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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 553 / 17.9.2010

Eine Spur entschlossener

Massenhafter Ungehorsam soll Castor stoppen

Die Energiewirtschaft greift zum Mittel der offenen Erpressung (vgl. Seite 4), AtomkraftgegnerInnen greifen zur Handarbeit. Während die Atomlobby sich nach der von der Bundesregierung beschlossenen Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken die Hände reibt, steht die Bewährungsprobe für die Anti-AKW-Bewegung noch aus. Ihre Zeit wird kommen - Anfang November, wenn der nächste Castor ins Wendland rollen soll. Mit dabei: die Kampagne Castor? Schottern!

Aller Voraussicht nach in der ersten Novemberhälfte sollen elf Behälter mit hoch radioaktivem Schrott aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague ins Wendland verfrachtet werden. "Die Bundeskanzlerin sprach davon, dass das Energiekonzept eine Revolution bedeutet", so Jochen Stay gegenüber der jungen Welt. "Wenn Angela Merkel nicht aufpasst, wird es eine Revolution ganz anderer Art geben." (jW, 10.9.10) Damit bringt der Aktivist der Kampagne ausgestrahlt auf den Punkt, in welcher politischen Gemengelage und Stimmung der nächste Castor-Transport stattfinden wird. Eine Mehrheit lehnt die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und die gesamte schwarz-gelbe Atompolitik ab.

Nach der Menschenkette mit rund 120.000 Teilnehmenden im April dieses Jahres, der bundesweiten Demonstration in Berlin am 18. September und zahlreichen dezentralen Aktionen u.a. in Stuttgart und München werden die Proteste im Wendland ihren Höhepunkt erreichen. Zum Auftakt erwartet die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg bis zu 20.000 Demonstrierende in Dannenberg. Unlängst kündigte das Netzwerk X-tausendmal quer große Sitzblockaden an. Und dann gibt es noch die Kampagne Castor? Schottern!.

Sie will - anknüpfend an die Erfahrungen von Heiligendamm, Köln und Dresden - den Castor durch massenhaften Ungehorsam stoppen: "Mit Hunderten, Tausenden von Menschen, die aus unterschiedlichstem politischem und sozialem Alltag kommen, werden wir am Transporttag auf die Schienenstrecke gehen. Wir sind entschlossen, massenhaft den Schotter aus dem Gleisbett zu entfernen, also die Gleise zu unterhöhlen und sie damit für den Atommüllzug unbefahrbar zu machen", heißt es in einer entsprechenden Absichtserklärung. Konkret soll es darum gehen, das Gleisbett auf einem Abschnitt zwischen Lüneburg und Dannenberg vom Schotter zu befreien; am Tag des Transports wird auf der Strecke ausschließlich der Castor fahren.

Im Aufruf heißt es weiter: "Wir wissen, dass unsere bewusste Veränderung der Castortransportstrecke nicht vom bürgerlichen Gesetzbuch gedeckt ist. Aber wir sind uns sicher, dass unsere Aktion eine notwendige und legitime Handlung darstellt, um dieser menschengefährdenden Technologie Einhalt zu gebieten. Sie ist für uns ein notwendiger Eingriff in den energiepolitischen Normalbetrieb: Mit unserem Schottern wollen wir der Atomlobby jenen Boden entziehen, auf dem sie ihren Müll gegen den Willen der Bevölkerung durch die Lande prügeln lässt. Das Loch im Bahndamm wird öffentlich sichtbar machen: Es gibt keine gesellschaftliche Basis, die diese Transporte als wesentlichen Bestandteil für den Weiterbetrieb von Atomanlagen trägt. Mit uns gibt es kein ,Weiter so!`. Der Weg wird unterbrochen."

November 2010, Treffpunkt Gleisbett

Getragen wird der Schotter-Aufruf von einem Bündnis von rund 40 Gruppen und zahlreichen Einzelpersonen. Zu den AktivistInnen zählen Gruppen aus der Interventionistischen Linken und dem autonomen Flügel der Anti-AKW-Bewegung. Mit dabei sind aber auch Landesverbände der Linksjugend ['solid] und der Landesvorstand der LINKEN NRW. Dazu gesellen sich MandatsträgerInnen der LINKEN, ebenso wie Mitglieder aus dem attac-Koordinierungskreis, der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner Monty Schädel und - neben diversen Gewerkschaftssekretären - auch der stellvertretende ver.di-Vorsitzende des Landesbezirks Berlin-Brandenburg, Peter Schrott. Den Aufruf unterstützen zudem WissenschaftlerInnen wie Peter Grottian, Ulrich Brandt und Michael Brie sowie KünstlerInnen wie Hannes Wader und Konstantin Wecker.

Die Blockade eines Naziaufmarschs ist etwas anderes als das Schottern eines Gleisbetts. Die ersten Reaktionen stimmen zuversichtlich. So ist sich etwa Uwe Hiksch aus dem Bundesvorstand der NaturFreunde sicher: "Diese Form des offensiveren Widerstands wird auch in der bürgerlichen Mitte ankommen. Die Blockaden von Dresden haben gezeigt, dass Familien mit Kinderwagen und die aktionsorientierte interventionistische Linke heute gut nebeneinander stehen können." (taz, 24.8.10)

Die Kampagne kann eine enorme Dynamik entwickeln, wenn es gelingt, breite Kreise für diesen Schritt zivilen Ungehorsams zu gewinnen. Wenn Tausende im November ins Wendland kommen, werden auch die Versuche der Polizei scheitern, das Ganze zu kriminalisieren. Via taz hat sie schon gewarnt: "Jeder, der sich an einer solchen Aktion beteiligt, würde sich wegen gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr strafbar machen. Auch wer nur dazu aufruft, macht sich bereits strafbar, selbst wenn dem Aufruf dann niemand folgt." (ebd.) Ob sie damit durchkommt, ist vor allem eine politische und nicht in erster Linie eine juristische Frage. Unabhängig davon setzt ein "gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr" voraus, dass es überhaupt Schienenverkehr gibt und eine konkrete Gefährdung vorliegt. Das ist bei einer vorher angekündigten Protestaktion wie hier praktisch kaum möglich.

Insofern gilt es, in den nächsten Wochen verstärkt für die Legitimität der Aktion zu werben. Denn: Atomausstieg ist Handarbeit.

mb.

Weitere Informationen sind zu finden in der Kampagnenzeitung Castor? Schottern! und auf http://castor2010.org