Hinter der Leinwand beginnt die Prärie
Das Autokino - ein verlorener Traumort
Als die fordistische Gesellschaft ihr Wohlstands- und Konsumversprechen entfaltete und massenhaft erschwingliche Kühlschränke, Waschmaschinen und vor allem Autos auf den Markt warf, brach auch die Zeit des Autokinos an. Hier konnten sich der jugendliche Traum von Freiheit und der Wunsch nach dem Spektakel auf der Leinwand für einige Stunden miteinander verbinden - im Auto und trotzdem unter freiem Himmel. Autokino, Drive-In, Cineparco, Autocine, Le Drive-In, Inrijbioscoop - parallel zum Auto eroberte das Autokino erst die USA und dann Europa. Markus Metz und Georg Seeßlen über Aufstieg und Fall dieses fast verlorenen Traumorts unserer Kulturgeschichte.
Das Autokino ist in erster Linie ein Mythos der amerikanischen Kulturgeschichte. Es gehört zu den 1950er Jahren wie Rock'n'Roll, Pomade in den Haaren, Kaugummi zwischen den Zähnen, Comics und Farbe, jede Menge Farbe. Cadillacs in Pink oder mehrfarbige Cabriolets.
Dabei wurde das erste amerikanische Autokino schon im Jahr 1933 in Camden, New Jersey, eröffnet. Na schön, mit den späteren Drive-In-Theatres hatte das noch wenig zu tun. Richard Hollingshead Jr's erstes kleines Autokino fand zunächst wohl eher wegen seines Neuigkeitswertes Zuspruch. Aber in der Provinz, wo Land billig war und die Bevölkerung nach billigem Entertainment lechzte, war ein Kino, in das man mit dem Auto fahren konnte und in dem man nach Belieben essen, trinken und rauchen konnte, genau das Richtige. Als 1941 kleine Lautsprecher entwickelt wurden, die in jedes einzelne Auto gehängt werden können, war auch der Filmton kein Problem mehr. Fehlte noch der Hamburger- und Popcorn-Stand - und das klassische amerikanische Drive-In-Kino war fertig.
Auto, Popcorn, Filmspektakel - fertig ist das Autokino
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die private Motorisierung noch einmal sprunghaft zu; und sprunghaft nahm auch die Bedeutung der Freizeit zu. Das Kino war in den 1950ern, als das Fernsehen schon langsam die Wohnzimmer zu erobern begann, nicht mehr das kurze Vergnügen zwischen Fabrik und Wohnung oder der beste Ort für eine erste Verabredung, das Kino sollte ein Event sein. Alles sollte überlebensgroß sein, und besonders überlebensgroß wirkte es auf der Riesenleinwand eines Autokinos. Und schließlich entwickelte sich die Jugendkultur mit ihren eigenen Codes und Moden und nicht zuletzt mit eigenen Filmen, die ihren perfekten Platz fanden: Saturday Night at the Drive-In.
Das Autokino war Treffpunkt, magischer Ort, Abenteuerplatz. Das geschäftige Treiben vor der Riesenleinwand, beste Versorgung mit Snacks, Softdrinks und Süßigkeiten, die Dunkelheit ringsumher, der intime Raum des Autoinneren in aller Öffentlichkeit - das machte das Drive-In zum idealen Platz, den Übergang von der Kindheit in die Jugend zu zelebrieren. Dazu gehörte das Auto ebenso wie der Film auf der Leinwand, und dazu gehörte dieser Ort, der in manchen Provinzstädten nicht weniger als das Zentrum von Kultur und Entertainment war.
Was im Autokino der frühen Jahre zu sehen war, das waren die guilty pleasures: Krimis mit Eddie Constantine, Horrorfilme mit Boris Karloff oder krude Science-Fiction-Fantasien. Filme für die großen Leinwände der Autokinos mussten nicht gut und nicht schön sein, nicht einmal besonders logisch oder spannend. Die Hauptsache war, dass immer etwas los war.
Von 1950 bis 1958 wuchs die Anzahl der Drive-In-Kinos in den USA von 1.000 auf über 4.000, gleichzeitig ging die Anzahl der traditionellen Filmtheater um 5.000 zurück. Die bewegliche Standheizung lockte die ZuschauerInnen auch bei Wind und Wetter ins Drive-In, ja sogar im Winter. Neue Projektoren sorgten für schärfere Bilder. Mehr noch als der technischen Sensation und der Bequemlichkeit des Konsums aber verdankte das Autokino seine Popularität dem puritanischen Geist in "Gottes eigenem Land".
