Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de
ak bei facebook

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 554 / 15.10.2010

Aufgeblättert

Kein Frieden in Nahost

Moshe Zimmermanns Buch mit dem provozierenden Titel "Die Angst vor dem Frieden. Das israelische Dilemma" ist ein einseitiges Buch, wie der Autor, Historiker an der Universität Jerusalem, offen zugibt: Zwar ignoriere er nicht die Verantwortung der "anderen", er konzentriere sich aber bewusst "auf die Konzeptionen, Glaubensbekenntnisse und Entscheidungen, die meines Erachtens von israelischer Seite aus dazu beigetragen haben, dass der Friedensprozess nicht vorankommen kann." Detailliert zeigt er, wer die "Angstmacher" sind: nationalreligiöse Postzionisten, Militärs, Orthodoxe, "Araber-Hasser" und Siedler; unter letzteren ist es die sogenannte Hügeljugend, die bei ihren gewaltsamen Angriffen gegen PalästinenserInnen auch den Konflikt mit dem israelischen Militär nicht scheut. Berufen können die jungen Militanten sich auf Benjamin Netanyahus programmatischen Satz: "Frieden im Nahen Osten ist ein über Abschreckung oder Gewaltanwendung zu erreichender Frieden." In der Sprache der Militärs: "Das ganze Volk - eine Armee". Hoffnungen, dass in Israel selbst eine Wende zum Besseren stattfinden könnte, hegt Zimmermann kaum. Aber auch in den USA, dem mächtigsten Verbündeten der israelischen Regierungen, wird deren Politik immer noch von einer deutlichen Mehrheit unterstützt. Auch weil die israelische Propaganda ebenso schlicht wie erfolgreich ist, wie Zimmermann zeigt: "Der Zionismus unterstreicht den jüdischen Charakter Israels; Israels Verhalten erzeugt Kritik; diese Kritik, vor allem von unmittelbar am Konflikt mit Israel Beteiligten, enthält antisemitische Komponenten - ergo ist eine antiisraelische Haltung und Kritik an Israel nichts anderes als eine besondere Form des Antisemitismus." Es soll auch Linke geben, die so argumentieren.

Js.

Moshe Zimmermann: Die Angst vor dem Frieden. Das israelische Dilemma. Aufbau Verlag, Berlin 2010. 152 Seiten, 14,95 EUR

Schuld und Verantwortung

"Allein deinetwegen werde ich zurückgehen, und dann sind wir wieder eine richtige Familie, so wie früher. (...) Und ich bin jetzt so etwas wie ein richtig schöner Tintenklecks auf einem sauber aufgesetztem Schriftstück: Ich verschmiere einfach alles, ein Schandfleck bin ich, ja genau" - so urteilt Emma, eine junge Frau aus Barcelona, in dem gleichnamigen Roman von Maria Barbal über sich selbst. Die 1949 geborene Schriftstellerin Maria Barbal, die in katalanischer Sprache schreibt, bearbeitet wie in ihren früheren Romanen (vgl. ak 532 und 538) erneut die Themen Schuld und Verantwortung, diesmal allerdings nicht im direkten Kontext der Franco-Diktatur. Emma führt ein bürgerliches Leben mit Ehemann, der nicht nur ein angesehener Anwalt ist, sondern auch auf der politischen Bühne Erfolg hat. Aus diesem geordneten Leben bricht Emma aus, um Anerkennung und Erfüllung zu suchen. Nach einer aussichtslosen Affäre leidet sie unter Panikattacken, sie findet sich als Obdachlose auf der Straße wieder. Emma erfährt die Härte und Schonungslosigkeit dieses ungeschützten Lebens: Spott, Demütigung, Gewalt in jeglicher Form. Dennoch versucht sie, einen Rest Würde zu bewahren: Mittels eines gefundenen Collegeblocks bilanziert sie ihr bisheriges Leben. Emma leidet vor allem daran, dass sie ihre Tochter verlassen hat. Sie möchte diese unbedingt treffen, um ihr Versagen, ihre Schuld zu erklären und um Verzeihung bitten zu können. Maria Barbal gelingt trotz des vermeintlich trivialen Hintergrundes - der Beziehungskonflikt eines gut situierten Ehepaares - ein fesselnder Roman, der die LeserInnen nicht nur mit der Erlebnis- und Gedankenwelt Emmas konfrontiert, sondern diese aktuell gesellschaftlich verortet. Diese Hintergründe werden knapp, aber gleichzeitig nuanciert entwickelt.

