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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 553 / 17.9.2010

Ruckzuck die Mietenfrage lösen!

In Hamburg regt sich Protest gegen steigende Mieten und leerstehenden Wohnraum

Ziemlich genau vor einem Jahr - am 15. September 2009 - kamen im autonomen Stadtteilzentrum Centro Sociale nahe dem Hamburger Schanzenviertel zum ersten Mal stadtpolitische AktivistInnen zu einem Vernetzungstreffen zusammen. Seitdem ist aus der bunten Mischung von Stadtteilgruppen über KleingärtnerInnen bis hin zu KünstlerInnen das Netzwerk Recht auf Stadt erwachsen. Neuerdings richtet sich der Protest vor allem gegen steigende Mieten, Wohnungs- und Büroleerstand.

Neben dem Kampf um selbstverwaltete Räume im Gängeviertel, im Frappant-Gebäude und rund um das Centro Sociale standen lange Zeit Aktionen gegen Großprojekte wie die Ansiedlung eines IKEA-Möbelhauses und die Kostenexplosion rund um den Bau der Elbphilharmonie im Mittelpunkt der Proteste. Inzwischen rückt aber auch die katastrophale Wohnungsmarktsituation in Hamburg immer stärker ins Blickfeld. Deutlichster Ausdruck hierfür sind die Fette-Mieten-Partys, die derzeit nicht nur in Maklerkreisen für Aufsehen sorgen.

Erstmals tauchten AktivistInnen und Wohnungssuchende am 29. April 2010 bei einer öffentlichen Wohnungsbesichtigung im Hamburger Karolinenviertel auf. Ausgestattet mit einigen Flaschen Sekt, reichlich Konfetti und einem Musik-Rucksack betraten sie die Wohnung. Als die ersten Töne des Madness-Songs "Our House" aus dem Rucksack erschallten, begann die Party. Masken und Perücken wurden übergestreift, Sekt ausgeschenkt und die BesucherInnen der Besichtigung mit Flugblättern über den Sinn und Zweck der Aktion informiert. "Uns geht es erst einmal darum, Aufmerksamkeit zu schaffen", erläutert Claudia Kahlke (1), eine der AktivistInnen. "Wir wollen mit der ,Fette-Mieten-Party' auf steigende Mieten und den eklatanten Wohnungsmangel aufmerksam machen."

Auf St. Pauli stiegen die Mieten in vier Jahren um 28%

Dies scheint bislang geglückt zu sein - Matthias Weigert, ein weiteres Mitglied der Initiative Recht auf Wohnraum berichtet begeistert: "Die Medien sind ganz scharf auf unsere Form des Protestes. Wir liefern die Bilder, sie transportieren unsere Inhalte." Tatsächlich ist die Berichterstattung äußerst positiv, auf Spiegel Online hieß es gar: "Die Zeiten, in denen sich Deutschlands Wohnungssuchende brav in die Schlange stellten, sind vorbei."

Dabei startete die erste "Fette-Mieten-Party" noch äußerst holprig. Erst wollte der Soundrucksack nicht anspringen, dann verrammelte auch noch der Makler die Tür, als er den Braten roch. Inzwischen können die AktivistInnen jedoch auf vier Fette-Mieten-Partys zurückblicken. Organisiert werden die Aktionen von der Initiative Recht auf Wohnraum.

Die Idee, steigende Mietpreise mit Wohnungsbesichtigungspartys in die Öffentlichkeit zu bringen, haben sich die Hamburger AktivistInnen aus Frankreich abgeschaut. Dort tanzte die Initiative Jeudi Noir bereits 2007 durch überteuerte Wohnungen. "Fette-Mieten-Partys" gab es unter diesem Namen erstmals 2008 in Zürich. Inzwischen mobilisiert auch die Hedonistische Internationale in Berlin zu Wohnungsbesichtigungsrallyes - im Unterschied zu ihrem Hamburger Pendant geben die AktivistInnen dort jedoch ihr letztes Hemd und tanzen nackt durch die Wohnung. Richtig neu ist die Idee der Störung einer Wohnungsbesichtigung bei weitem nicht. Die Autoren Klugmann/Mathews erzählen bereits 1985 in ihrem Hamburg-Thriller "Ein Kommissar für alle Fälle" die Geschichte von Willi Rose, der mit seinem Verhalten die Maklerin zu einer Mietsenkung veranlasste und die vergünstigte Wohnung schließlich noch einer WG zuschusterte.

