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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 552 / 20.8.2010

Die Machtfrage ist gestellt

Stadtrat Hannes Rockenbauch zum Widerstand gegen Stuttgart21

Der Protest gegen das Großprojekt Stuttgart21 befindet sich in einer heißen Phase und die Landeshauptstadt steht Kopf. Hannes Rockenbauch ist seit 2004 für das Personenbündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) im Stuttgarter Gemeinderat und Vorsitzender der gemeinsamen Fraktion mit DIE LINKE. Mit ihm sprach ak über die Perspektiven des Widerstands.

ak: Warum ist der Protest erst seit kurzer Zeit lautstark zu hören?

Hannes Rockenbauch: Das ist bei derartigen Großprojekten meist so. Die politischen Folgen sind - im Interesse der Politik - der Bevölkerung kaum bekannt. Das Bürgerbegehren vor drei Jahren machte deutlich, was Stuttgart21 an Kosten bedeutet und welches Ausmaß die Baustelle annehmen würde. Die Kritik an dem Projekt, die schon früher geäußert wurde, findet seitdem mehr Gehör. Das führt dazu, dass immer mehr Menschen auf die Straße gehen.

Die politische Klasse und die DB behaupten, dass das Projekt zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gestoppt werden könne.

Es stimmt, dass das Projekt beschlossen ist. Es ist aber ebenso richtig, dass es ohne Beteiligung der Betroffenen beschlossen wurde. Es ist schlicht undemokratisch, ein derartiges Projekt gegen die Bevölkerung durchzudrücken. Inzwischen muss die Baustelle mit verschweißten Bauzäunen und Polizei beschützt werden. Deshalb müssen, bis alle Pläne und Kosten auf dem Tisch liegen, ein sofortiger Baustopp und ein Moratorium her.

Die Strategie des zivilen Ungehorsams setzt auf den Castor-Effekt: Jeder Tag Bauverzögerung bedeutet eine Verteuerung des Projekts und dass weitere Ungereimtheiten und verdeckte Kosten öffentlich werden. Damit wird es auch von Tag zu Tag schwieriger, das Projekt um- und durchzusetzen.

Wird das sehr breite und bunte Bündnis nicht auseinanderbrechen, sobald Kompromisse angeboten werden?

Das Spannende ist derzeit, dass der Protest nicht nur von Aktivisten oder Linken im engeren Sinne getragen wird, sondern von einem Querschnitt der Bevölkerung. Den Protest eint, dass niemand akzeptieren will, dass ein paar Gewählte das Projekt einfach durchziehen. Inzwischen geht es nicht mehr nur um den Bahnhof oder ein paar Bäume, die gefällt werden sollen. Vielmehr wird die Frage gestellt: wem gehört die Stadt? Diese Frage wird nicht zurückgenommen werden und dieses Fundament trägt den gemeinsamen Widerstand. Viele sind inzwischen sensibilisiert und haben verstanden, dass es um eine Machtfrage in der Stadt geht.

Die Menschen haben aufgehört, einfach nur zu schimpfen und gehen stattdessen auf die Straße und kämpfen für ihre Interessen. Es findet Begegnung statt und ein Gemeinschaftsgefühl entsteht, das die demokratische Kultur der Stadt verbessert. Das Wichtigste ist aber, dass viele Menschen politische Fragen nicht einfach dem Gemeinderat überlassen wollen, sondern Lust haben, mitzumachen, mitzugestalten und dabei sind, eine andere Vorstellung der Stadt zu entwickeln.

Kann S21 noch effektiv verhindert werden?

Die Deutsche Bahn und die Politik haben ein Problem. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass nach einer größeren Demonstration wieder Ruhe ist. Seit fast 40 Wochen finden jeden Montag Demonstrationen statt, seit kurzem schlagen Hunderte jeden Abend Krach in der Innenstadt. Die Leute kommen immer wieder, und das ist eine Perspektive, die für die Politik extrem unangenehm ist. Der Bauzahn hat noch mehr Leute auf die Straße getrieben. Begleitet wird dies durch Akte des zivilen Ungehorsams, Flashmobs usw. Unangemeldete Demos und Blockade-Aktionen sind in Stuttgart bürgerliche Widerstandformen geworden. Und das wird auch so sein, falls die Bagger wirklich kommen sollten. Hinzu kommt die parlamentarische Ebene: Es muss ein Moratorium geben. Die Politik kann zurzeit nur auf Befriedung aus sein, da eigentlich Sommerurlaub ist und in der Stadt der Aufstand geprobt wird. Wir werden den Druck auf die Politik erhöhen und darauf drängen, dass die Menschen direkt mitentscheiden können für ein Stuttgart, das Stuttgart21 nicht nötig hat.

Interview: Ingo Stützle