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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 551 / 18.6.2010

Gerettet!

Wie sich die Regierung am Protest vorbei spart

Nun ist er gespitzt, der Rotstift. Der Anspitzer raucht noch. Mit den Kürzungen bei Hartz-IV-EmpfängerInnen, der Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen, einer Luftverkehrsabgabe und anderen, teils noch recht wolkigen Sparerwartungen, will die Bundesregierung in den nächsten drei Jahren 80 Mrd. Euro einsparen.

Das war's? Wohl kaum! Wie der "Sparhammer" (Bild), der "einmalige Kraftakt" (Merkel), das "größte Sparpaket aller Zeiten" (diverse Zeitungen) diese Summe generieren soll, bleibt Merkels Geheimnis. Schon Der Spiegel hat gemerkt, dass da noch was kommen muss. Das Zentralorgan der Normal- und GutverdienerInnen merkte überrascht an, dass die "Leistungsträger" der Gesellschaft kaum belastet werden, und hielt fest: "Das schwarzgelbe Sparpaket ist mit großer Wahrscheinlichkeit also erst der Anfang. ... Normalverdiener aller Länder, vereinigt euch schon mal!" (Spiegel Online, 9.6.10)

Zurecht weisen viele Kommentare darauf hin, dass die konkret benannten Sparpläne vor allem zu Lasten der Armen und Ärmsten gehen. Mit der Streichung des Elterngeldes zeigt sich ein weiteres Mal der Hass der FDP und ihrer Klientel auf die "Schwachen" in der Gesellschaft. Den Standort Deutschland stärken bedeutet eben auch, dass nur diejenigen Kinder in die Welt setzen sollen, die sich als Stützen der Gesellschaft verstehen und nicht die, die auf Stütze sind.

Alle weiteren Sparvorhaben sind "Luftbuchungen" (Bild) und "Hoffnungswerte" (Spiegel Online). Das Paket lasse, beklagte die Süddeutsche Zeitung, ein Konzept, eine Vision vermissen. Doch ist das wirklich so? Eine positive politische Vision ist hinter dem Sparpaket tatsächlich nicht zu erkennen. Aber wen wundert's, es handelt sich um ein Spar-, kein Ausgabenprogramm. In der Krise kam der CDU auch die Aufgabe zu, die FDP regierungsfähig zu machen. Die Träume von Steuersenkungen sind geplatzt und die FDP muss sich nun sogar mit der Forderung nach Steuererhöhungen herumschlagen. Nach der ökonomischen Krise rutscht die Regierung in die politische Krise.

Ein Konzept ist dennoch zu erkennen, sogar deutlich. Gespart wird dort, wo Gegenwehr nicht zu erwarten ist. Zwar hat Gesine Lötzsch (DIE LINKE) sogleich Protest auf der Straße gefordert und der DGB-Vorsitzende Michael Sommer "warnte", man solle "die Wut der Gewerkschaften nicht unterschätzen". Doch ob der Rhetorik gegen die "soziale Kaltfront" tatsächlich Taten folgen werden, ist zweifelhaft. Bislang haben sich die DGB-Gewerkschaften nicht gerade als Schutzmacht der Hartz-IVlerInnen erwiesen. Ein paar strenge Worte kosten nichts. Aber dass die Gewerkschaften die organisierten "Normalverdiener" in Bewegung setzen werden, um die Rechte der Arbeitslosen zu verteidigen? Man kann es sich irgendwie nicht recht vorstellen.

Schwarzgelb kürzt dort, wo sie damit durchzukommen hoffen. Das ist einerseits Ausdruck von Schwäche (die im Bundesrat auf die Zustimmung der Opposition angewiesen ist), andererseits klüger, als viele bislang zugestehen wollen. Schwarzgelb spielt auf Zeit, der Frontalangriff lässt auf sich warten. Die Mittelschicht, die seit Jahren schrumpft und um ihren Lebensstandard fürchtet, kann erst einmal aufatmen. An ihr geht die Umverteilungsrunde diesmal vorbei. Politisch klug ist das deshalb, weil die Mittelschicht in der Identifikation mit "oben" und in ihrer Abgrenzung nach unten so vor allem eines bleibt: gefügig und sozial friedlich.

Politisch klug ist es auch, weil sich in anderen EU-Ländern langsam Proteste zu regen beginnen. Einen solchen in Deutschland noch zu vermeiden, ist nicht das Dümmste. Doch halt, es wurde ja protestiert: vergangenen Samstag in Stuttgart und Berlin. Zwar waren die Demonstrationen vom vergangenen Sam stag ein erster Schritt. Doch bot sich ein ähnliches Bild wie am 28. März 2009: 20.000 in Berlin und 20.000 in Stuttgart sind ziemlich genau das, was die verschiedenen Spektren der organisierten Linken gemeinsam auf die Straße bringen können. Auf die 80 Prozent der Bundesbürger, die das Sparpaket laut Umfragen ablehnen, ist der Protestfunke noch nicht übergesprungen. Nun ist zu hoffen, dass die gemeinsame Erfahrung der Krise zusammenführt, was eigentlich längst zusammen gehört: die Lohnabhängigen mit Job, deren Löhne seit Jahren stagnieren, und die ohne Job, auf deren Rücken die Krisenkosten abgeladen werden, die Prekären von Deutschland bis Griechenland, kurz: alle, deren Interesse es sein könnte, aus einem Europa des Kapitals ein Europa des Protests für soziale und politische Rechte zu machen. Was anderenfalls droht, zeigte sich vor kurzem in Ungarn und jüngst in Holland: der Aufstieg der extremen Rechten.