Von solchen Erfolgen sind die AktivistInnen in Hamburg und Berlin noch weit entfernt, auch wenn Claudia Kahlke darauf verweist, dass im August die Miete für das dritte Partyobjekt im Nachgang um 110 Euro abgesenkt wurde. Dass Protest Not tut, zeigt die derzeitige Preisentwicklung auf dem Hamburger Wohnungsmarkt. Der durchschnittliche Wohnungspreis stieg in den letzten Jahren von 8 auf heute 10,25 Euro pro Quadratmeter. Besonders hart hat es die Stadtteile Altona-Altstadt und St. Pauli getroffen. Die Folgen einer Politik der Aufwertung sind hier auch für Menschen spürbar, die erst seit wenigen Jahren in den Vierteln wohnen.

Verschärft hat die Situation das Bundesverwaltungsgericht, das die Möglichkeit, nachträglich gegen überhöhte Mieten vorzugehen, durch seine vermieterfreundliche Rechtsprechung im Rahmen des Mietwuchergesetzes nahezu verunmöglichte. Eine Wohnung darf jetzt so viel kosten, wie jemand bereit ist dafür zu zahlen.

Um überteuerte Wohnungen und Leerstand zu markieren, veranstalteten die Initiative Recht auf Wohnraum und das Netzwerk Recht auf Stadt im Rahmen des Schanzenfestes am 4. September die erste "Fette-Mieten-Twitter-Rallye" (2): Eine kleine Parade begleitet von einer Marching-Band zog durch die Straßen, während AktivistInnen an den entsprechenden Häusern "Wer-soll-das-bezahlen"-Plakate anbrachten. Die Treffpunkte für die nächste Aktion wurden stets per Twitter bekannt gegeben.

Was wäre, wenn der Astra- Turm einfach genutzt wird?

Dass einzig die Mieten-Partys zu einer Wende in der Wohnungsbaupolitik des Senats führen, daran glauben die "Fette-Mieten-Party"-AktivistInnen längst nicht mehr. Sie haben sich daher dem Bündnis "Leerstand zu Wohnraum" angeschlossen, das für eine Umwandlung leerstehenden Büroraums in bezahlbaren Wohnraum eintritt. (3) Unterstreichen will das Bündnis diese Forderung mit einer Demonstration zum Astra-Turm am 23. Oktober, um so auf ein "herausragendes Beispiel für die Absurdität des kapitalistischen Immobilienmarktes" aufmerksam zu machen.

60 Meter ragt das Gebäude als Teil der so genannten Neuen Hafenkrone aus dem Stadtpanorama empor. Drei Jahre nach der Eröffnung des Neubaus stehen etwa 70 Prozent des 18-geschossigen Bürokomplexes leer. Insgesamt gibt es in Hamburg derzeit 1,17 Millionen Quadratmeter Leerstand an Büroflächen. Seit kurzem kursieren in Hamburg nun auch Aufrufe zu einer Besetzung des Astra-Turms. Mit einem Augenzwinkern hieß es in einem Flugblatt, dass in der Stadt kursierte, mit der Aneignung leerstehender Büroflächen wie dem Astra-Turm ließe sich "Ruckzuck die Wohnungsfrage lösen".

Jonas Füllner

Anmerkungen:

1) alle Namen geändert

2) www.twitter.com/fettemieten_hh

3) Der Aufruf zu der Demonstration "Leerstand zu Wohnraum" findet sich auf der Homepage des Netzwerks "Recht auf Stadt": www.rechtaufstadt.net