In den USA war es nicht nur verboten, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. Genauso verpönt war es, einfach zu zweit in einem parkenden Auto zu sitzen oder sich gar in der Öffentlichkeit zu küssen. So wurde das Autokino der perfekte Ort für amerikanische Teenager. Während oben auf der Leinwand Monster und Roboter ihr Unwesen trieben, hatte man Anlass und Gelegenheit, näher aneinander zu rücken oder einen Schluck aus der unter dem Sitz verborgenen Flasche zu nehmen.
Als sich die jugendlichen Subkulturen Mitte der 1960er neue und attraktivere Freiräume schufen, verloren die "Ozoner", wie die automobilen Freiluftkinos auch genannt wurden, an Popularität. Für die Generation der Hippies und rebellierenden StudentInnen war die immer noch etwas verklemmte Mischung aus Öffentlichkeit und Intimität unter dem Deckmantel eines Kinobesuchs unakzeptabel. Fast unmerklich wurde das Autokino zum Relikt einer verklärten Vergangenheit in der Kultur- und Sittengeschichte Amerikas.
In Deutschland begann die Geschichte des Autokinos später, aber mit großer Passion. Das erste deutsche Autokino wurde am 29. März 1960 in Gravenbruch bei Frankfurt am Main eröffnet. Im guten wie im schlechten Sinne galt das Autokino anfangs als ein typisch amerikanisches Importgut, das vorwiegend den hier stationierten GIs das Leben versüßte und von der deutschen Bevölkerung nur zögerlich angenommen wurde. Eine unsichtbare soziale Barriere und die nicht ganz so unsichtbare Sorge von Eltern und ErzieherInnen trennten die wilden, freien und proletarischen Jungen und Mädchen, die das Autokino besuchten, von den braven, langweiligen bürgerlichen Jungen und Mädchen, die das nicht taten. Dass das Autokino gleichsam ein mythischer Ort der Pubertät war, machte es den EuropäerInnen wohl ebenso suspekt wie seine tiefe Verbindung mit dem american way of life. Bürgerliche deutsche Familien schätzten es nicht, wenn sich der Nachwuchs an diesen Ort begab, wo auf der Leinwand mindestens ebenso sittliche Gefährdung stattfand wie im Wageninneren. In den ersten Autokinos in Frankfurt, Berlin und München kam es immer wieder vor, dass besorgte Eltern zwischen den Autoreihen ihre Sprösslinge suchten, vielleicht, weil sie den Spitznamen für die Drive-Ins gehört hatten: "Knutschkino".
Perfekte Symbiose zwischen Öffentlichkeit und Intimität
Das zweite deutsche Autokino wurde 1965 in Berlin eröffnet. Es war von Anbeginn an für ein deutsches Publikum bestimmt und gehörte zu einem neuen urbanen Konzept, Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit miteinander zu verbinden. Zur Premiere des Autokinos Siemensstadt auf dem Dach eines Einkaufszentrums wurde "Beim siebten Morgengrauen" gezeigt, ein Kriegsabenteuerfilm mit William Holden, der in Malaysia spielt und von russischen Terroristen handelt, die die Briten zum Abzug zwingen wollen: ein wunderbares Spektakel, zu gleichen Teilen zusammengesetzt aus naiven Action-Elementen und der Ideologie des Kalten Krieges.
Tatsächlich konnte sich das Autokino Siemensstadt auch als weithin sichtbares Zeichen der Modernisierung sehen lassen. Die 450m2-Leinwand bestand aus Wind und Wetter trotzenden Eternit- und Glasplatten, 22 Meter hoch. Für 1.030 Autos standen Lautsprecher und im Winter Heißluftgebläse bereit. Die Anschlusssäulen boten auch eine Ruftaste für den übrigens ebenfalls motorisierten Verpflegungsservice.
Ende der sechziger Jahre hatten mehr oder weniger alle großen deutschen Städte ihre Autokinos. Autokinos waren Teil einer Verlagerung des Lebens aus den alten Zentren in die neuen, industriell geprägten Hochhaussiedlungen in den Vorstädten. Sie entstanden vor allem an den Rändern der Stadt, auf Flächen, die anderweitig nicht zu nutzen waren.
