Haltet die Fahne der Gerechtigkeit hoch
Warum es falsch wäre, den Begriff Klimagerechtigkeit aufzugeben
In den letzten beiden Ausgaben von ak haben AktivistInnen des BUKO Arbeitsschwerpunkts Soziale Ökologie (ASSÖ) den Begriff Klimagerechtigkeit und sein Potenzial für soziale Bewegungen diskutiert. Der vorliegende Artikel - ebenfalls von Leuten aus dem ASSÖ - setzt die Diskussion fort. Die Verfasserinnen sind - im Gegensatz zu denjenigen der anderen Beiträge - der Ansicht, dass sich soziale Bewegungen aus Nord und Süd positiv auf Klimagerechtigkeit beziehen können und sollten.
Phillip Bedall und Martina Austen haben in ak 549 climate justice als einen Begriff beschrieben, der inhaltlich unbestimmt bleibt und deswegen von verschiedenen AkteurInnen unterschiedlich gefüllt werden kann und dies - je nach gesellschaftlichen Machtverhältnissen - auch passiert. Till Seidensticker, Niels Spilker und Wasilis von Rauch haben daran in ak 550 angeknüpft. Sie sind der Auffassung, dass der Begriff Klimagerechtigkeit, ähnlich wie vor einigen Jahren Nachhaltigkeit, derzeit von staatlichen AkteurInnen und größeren Nichtregierungsorganisationen mit Bedeutungsinhalten gefüllt wird, die aus emanzipatorischer Sicht abzulehnen sind. Deswegen sollten soziale Bewegungen sich nicht auf den Begriff beziehen.
Soziale Bewegungen brauchen orientierende Begriffe. Begriffe, die sie sich auf die Fahnen schreiben, unter denen sie sich gemeinsam versammeln und vernetzen können. Klimagerechtigkeit ist ein solcher Begriff. Wie alle orientierenden Begriffe ist auch Klimagerechtigkeit notwendigerweise in einem bestimmten Maße unbestimmt - sonst könnten sich unterschiedliche Teile von sozialen Bewegungen nicht gemeinsam dahinter stellen. Soziale Bewegungen sind vielfältig und uneinheitlich - rigide Begriffe bieten daher weniger Vernetzungspotenzial als solch ein offener wie Klimagerechtigkeit. Und für Demo-Transparente eignen sich Schlagworte besonders gut.
Die Unbestimmtheit des Begriffs bedeutet auch, dass sich - das wurde in den vorhergehenden Artikeln genau nachgezeichnet - unterschiedliche AkteurInnen auf den Begriff beziehen; zweifelsohne verfolgen nicht alle von ihnen emanzipatorische Ziele. Ergoogelte Workshoptitel wie "Klimagerechtigkeit als Business Case" können einen schon ins Grübeln bringen. Trotzdem hat Klimagerechtigkeit fast immer einen bestimmten Kerninhalt, auf den sich - bei allem, was sonst vielleicht noch damit gemeint ist - soziale Bewegungen positiv beziehen können. Wenn Klimagerechtigkeit ins diskursive Spiel gebracht wird, geht es darum, dass für die Minderung des Klimawandels und für die entstehenden Kosten der Anpassung an den Wandel diejenigen zahlen sollen, die ihn verursacht haben: die reichen Länder.
(Klima)gerechtigkeit ist nicht Nachhaltigkeit
Da der Begriff der Gerechtigkeit unter anderem die Frage nach gerechter gesellschaftlicher Verteilung aufwirft, verweist Klimagerechtigkeit gleichzeitig auf eine ökologische und eine soziale Dimension - und auf globale Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Der Begriff passt damit gut zu der linken Position, dass Ökologie nicht eine Frage von Naturschutz ist, sondern eine Frage gesellschaftlicher (Natur)verhältnisse. Er steht damit auch einem Ansatz entgegen, der Klimawandel als Problem begreift, dass sich rein technologisch "managen" lässt.
Es ist unwahrscheinlich, dass dieser harte Begriffskern in Zukunft von bestimmten AkteurInnen so verwässert werden kann, dass Klimagerechtigkeit ins Konturlose verschwimmt. Anders als Nachhaltigkeit, ein Begriff, der semantisch völlig unbestimmt ist, hat der Begriff der Gerechtigkeit immer einen normativen Gehalt. Er verweist auf richtig und falsch, auf gut und böse. Es ist zwar richtig, dass niemals vorab und objektiv definiert ist, was genau in einer bestimmten Situation gerecht ist; die Verwendung des Begriffs wirft aber die Frage auf, was diejenigen, die den Begriff verwenden, damit meinen.