Raphaela Kula

Maria Barbal: Emma. Roman. Transit Verlag, Berlin 2009. 156 Seiten, 16,80 EUR

Geld und Kapitalismus

Lucas Zeise ist Mitgründer der Financial Times Deutschland und dort bis heute ein origineller Kopf, der nicht so recht in die blassrosa Apologetik des Kapitalismus passt. Bereits zum Ausbruch der Krise veröffentlichte er bei Papyrossa ein lesenswertes Buch zum Ende der Party des Finanzmarktkapitalismus. (siehe ak 533) Leider reicht sein neues Buch nicht an die inzwischen in zweiter Auflage erschienene Krisenanalyse heran. Die knapp 200 Seiten lesen sich so, als hätte sich der Autor ins stille Kämmerchen zurückgezogen und sich mit kapitalismustheoretischen Grundlagen beschäftigt. Auf 50 Seiten versucht er, mit Marx dem Geld auf die Schliche zu kommen und verfehlt dessen wichtigsten Punkt: dass das Geld für eine warenproduzierende Gesellschaft notwendig ist, weil sich nur mit einem allgemeinen Äquivalent die Waren als Werte aufeinander beziehen lassen. Auch geht bei Zeise die Unterscheidung von Geld und Kapital verloren. Das zeigt sich in den Kapiteln zu Finanzprodukten, die eben keine Varianten des Geldes sind, sondern fiktives Kapital. Diesen Begriff nennt er zwar, macht ihn aber nicht für das Verständnis der "Verrücktheit" des Finanzkapitals fruchtbar. Für diejenigen, die schon immer wissen wollten, wie die Zentralbanken mit den Geschäftsbanken interagieren und was die Basel-Abkommen sollen, ist das knapp 30-seitige 6. Kapitel durchaus erhellend. Aber leider bleibt Zeise auch da schwach, wo er eigentlich stark ist: in der Ausleuchtung konkreter politischer und ökonomischer Widersprüche, die etwa die zweite Hälfte des Buches ausmachen. Seine vorangestellte These, die er am Schluss nochmals unterstreicht, dass der Neoliberalismus am Ende sei, kann er in keiner Weise unterfüttern. Immerhin deutet der Buchtitel an, was die LeserInnen erwartet - ein Versuch. Nur leider ist er misslungen.

Ingo Stützle

Lucas Zeise: Geld - der vertrackte Kern des Kapitalismus. Versuch über die politische Ökonomie des Finanzsektors. Papyrossa Verlag, Köln 2010. 192 Seiten, 12,90 EUR

Rassismus und extreme Rechte in Berlin

"Berliner Zustände" nennt sich der jährlich erscheinende "Schattenbericht über Rechtsextremismus und Rassismus", herausgegeben vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Auf 60 Seiten wird die Situation in der Hauptstadt analysiert und dokumentiert. Schwerpunkt des aktuellen Berichts sind nicht klassische Neonazis, sondern ein zunehmender antimuslimischer Rassismus. Den Kern des Schwerpunkts bilden eine Betrachtung von Eberhard Seidel über "Islamophobie" und eine Kritik des "kolonialen Feminismus" von Birgit Rommelspacher. Beide fokussieren dabei nicht auf die Situation in Berlin, was das Heft auch für weniger an Berlin Interessierte lesenswert macht. Ergänzt wird dies von Ulli Jentsch durch eine ausführliche Untersuchung der islamfeindlichen Gruppierung Pax Europa Berlin. Der Wahl des Schwerpunktes entspricht die Einschätzung des Projektes ReachOut im Heft: Zwar seien die von ihnen dokumentierten Gewalttaten um fast ein Drittel gesunken, doch die "rassistischen, genauer die antimuslimischen Debatten, die mittlerweile keine Tabus zu kennen scheinen", seien mindestens so besorgniserregend wie die Fallzahlen. Das letztere jedoch alles andere als unerheblich sind, verdeutlicht die "Chronik rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Angriffe und Bedrohungen in Berlin". Daneben wirft der Bericht einen Blick auf die extreme Rechte in Berlin, den Zustand der dortigen NPD, den sogenannten Bordsteinprozess und die Nazi-Kneipe "Zum Henker". Zuweilen vielleicht ein wenig kleinteilig ergänzen die Berichte das Gesamtbild über die "Berliner Zustände" im Jahr 2009.

Maike Zimmermann

MBR und apabiz (Hg.): Berliner Zustände 2009. Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus und Rassismus. Berlin 2010. 60 Seiten, 3 EUR