Ungehorsam zum Erfolg
Blockaden gegen Neonazis in Brandenburg kampagnenfähig
Was im Februar 2010 in Dresden und in ähnlicher Form in Lübeck (27. März) und Berlin (1. Mai) erfolgreich erprobt worden war, hat sich auch in brandenburgischen Kleinstädten bewährt - das Blockadekonzept gegen Neonaziaufmärsche. Die Kampagne Brandenburg nazifrei hat gezeigt, dass "ziviler Ungehorsam" von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis erfolgreich sein kann und tragfähig ist. In anderen Regionen hingegen wird von offizieller Seite weiterhin versucht, zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechts bereits im Keim zu ersticken.
Unter dem Label "Brandenburg nazifrei" hatten sich im Mai 2010 diverse lokale Vereine, überregionale Organisationen, antifaschistische Gruppen, Parteien, Gewerkschaften und Einzelpersonen zusammengefunden. Im gemeinsamen Aufruf bezogen sich die UnterzeichnerInnen, darunter der Innen- und der Justizminister Brandenburgs sowie drei weitere MinisterInnen des Landes, explizit auf den Konsens von Dresden: "Unser Ziel, den Nazis entgegenzutreten, eint uns über alle sozialen, politischen oder kulturellen Unterschiede hinweg. Wir sind bunt und wir stellen uns den Nazis in den Weg. Von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen. Wir sind solidarisch mit allen die mit uns das Ziel teilen, die Naziaufmärsche verhindern zu wollen!"
Nach dem Vorbild Dresdens sollte einer "Demonstrationsoffensive" der mittlerweile aufgelösten Kameradschaft Märkisch-Oder-Barnim (KMOB) entgegengetreten werden. Bereits der erste Versuch in Bernau geriet für die KMOB zum Desaster, war doch noch vor dem eigentlichen Start schon wieder Schluss. 500 Menschen blockierten die Route. Den Aufmarsch eine Woche später in Eberswalde sagte die KMOB - wohl aus Angst vor einer erneuten Schmach - am Vorabend ab.
Lediglich in Bad Freienwalde gelang es Brandenburg nazifrei nicht, die Demonstration zu verhindern. Nach einer erneuten erfolgreichen Blockade in Strausberg, bei der die Polizei teils unverhältnismäßig hart gegen die Protestierenden vorging, kam es am 2. Juli zu einer Razzia gegen Mitglieder der KMOB. Um einem drohenden Verbot zuvorzukommen, löste sich die Kameradschaft am 4. Juli auf und sagte den letzten Aufmarsch ab.
Nicht zuletzt die dreiste Themenauswahl der Neonaziaufmärsche mag zum Erfolg von Brandenburg nazifrei beigetragen haben. Wirkten die Themen auf den ersten Blick relativ willkürlich, entpuppten sie sich bei näherem Hinsehen als perfide, leicht zu entlarvende Provokationen mit explizit lokalem Bezug.
In Eberswalde hätte es "gegen linke Gewalt" gehen sollen. In der nordöstlich von Berlin gelegenen Kleinstadt war Amadeu Antonio das erste Nachwendeopfer neonazistischer Gewalt geworden. Im Jahr 2000 wurde in der Stadt der linke Punk Falko Lüdke durch Neonazis ermordet. Ausgerechnet zum zehnten Jahrestag dieser Gewalttat wollte die KMOB durch Eberswalde marschieren. Am 12. Juni in Bad Freienwalde forderten die Neonazis ein "freies Jugendzentrum". Genau zwei Jahre zuvor hatte ein Neonazi aus dem Umfeld der KMOB einen Brandanschlag auf das örtliche linke Jugendzentrum verübt und war mit einer Bewährungsstrafe davongekommen.
Ziviler Ungehorsam - also einzukalkulieren, durch friedliche Blockaden möglicherweise Gesetze zu übertreten - mag nicht allzu spektakulär sein. Doch einen solchen Konsens in einem Bündnis von Antifa über CDU-Bürgermeister bis zu Ministern der Landesregierung vereinbart zu sehen, ist durchaus bemerkenswert. Zumal Brandenburgs Offizielle den dortigen Neonaziaktivitäten oft mit Ignoranz begegnen und antifaschistische Gegenproteste als größeres Übel beäugen.
Brandenburg nazifrei hat gezeigt, dass auch in Kleinstädten und zudem in nur wenigen Wochen verwirklicht werden kann, was in einem anderen Maßstab in einer Großstadt wie Dresden immensen Mobilisierungsaufwand und jahrelange Anstrengungen brauchte. Ein politischer Gewinn war die Bereitschaft zahlreicher, durchaus auch konservativer politischer Akteure, sich im Bündnis einzubringen und antifaschistischen Gruppen auf Augenhöhe zu begegnen. Gerade im Hinblick auf die aktuelle "Extremismusdebatte" ist dies alles andere als selbstverständlich. Ein wichtiger Faktor ist sicher, dass gerade in dieser Region antifaschistische Gruppen in den einzelnen Orten präsent und sehr gut vernetzt sind.
Dass aber Erfolg oder Misserfolg oftmals von ordnungspolitischem und polizeilichem Kalkül abhängig sind, zeigen Beispiele aus anderen Regionen. Ende Juli fand in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) eine NPD-Demonstration ohne jegliche Gegenproteste statt. Im Vorfeld waren die Neonazi-Demo wie auch die Gegenproteste - begründet mit den Blockade-Erfahrungen von Dresden - vom Verwaltungsgericht verboten worden.
Während sich die NPD vor Gericht ihr Recht erkämpfte, scheute das Protestbündnis diesen Weg. Als das Verbot der Gegendemo zwei Tage vorher aufgehoben wurde, entschied sich das Bündnis aufgrund der Kurzfristigkeit gegen eine Mobilisierung und riet wegen der rechtlichen Unsicherheit gar von einer Teilnahme ab.
Ähnliches spielte sich im Vorfeld des neonazistischen "Trauermarsches" im niedersächsischen Bad Nenndorf ab. Eine Sicherheitsüberprüfung aller OrdnerInnen wurde eingefordert sowie die absurde Auflage erteilt, die ein Auftreten ganz in schwarz gekleideter Personen in Gruppen untersagt. Außerdem wurde ein Fest des örtlichen Sportvereins aus "Sicherheitsgründen" außer Sichtweite der Neonaziroute verlegt.
Diese Beispiele zeigen: Immer wieder werden Protestbündnissen Steine in den Weg gelegt und eine Kriminalisierung der Gegenproteste betrieben, um eher bürgerliche Menschen abzuschrecken. Dieses Agieren von Teilen des Staates kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein breiter zivilgesellschaftlicher Protest, der auch zivilen Ungehorsam in Form von friedlichen Straßenblockaden mit einschließt, nicht nur legitim, sondern zwingend notwendig ist. Den Nazis die Straße zu überlassen, kann und darf nicht die Konsequenz sein.
Frank Metzger (apabiz)