Damit verweist er auf Fragen wie: Was ist ungerecht am jetzigen Zustand? Wie müsste die Situation geändert werden, damit sie gerecht wird? Was ist gerecht - ein pro Kopf Kohlenstoffbudget? Wer entscheidet darüber - die UN, Regierungen, ein komplexes Computerprogramm, dass das verbleibende globale Emissionsbudget errechnet, oder gibt es ganz andere und bessere Entscheidungsmechanismen? Mit solchen Fragen lassen sich Blindstellen und Widersprüche der herrschenden Klimapolitik aufdecken. Das Schöne an dem Begriff ist dabei, dass er mehrdimensional ist. Es geht bei (Klima)gerechtigkeit sowohl um Entscheidungsverfahren - wer entscheidet eigentlich? - als auch um den Inhalt politischer Entscheidung - wer bekommt wieviel? wer muss wieviel beitragen? nach welchen Kriterien wird darüber entschieden? Die meisten Forderungen von klimapolitischen Bewegungen, die den Begriff verwenden, geben Antworten auf genau diese Fragen. Der Begriff der Klimagerechtigkeit ist damit offen und unbestimmt, aber nicht beliebig.
Nicht nur das unterscheidet Klimagerechtigkeit vom Begriff der Nachhaltigkeit, den sich heutzutage jeder größere Konzern und (beinahe) jede Regierung auf die Fahne schreibt. Klimagerechtigkeit wurde nicht durch UN-Gipfel von oben stark gemacht, sondern wurde und wird sehr stark von sozialen Bewegungen in die Diskussion eingebracht - gerade auch von Menschen und Bewegungen aus dem globalen Süden. Dass in den vorherigen Artikeln teilweise von climate justice und nicht von Klimagerechtigkeit geschrieben wird, ist ein Ausdruck dieser Geschichte des Begriffs.
Dass dabei verschiedene Bewegungen an verschiedenen Orten ihre je eigenen Vorstellungen mit dem Begriff verknüpfen und sich diese im Laufe der Zeit und im Zuge von Kämpfen vielleicht auch verändern, ist positiv. Denn was (klima)gerecht ist, ist sowohl lokal als auch historisch verankert. Das Verständnis von Klimagerechtigkeit oder climate justice hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Anfangs wurde unter dem Begriff Klimagerechtigkeit vor allem Kritik an den Entscheidungsprozessen der herrschenden Klimapolitik und marktbasierten Mechanismen artikuliert. Heute verbinden soziale Bewegungen daneben auch häufig die - vielleicht noch etwas vage - Formulierung von Alternativen mit Klimagerechtigkeit.
Wenn wir den Abschied von gesellschaftlichen Vorab-Großentwürfen, der zumindest von einem Großteil der emanzipatorischen Linken in Anlehnung an das zapatistische Motto des fragenden Voranschreitens zurecht vertreten wird, ernst nehmen, dann brauchen wir dafür geeignete Begriffe. Solche, die Such- und Verständigungsprozesse, produktiven Streit und neue Ideen ermöglichen - ohne dass sie ihre Eigenschaft, für das Voranschreiten (statt das Zurückschreiten) richtungsweisend zu sein, verlieren würden. Klimagerechtigkeit hat dabei den Vorteil, dass sie auch positiv ausbuchstabiert werden kann. Mit Klimagerechtigkeit lässt sich die Ablehnung von Markmechanismen verbinden, aber auch die Forderung nach Reparationszahlungen an den globalen Süden für die ökologischen Schulden des Nordens oder die Anerkennung indigener Rechte. Der Begriff beinhaltet also sowohl ein klares "Nein" als auch viele "Jas".
Der Begriff ist offen, aber nicht beliebig
Ein Schlagwort ist immer erst einmal nur ein Schlagwort, hinter dem sich Inhalte verbergen, die es zu kommunizieren gilt. Wenn dies - wie manche befürchten - sozialen Bewegungen nicht hinreichend gelingt, liegt das nicht zwangsläufig am Begriff selber. Vielleicht sind die gesellschaftlichen Macht- und Naturverhältnisse nicht so, dass "wir" große Chancen hätten, mit dem Begriff Klimagerechtigkeit "unsere" Inhalte zu transportieren? Aber wann wären die Verhältnisse für uns jemals günstig gewesen? Und mit welchen Begriffen wollen wir dann noch sprechen? Den Begriff deswegen aufzugeben, weil mächtigere AkteurInnen ihn anders verwenden und damit ein bestimmtes Begriffsverständnis prägen könnten, bedeutet, diesen AkteurInnen kampflos das diskursive Feld zu überlassen. Wenn sich gesellschaftlicher Konsens diskursiv über Begriffe herstellt, dann lohnt es sich, uns diese Begriffe nicht einfach klauen zu lassen. Die Forderung nach Klimagerechtigkeit ist alleine keine Antwort auf alle Fragen. Sie kann und sollte aber als Überschrift über dem Flugblatt stehen, in dem wir unsere Antworten weiter ausbuchstabieren.
Christiane Gerstetter, Ilana Krause BUKO Arbeitsschwerpunkt Soziale Ökologie