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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 552 / 20.8.2010

Wissenschaftlicher Antisozialismus

Das Jahrbuch "Extremismus & Demokratie" - eine Kampfschrift gegen die Linke

Bei der Boombranche "Totalitarismusforschung" handelt es sich um einen speziellen Fall von "engagierter Sozialwissenschaft". Das aktuelle "Jahrbuch Extremismus & Demokratie (E&D)", in dem eine Reihe von Aufsätzen zum "politischen Extremismus" versammelt ist, begnügt sich keineswegs mit Analysen. Mehr oder weniger offen wird immer wieder der Staat zum Eingreifen aufgefordert - gegen die Linke.

Akuten Handlungsbedarf legt etwa Karsten Dustin Hoffmann in seinem "Zeitschriftenporträt" nahe, das der in Hamburg erscheinenden Zeck gewidmet ist: "Die Zeck ist eine linksextremistische Zeitschrift, die darauf zielt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen und dafür Zerstörung und Gewalt gegen Andersdenkende als legitime politische Mittel ansieht. Der zögerliche Umgang staatlicher Organe mit der Zeck ist daher verwunderlich."

Der Autor beklagt auch den "wissenschaftlichen Missstand", dass es bislang zu wenige "Auswertungen von Szenezeitschriften" gebe. Man darf gespannt sein, ob die Klage gehört wird und im nächsten Jahrbuch weitere linksradikale Publikationen in die anti-totalitäre Mangel genommen werden.

Wer die "Systemfrage" stellt, ist ein "Extremist"

Wozu bürgerliche Politikwissenschaft mit "antiextremistischer Perspektive" fähig ist, wird besonders deutlich an Eckhard Jesses Beitrag, der als eine Art Leitartikel die Textsammlung eröffnet, Titel: "Die NPD und die Linke. Ein Vergleich zwischen einer harten und einer weichen Form des Extremismus". Der Autor, Professor an der TU Chemnitz, findet sich selbst außergewöhnlich mutig, betrete er mit seiner Untersuchung doch "vermintes Gelände". Dem ist leider nicht so. Explosionen des Protestes sind bislang ausgeblieben, obwohl der Tatbestand offensichtlich ist: Durch den Vergleich wird die NPD verharmlost und die Linkspartei dämonisiert. Dass die Rechten "harte" und die Linken "weiche"Extremisten sein sollen, fällt dabei nicht mehr ins Gewicht.

Da die akademischen VerfechterInnen der Totalitarismusdoktrin der Politik die scheinbar "wissenschaftliche" Legitimation verleihen, muss man ihre Analysen wohl ernst nehmen. Was schwer fällt, wenn man sich etwa die Indizien ansieht, die laut Jesse den Extremismus der Linkspartei belegen sollen. So habe der seinerzeitige Parteivorsitzende Lothar Bisky 2007 gesagt: "Wir stellen die Systemfrage!" Für Jesse eine Art Aufruf zum bewaffneten Aufstand: "Wer die ,Systemfrage` stellt, lehnt die Grundlagen des Systems ab."

Subversion erkennt er auch in den "Programmatischen Eckpunkten" der Linkspartei: "So ist von einer ,Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse` gegen die ,herrschende Klasse` die Rede." Weitere Anklagepunkte sind die Zusammenarbeit der Partei mit "militanten Demokratiegegnern" und die nicht ausreichende "Grenzziehung gegenüber Gewaltbefürwortern"; letzteres bezieht sich auf die Bündnispolitik der Linken zu den G8-Protesten in Heiligendamm, ersteres auf den "Fall" Christel Wegner. (vgl. ak 526)

Hinzu kommen "Sympathie für die kubanische Diktatur" und die "Verklärung von Rosa Luxemburg, einer Verfechterin der Diktatur des Proletariats". Müsste nicht die Rosa-Luxemburg-Stiftung verboten werden? Jesse fordert das nicht ausdrücklich, er warnt aber vor den "extremistischen Zusammenschlüssen" in der Linkspartei, die er für "offen verfassungsfeindlich" erklärt: die Kommunistische Plattform, das Marxistische Forum, die Sozialistische Linke und die Arbeitsgemeinschaft Cuba Si. Diese seien zwar minoritär, einzelne ihrer ExponentInnen aber hätten es in führende Positionen geschafft - anders als von vielen erwartet habe der Zusammenschluss von PDS und WASG keine "Mäßigung", sondern vielmehr eine "Radikalisierung" bewirkt.

