Der lange Februar der Antifa
Massenblockaden und ziviler Ungehorsam als Patentrezepte gegen Nazis?
Ausgelassene Stimmung herrschte am 29. Mai dieses Jahres unter den 500 sehr zivilen Ungehorsamen in der Kleinstadt Bernau. Unter dem Motto Brandenburg nazifrei hatte sich ein erstaunlich breites Bündnis gegen einen Aufmarschmarathon der lokalen Kameradschaft gebildet und es geschafft, die Nazis am Bahnhof festzusetzen. 2010 scheint ein schlechtes Jahr für aufmarschfreudige Nazis zu werden. Durch den Erfolg der Blockade von Dresden im Februar inspiriert, haben sich zahlreiche Bündnisse auf das Blockadekonzept mit dem Aktionskonsens von Dresden eingelassen. In Lübeck, Berlin, Erfurt und zahlreichen weiteren Städten mussten die Nazis nach wenigen Metern umkehren. Zeit also, das Blockadekonzept einer gründlichen Reflexion zu unterziehen.
Eine zentrale Frage, die sich nicht nur auf der Bilanz- und Strategiekonferenz in Jena stellte, lautet: Ist mit den Blockaden ein Patentrezept gefunden, um Naziaufmärsche zu verhindern oder gar das Erstarken der extremen Rechten zu stoppen?
Grundsätzlich gilt: Kernelemente des Blockadekonzepts sind die öffentliche Ankündigung der Blockaden, ein breites politisches Bündnis und eine akribische organisatorische und taktische Vorbereitung der Aktion selbst.
Durch einen klaren Aktionskonsens soll eine breite Beteiligung ermöglicht werden und politischer Druck auf die Verantwortlichen in den Staatsapparaten ausgeübt werden. In diversen Workshops wurden bei der Konferenz in Jena diese und weitere Aspekte des Blockadekonzepts vorgestellt und diskutiert. Ein Wissenstransfer und -austausch zur Funktion von Aktionsräten, Medienarbeit, Busorganisation, Bezugsgruppen und Fünf-Finger-Taktik stand hierbei im Zentrum. Wie können Bündnisse gebildet werden, welche Taktik haben Polizei und Justiz gegen Blockaden? Diese Erfahrungen sollen nun in einem bald erscheinenden Blockade-Reader festgehalten werden.
Die Unterschiedlichkeit der BündnispartnerInnen wird sowohl bei den theoretischen Ausgangspunkten und als auch bei den Perspektiven deutlich. Auf der einen Seite steht eine starke Bezugnahme auf das von Habermas popularisierte Verständnis von zivilem Ungehorsam (ZU). Demnach ist ZU eine Protestform des Bürgers gegen einen unhaltbaren Zustand, bei dem bewusst und unter Akzeptanz der juristischen Konsequenzen gegen geltendes Recht verstoßen wird. Grundlage des Habermasschen Begriffs vom ZU ist jedoch die grundsätzliche Anerkennung der Legitimität der staatlichen und politischen Ordnung. Habermas trennt so den Widerstand der RevolutionärInnen vom Ungehorsam der BürgerInnen.
Die Protestform gegen einen unhaltbaren Zustand
Die Interpretation des ZU durch Habermas ist in der BRD hegemonial. Sie liefert den theoretischen Rahmen der seit Dresden in der Öffentlichkeit neu entflammten Debatte um die Legitimität dieser Protestform. Das Aushängeschild der ordnungsstaatsfanatischen Rechten, Eckard Jesse, sprach in der FAZ (6.5.10) von einer "blockierten Demokratie" und geißelte die Rechtsverletzung aus Gewissensgründen. In der liberalen Presse von taz bis FR wurde die Gegenposition, besonders nach den scharfen Angriffen auf Thierse nach dem 1. Mai, mit der Begründungslogik von Habermas vertreten. Obwohl die radikale Linke maßgeblicher Organisator der verschiedenen Massenblockaden war, fehlt es an einer sinnvollen Intervention in diese öffentliche Debatte. Diese "Sprachlosigkeit" speist sich aus einer mangelnden theoretischen Fundierung eines eigenen Begriffs von zivilem Ungehorsam, der dynamischer ist und die Radikalisierungsfunktion kollektiver Regelverstöße betont.
In der Antifa-Szene ist das Echo auf den Erfolg des Blockadekonzepts geteilt. Einerseits sehen viele den realen Effekt - frustrierte Nazis und Mobilisierungserfolge der Antifa - und organisieren federführend die lokalen Blockaden. Andererseits gibt es ein Rumoren über die mangelnde Action - es ist für eine sich radikal gerierende jugendkulturell orientierte Bewegung ja auch nicht gerade ein großer Wurf, sich hinzusetzen, besonders, wenn der Sitznachbar ein Bürgermeister sein könnte. Tatsächlich ist die Befürchtung einer Integration in die "Zivilgesellschaft" und den Staatsantifaschismus der Berliner Republik nicht von der Hand zu weisen. Diese Integrationsgefahr besteht jedoch bei allen politischen Kämpfen. Wenn der gesellschaftliche Konflikt um Blockaden befriedet wäre und die Naziprobleme behoben, könnte sich die radikale Linke sicher auch stärker anderen Themen zuwenden.
Dennoch liegt in den Blockaden ein wichtiger politischer Impuls. AktivistInnen verschiedener Couleur lernen sich kennen, bauen Vorurteile ab, streiten und lernen sich bei aller Unterschiedlichkeit in einer gemeinsamen Aktion zu vertrauen. Von entscheidender Bedeutung wird es aber sein, das Moment der Subversion durch die Blockaden aufrechtzuerhalten. Das Begehen und Erleben eines kollektiven Regelverstoßes ist ein eminent politischer Akt. Nicht blindlings nach den Buchstaben des Gesetzes zu handeln, sondern aus politischen Motiven Recht und Gerechtigkeit abzuwägen ist eine wichtige Erfahrung.
Die Formen eines kollektiven Regelverstoßes bringen etwas Bewegung in die verregelte und konfliktscheue politische Kultur der BRD. Studierende haben mit Gebührenboykotten und "Banküberfällen" bereits einen Transfer zum Sozialen Ungehorsam versucht. Aber auch in anderen Bereichen bieten sich konfrontativere Konfliktformen an - zum Beispiel beim kommenden Castor-Transport oder den Protesten gegen das aktuelle Sparpaket der Regierung. Die Erfahrungen der Antifa-Bewegung können dabei fruchtbar gemacht werden. Ein anschlussfähiges radikalisierendes Aktionsrepertoire, auch über die bisherigen Massenblockaden hinaus, wird bei diesen Protesten nötig werden. Dazu bedarf es einer Theoretisierung der Praxis und einer Herstellung einer Sprechfähigkeit der radikalen Linken in diesen Protesten.
Henning Obens