursiven Normalisierung kolonialer Dominanz" und um die Rückbesinnung auf antikoloniale Theorien und Praxen. Die antikolonialen Kämpfe werden dabei als politischer Widerstand gegen Herrschaft und Ausbeutung verstanden. Diese Lesart lässt allerdings noch offen, wie aus antikolonialen Befreiungsbewegungen postkoloniale Herrschaftsapparate wurden und wie die Erlangung der formellen Unabhängigkeit mit der faktischen Fortführung von Dominanzverhältnissen einherging. Kritisch diskutiert werden auch die neueren Debatten um Migration in Deutschland, in denen zunehmend Forderungen nach einer "Steuerung" der Migration lauter werden. Gegenüber rassistischer Hetze erscheint der Multikulturalismus mit seiner grundsätzlichen Offenheit gegenüber Migration als vergleichsweise "liberal" und tolerant. Die Kritik an den gegenwärtigen multikulturalistischen Ansätzen, die auch die mit der "Nützlichkeit" von MigrantInnen argumentieren, verknüpfen die AutorInnen mit der Forderung nach einem alternativen, kritischen Multikulturalismus, der von den "Bedürfnissen der Migrant_innen und (den) sozialen Kämpfen" ausgehen soll. Es bleibt zu hoffen, dass diese Debatte fortgeführt wird.

Ismail Küpeli

PROKLA, Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft: Postkoloniale Studien als kritische Sozialwissenschaft. Nr. 158, März 2010. 14 EUR

Reflexionen über die DDR

Keine Chronik der DDR, sondern Reflexionen über ihre "historischen Tiefendimensionen" enthält Jörn Schütrumpfs Büchlein "Freiheiten ohne Freiheit". Der Titel umschreibt den in der DDR bis zu ihrem Ende gültigen Klassenkompromiss zwischen der Arbeiterschaft und der in ihrem Namen herrschenden Parteibürokratie: "Wenn schon keine politische Freiheit, so doch ein hohes Maß an sozialen Freiheiten" - u.a. Arbeitsplatzsicherheit und eine erträgliche Arbeitsbelastung. Diese Ambivalenz durchzieht das gesamte Buch. Der Autor - geboren 1956, Historiker, promoviert zum Dr. phil. an der Akademie der Wissenschaften der DDR - widersetzt sich sowohl der gängigen Phraseologie vom "Unrechtsstaat" als auch den "wohligen Erinnerungen". Ein Buch auf hohem gedanklichen und sprachlichen Niveau und, obwohl der Ausgang der Geschichte ja bekannt ist, spannend zu lesen. Biografische Angaben zu den handelnden Personen und ausführliche Begriffserklärungen erleichtern auch LeserInnen ohne viele Vorkenntnisse den Zugang. Ein Highlight unter den zahlreichen Veröffentlichungen des deutschen Jubiläumsjahres 2010! Dass man nicht jeder Einschätzung des Autors folgen muss, versteht sich von selbst.

Js.

Jörn Schütrumpf: Freiheiten ohne Freiheit. Die DDR - historische Tiefendimensionen. Dietz Verlag, Berlin 2010, 144 Seiten, 12,90 EUR

Opposition in Russland

In Russland hat sich eine bei uns kaum beachtete Opposition von unten und jenseits des Parteiengerangels im Parlament herausgebildet. Der Protest ganz normaler Leute ist aus dem oft wenig beschaulichen russischen Alltag längst nicht mehr wegzudenken. Das Spektrum reicht von Bürgerinitiativen, die sich gegen unerwünschte Bauvorhaben wehren, Ford- und Eisenbahnarbeitern, die mit Hilfe unabhängiger Gewerkschaften Lohnerhöhungen durchsetzen bis hin zu Gay-Pride-AktivistInnen und alternativen Medienprojekten. In ihrem Buch "Opposition gegen das System Putin" stellen Ute Weinmann und Ulrich Heyden verschiedene Initiativen vor und beleuchten deren Hintergrund. Die beiden JournalistInnen leben und arbeiten seit vielen Jahren in Moskau und kennen die Protestszene gut. Sie berichten nicht nur über UmweltschützerInnen, AnarchistInnen, unabhängige SozialistInnen, Bürgerbewegte, linke Liberale und GewerkschafterInnen, sondern lassen die AktivistInnen auch selbst zu Wort kommen. Hilfreich ist zudem die Einleitung "Mit Schocktherapie zum Kapitalismus", in der die Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion 1992 beschrieben werden. Porträtiert werden auch verschiedene Köpfe der Opposition wie der Linkssozialist Boris Kagarlizkij, der Anarchist Wlad Tupikin und der Radikaldemokrat Lew Ponomarjow. Am Ende bieten die AutorInnen noch einen kurzen Überblick über Parteien, Organisationen, Personen und Projekte.

as

Ulrich Heyden und Ute Weinmann: Opposition gegen das System Putin. Herrschaft und Widerstand im modernen Russland. Rotpunktverlag, Zürich 2009. 326 Seiten, 24 EUR