Der Vergleich mit den Nazis führt Jesse zu einem Ergebnis, das schon in der Überschrift seines Textes vorweggenommen wird: "harter Extremismus" bei der NPD, "weicher Extremismus" bei der Linkspartei. Bemerkenswert ist, wie er diesen Befund gleich wieder gegen die Linke wendet: "Lässt diese Diagnose die naheliegende Schlussfolgerung zu, dass die NPD für die Demokratie eine größere Gefahr bedeutet als die Linke? Das muss ganz und gar nicht der Fall sein. Wer eine Risikoanalyse vornähme, käme wohl zu einem anderen Ergebnis. (...) Eine Partei wie die NPD ist bekanntermaßen gesellschaftlich geächtet. Das gilt für die Linke nicht annähernd im gleichen Maße."

Jesses "Risikoanalyse": Linke gefährlicher als NPD

Offensichtlich ist es Jesse und seinesgleichen gelungen, die schwarz-gelbe Regierung zu überzeugen, dass es hier Nachholbedarf gibt - siehe das gleich nach ihrem Amtsantritt aufgelegte Programm zur "Extremismusbekämpfung". Damit allerdings dürften die VertreterInnen des wissenschaftlichen Antisozialismus kaum zufrieden sein. Die Installierung der ersten rot-rot-grünen Koalition auf Landesebene sei "bloß eine Frage der Zeit", schreibt Jesse. Damit werde es der Linken gelingen, "das politische Koordinatensystem in ihrem Sinne zu verschieben." Der Artikel endet mit dem Satz: "Sie (die Linke) hat von den partiellen Erfolgen der NPD profitiert, diese nicht von den massiven Erfolgen der Linken." Soll heißen: Die Konzentration auf den "harten Extremismus" der Rechten begünstigt den "weichen Extremismus" der Linken - womit sich dieser letztlich als gefährlicher erweist. Auf so eine Beweisführung - und das noch unter dem Label kritischer Wissenschaft - muss man erstmal kommen.

Js.

Uwe Backes, Alexander Gallus, Eckhard Jesse (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie (E&D), 21. Jahrgang 2009. Nomos Verlag, Baden-Baden 2010. 504 Seiten, 49 EUR


Totalitarismusforschung made in Ex-DDR

Stilbildend bei der "wissenschaftlichen" Analyse des "Extremismus" ist das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden. In seiner Selbstverständniserklärung heißt es:

"Das Hannah-Arendt-Institut widmet sich vor allem der systematischen Untersuchung des Kommunismus und des Nationalsozialismus. Als Weltanschauungsdiktaturen haben sie das 20. Jahrhundert entscheidend geprägt; ihre Folgen sind Hypotheken für Gegenwart und Zukunft. Vergleichende Perspektiven auf andere faschistische und staatssozialistische Systeme ergänzen die Untersuchungen zu den Diktaturen in Deutschland. Die kritische Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus in Geschichte und Gegenwart ist gleichfalls Bestandteil der Tätigkeit der Dresdner Forschungseinrichtung.

Neben der interdisziplinär auszurichtenden Analyse der politischen und gesellschaftlichen Strukturen der beiden deutschen Diktaturen und deren Nachwirkungen auf die Gestaltung der deutschen Einheit sieht die Satzung auch die Erforschung des Widerstands gegen die Gewaltherrschaft vor, unter besonderer Berücksichtigung totalitärer Tendenzen und Strömungen."

Zur Redaktion des Extremismus-Jahrbuchs gehört auch der stellvertretende Leiter des Instituts, Professor Uwe Backes. Sein Chemnitzer Kollege Eckhard Jesse hat in seinem Beitrag für das Jahrbuch einen Gedanken formuliert, der ebenfalls das Bekenntnis der Totalitarismusforscher auf den Punkt bringt: "Eine weltanschauliche Utopie der angestrebten Gesellschaftsform stellt den Kern antidemokratischen Denkens dar." Dass gesellschaftliche Utopien Ausgangspunkt schlimmster Verbrechen bis hin zum Massenmord seien, hatte schon Stéphane Courtois in seinem Vorwort zum "Schwarzbuch des Kommunismus" verkündet. Für einen Beitrag zur deutschen Ausgabe des Schwarzbuchs hatte Courtois auch Joachim Gauck gewinnen können - siehe oben.