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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 552 / 20.8.2010

Antitotalitärer Furor

Die Weltanschauung des gescheiterten Kandidaten Gauck

Die Linkspartei ist standhaft geblieben. Allem politischen und medialen Druck zum Trotz hat sie sich geweigert, Joachim Gauck zum Bundespräsidenten zu wählen. Das ist gut so. Weniger überzeugend allerdings klingen die dabei von der Parteispitze vorgebrachten Argumente gegen den Kandidaten: Er sei für die Hartz-Gesetze und den Krieg in Afghanistan. Beides stimmt und reicht für eine Ablehnung zweifellos aus. Es ist jedoch weniger als die halbe Wahrheit über einen Mann, den SPD und Grüne vor allem in die laufende Kampagne kollektiver Gehirnwäsche einspannen wollten: Dass es außerhalb der "demokratischen Parteien" nur "Extremisten" gebe und jenseits der "sozialen Marktwirtschaft" nichts als "Totalitarismus".

Joachim Gauck hat mit seiner Bewerbungsrede "Freiheit - Verantwortung - Gemeinsinn. Wir in unserem Staat", gehalten am 22. Mai in Berlin, die Anwesenden buchstäblich von den Sitzen gerissen. PolitikerInnen der Oppositions- wie auch der Regierungsparteien feierten einen Mann, der neben allerhand erwartbaren Floskeln ("Bürgersinn in allen Schichten", "gleiche Bildungschancen", "Defizite bei der Integration") auch kernige Bekenntnisse formulierte - zum Krieg ("unser Engagement in Afghanistan") ebenso wie zur Profitwirtschaft: "Sollte nicht die als ,Kapitalismus` denunzierte Marktwirtschaft endlich abgeschafft werden? Mir erscheinen derartige Überlegungen als Flucht. (...) Wir schaffen auch den Fußballsport nicht ab, weil es immer wieder Spieler gibt, die Foul spielen."

Dieses "Argument" von geradezu Lübkeschem Tiefgang gefiel Steinmeier (SPD) und Künast (Grüne) ebenso wie Biedenkopf (CDU): Gegen "Regelverstöße" hilft der Appell an die "traditionelle Verantwortung (der Unternehmer) für das Gemeinwesen als Ganzes", vor allem aber der Ruck, der uns alle von unserer "Angst vor der Freiheit" befreit und der "bequemen Ohnmacht der nie und nirgends Verantwortlichen" ein Ende macht. Letzteres richtet sich vor allem an die Ostdeutschen - unter diesen kenne er "viele, die einst fürchteten, eingesperrt zu werden, und jetzt fürchten, abgehängt zu werden". Diese Angst sei "häufig eher da als die reale Gefahr", ein Erbe der DDR, wo "Eigenverantwortung" für die individuelle Lebensplanung nicht gelernt worden sei.

Weitere Aussagen über die DDR finden sich im ersten, autobiografischen Teil der Berliner Rede, in dem Gauck über seine Kindheit berichtet: "Krieg, Diktatur, wieder Diktatur, Willkür und Rechtlosigkeit" hat er erlebt, "Freiheitsliebe auch", aber nur "wie schon in der braunen Diktatur - in Innenräumen". Die in solchen Formulierungen angelegte Gleichsetzung der "beiden deutschen Diktaturen" wird indes nicht weiter verfolgt. Sie ist Thema eines anderen Dokuments Gauckscher Weltanschauung, dem 1998 entstandenen Beitrag zum "Schwarzbuch des Kommunismus".

Er richtet sich vor allem gegen die demokratischen BündnispartnerInnen sozialistischer und kommunistischer Parteien, die in ihrer "Einäugigkeit" die "Menschenfeindlichkeit des Kommunismus" nicht wahrhaben wollen: "Den Kommunismus als absolutistisch oder despotisch zu beschreiben scheint mir nicht ausreichend. Wir stehen vor gigantischen Menschheitsverbrechen, und bei allem Streit um Definitionen darf nicht verkannt werden, dass neben dem Nationalsozialismus auch mit dem Kommunismus in diesem Jahrhundert ein Qualitätssprung ins Negative erfolgt ist." Wer solchen Gleichsetzungen widerspricht, verletzt "den antitotalitären Konsens aller Demokraten".

Gauck verkündet in seinem Schwarzbuch-Beitrag allerdings nicht nur Dogmen, er übt auch Selbstkritik: Die Mehrheit der Christen in der DDR - darunter auch er selbst - hätten seit Ende der 1960er Jahre "Mindestloyalität" gegenüber dem Staat geübt - mit fatalen Folgen: "Sie verhielten sich wie die Entspannungspolitiker: Der friedliche Ausgleich gewann gegenüber der kontroversen Auseinandersetzung." Gaucks nachträglich entdeckte Alternative zur "unüberzeugten Minimalloyalität" ist mitnichten das antiautoritäre Aufbegehren gegen staatliche Willkür, sondern gegen den "kommunistischen Antifaschismus" und vor allem gegen den Verzicht auf die "deutschen Ostgebiete": "Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenzen anerkannten." Erika Steinbach vom Bund der Vertriebenen hätte das nicht besser sagen können.

Js.