Nazis aus dem Netz fegen?
Die extreme Rechte ist auch im Web 2.0 verstärkt aktiv
Ob Kinderlieder mit rassistischen und antisemitischen Texten, Singlebörsen für "anständige Deutsche" oder Sprühschablonen für Nazipropaganda zum Selberbasteln - es gibt quasi nichts, was es in der virtuellen Erlebniswelt der Neonazis nicht gibt. Der Kampf gegen Rechts im Web gestaltet sich dabei aufgrund der Flüchtigkeit des Mediums schwierig. Die Prüfstelle jugendschutz.net versucht das Abschalten extrem rechter Internetseiten zu erwirken - mit fragwürdigem Erfolg.
"In relevanten Mailboxnetzen, wie dem Internet, haben sich die Rechten mittlerweile festgesetzt", schreibt der "Drahtzieher im braunen Netz" bereits Anfang des Jahres 1996. (1) Das wichtigste Mailboxnetz für die damalige extreme Rechte war dabei das "Thule-Netz" - hier koordinierten etwa 60 Neonazis Aktionen und tauschten Informationen aus. Von einer solchen Übersichtlichkeit kann man heute nur träumen.
1.872 Websites mit extrem rechtem Inhalt zählt jugendschutz.net in ihrem kürzlich erschienenen Bericht. (2) Hinzu kommen 93 Neonazi-Communities, 18 Onlineradios sowie unzählige Videos, Profile bei sozialen Netzwerken und Twitter-Accounts. Wirklich überraschend ist diese Entwicklung nicht. Generell nimmt die Bedeutung des Web 2.0 kontinuierlich zu, so auch für Neonazis. Das Interesse an den "Neuen Medien" wurde von Anfang an dadurch verstärkt, dass es eine "reale" extrem rechte Infrastruktur nicht zuletzt aufgrund antifaschistischer Interventionen traditionell schwer hat.
In der virtuellen Welt sieht das ganz anders aus, unmittelbare Konsequenzen sind selten zu befürchten. So dient das Internet zur Mobilisierung und Kommunikation, zum Vertrieb von rechter Musik und Merchandiseartikeln - und der Schaffung neonazistischer Identitäten. Dies geschieht nicht nur über immer professionellere und peppigere Websites, sondern eben auch über soziale Netzwerke.
Rechte Selbstinszenierung am virtuellen Dorfbrunnen
In den Profilen der NutzerInnen wird deutlich, wie schnell es geht, mindestens Teile von extrem rechten Erlebniswelten in die eigene Identität zu integrieren. So kann man gleichzeitig für Howard Carpendale schwärmen und Stahlgewitter hören, Bilder von der Blood&Honour-Weihnachtsfeier finden sich neben Fotos vom letzten Christina-Aguelera-Konzert. Wie die Broschüre "Dunkelfeld" am Beispiel von "wer-kennt-wen" aufzeigt, hat dieser "virtuelle Dorfbrunnen" jedoch seine Grenzen: "Man wird nicht per Mausklick organisierter Neonazi. (...) Bis jetzt findet die hohe Anzahl der Web-2.0-Neonazis auf Aufmärschen und anderen politischen Aktionen keine Entsprechung." (3) Im Web 2.0 gehe es daher weniger um Propaganda als um Selbstinszenierung.
Über solche Wechselwirkungen bringt jugendschutz.net indes kaum Aufschluss. Hier erfolgt eine rein quantitative Beobachtung, bei Feststellung "jugendgefährdender Inhalte" werden Provider im In- und Ausland kontaktiert und zum Löschen von Beiträgen oder Webseiten gedrängt - 350 Mal sei dies laut jugendschutz.net im letzten Jahr passiert, in vier von fünf Fällen erfolgreich. So erfreulich das Abschalten von Nazi-Seiten auch ist, bleibt dies doch problematisch. Zum einen werden entfernte Inhalte oftmals an anderer Stelle wieder hochgeladen, zum anderen geht dieser "Kampf gegen Windmühlen" an den für Neonazis funktional relevanten Seiten häufig vorbei. Diese achten sehr genau darauf, keine strafrechtlich relevanten Inhalte zu verbreiten, und sind für die Szene weitaus bedeutender als durchgeknallte Holocaust-LeugnerInnen. Gegenüber Mobilisierungsseiten von Autonomen Nationalisten und Freien Kameradschaften oder auch gegen Foren wie Thiazi, der "germanischen Weltnetzgemeinschaft", ist jugendschutz.net relativ machtlos.
Für jugendschutz.net handelt es sich beim extrem rechten Treiben im Internet um "Hassinhalte", "angstbesetzte Themen wie Krieg oder auch soziale Probleme bieten Anschlussmöglichkeiten an Protestbewegungen innerhalb des demokratischen Spektrums und erleichtern so die Ansprache von Personen außerhalb der rechtsextremen Szene". Hier wird ein Bild von Nazis gezeichnet, das sich quasi außerhalb des politischen Raums befindet und eher an böse "Rattenfänger" erinnert, die die Jugend verderben wollen. Gibt der Bericht schon nicht über die Funktion der Seiten Aufschluss, sucht man eine Analyse der Inhalte vergeblich. Stattdessen locken Kameradschaften und Autonome Nationalisten "auf ihren Websites mit bunten Grafiken und Videos", indem sie über "Symbole und Aktionsformen anderer Jugendszenen (...) ihre rechtsextreme Gesinnung" tarnen und "gleichzeitig Schnittstellen zu den dort aktiven Jugendlichen" schaffen. Eine solche Sichtweise erinnert stark an das Gerede von "rivalisierenden Jugendbanden".
Böse Internet-Nazis verderben unsere Jugend
Auftraggeber der gemeinnützigen GmbH jugendschutz.net ist die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), finanziert wird sie u.a. durch die Bundeszentrale für politische Bildung. Die Anfragen sind also nicht offiziell, verwiesen wird jedoch auf die KJM. Wenn der Beschwerde nicht nachgekommen wird, wird sie an die KJM weitergeleitet, wo jugendschutz.net wiederum beratend zur Seite steht. (4)
Dabei sind die Internet-Auftritte von Nazis in der Tat erschreckend. Klickt man sich durch einschlägige Websites, schlackert man wahrlich mit den Ohren. Gerade die Seiten aus dem Spektrum der Autonomen Nationalisten bieten eine moderne Ansprache, gespickt mit abgewandelten linken Parolen und Symbolen. Online-Videos sind zunehmend professionell, und auch die übers Web verbreitete Neonazi-Musik hat den Rumpelkeller längst verlassen.
Ob ein privater verlängerter Arm staatlicher Behörden dagegen jedoch das wünschenswerte Mittel sein kann, bleibt zweifelhaft. Antifaschistisches Engagement ersetzt jugendschutz.net jedenfalls nicht.
Maike Zimmermann
Anmerkungen:
1) Drahtzieher im Braunen Netz. Ein Handbuch des antifaschistischen Autorenkollektivs. Hamburg 1996
2) Rechtsextremismus online beobachten und effektiv bekämpfen. Bericht 2008 über Recherche und Maßnahmen, abrufbar über jugendschutz.net
3) argumente e.V. u.a.: Dunkelfeld. Recherchen in extrem rechten Lebenswelten rund um Rhein-Main, 2010
4) Vgl. Monika Ermert: "Jugendschutz: Selbstverpflichtung für Provider und weitergehende Verantwortlichkeitsregelungen", ct-magazin, 22.6.07