Hinter dem Autokino, das wusste man auch aus amerikanischen Filmen und Songs, begann die Prärie. Und in der hintersten Reihe, in der sogenannten "lover's lane", begann - zwischen dem Angriff der Marsmenschen und der nächsten Runde Cola und Pommes - die Liebe, oder jedenfalls das, was man im Autokino-Alter dafür halten mochte.
In den USA waren Autokinos nicht nur Treffpunkt der Jugend, sondern bald auch ein Vergnügen für die ganze Familie. Entsprechend harmlos mussten die Filme sein. Um dem wachsenden Desinteresse der Jugendlichen zu begegnen, richteten die BetreiberInnen etwa Kinderspielplätze ein, erweiterten das Angebot durch Minigolfplätze, Picknick-Stellen und Spezialitätenrestaurants.
Es half nicht viel. Als in Deutschland der Boom der Autokinos gerade seinen Höhepunkt erreichte, war im Ursprungsland USA das Sterben der Drive-In-Theater schon in vollem Gange - vor allem wegen des ausgeprägten Hungers nach Bauland in den Suburbia-Gürteln, der Konkurrenz des Fernsehens, der Landflucht.
Was ursprünglich der große Vorteil des Autokinos gewesen war, das Empfinden, draußen und unter freiem Himmel zu sein, geriet nun, als die Verhältnisse rauer wurden, zu seinem Nachteil. Das Autokino wurde von einem Ort, an dem man Bilder vom Unheimlichen genießen konnte, selbst zu einem unheimlichen Ort.
Der kleine brillante Film "Targets" von Peter Bogdanovich brachte das im Jahr 1968 zum Ausdruck:Der alternde Horrorfilmstar Byron Orloc alias Boris Karloff will nach einem Werbetermin in einem Autokino, den er stoisch und mürrisch über sich ergehen lässt, der Traumfabrik Ade sagen. Er weiß, dass seine Art von Horror mit der realen Welt nichts mehr zu tun hat. Zur gleichen Zeit hat aber der eher unscheinbare Familienvater Bobby Thompson dieses Autokino als Ort seiner ziellosen Rache ausgewählt. Aus sicherem Versteck erschießt er mit seinem Präzisionsgewehr einen Besucher nach dem anderen. Bis er schließlich Orloc gegenübersteht, der ihm wie ein Gespenst aus der Leinwand entgegentritt und seinem Amoklauf ein Ende bereitet.
Dass diese Begegnung zwischen dem alten und dem neuen Grauen ausgerechnet in einem Autokino stattfindet, hat sicher nicht nur dramaturgische Gründe. Im Jahr 1968 muss dieser magische Ort zu einem jener Symbole der amerikanischen Pop-Kultur gehören, die im Vietnamkrieg so gründlich verloren gehen. Der weite Himmel, der zum Mythos des Autokinos gehörte, ist in "Targets" nur noch eine Gefahr.
Ein nostalgischer Ort der Autogesellschaft
Wenn seitdem, jenseits von Horror oder Parodie, in amerikanischen Filmen Autokinos vorkommen, dann geht es immer um Vergangenheit, um verlorene Tage der Unschuld und der Neugier. Das Autokino war kein Zukunftsort mehr, weil beide, das Auto wie das Kino, nicht mehr von Optimismus und Weite träumen konnten.
Während in den Städten die Autokinos von den urbanen Wucherungen aufgefressen wurden, verwandelten sie sich in der Provinz in mehr oder weniger malerische Ruinen, in Monumente einer vergangenen Zeit. Kein Wunder, dass die Zeitreise den Helden von "Zurück in die Zukunft" mitten durch die Leinwand eines toten Autokinos von der Gegenwart direkt in den Wilden Westen führt.
Walter Jann, geschäftsführender Gesellschafter der "Jann Werbe- und Filmbetriebs-GmbH", betrachtet sich als Retter der Autokinos. Er übernahm Mitte der 1980er Jahre den größten Teil der deutschen Autokinos und schaffte es in zähen Verhandlungen mit den Filmverleihen, dass seine Autokinos auch die Spitzenfilme zur Erstaufführung bekamen. Aber weder große Erfolgsfilme noch technische Innovationen konnten die Krise der Autokinos in Deutschland aufhalten, die in den späten 1970ern begann. Heute sind von Walter Janns ursprünglich elf Autokinos in den alten Bundesländern nur noch fünf übrig. Immerhin! Ist doch das Autokino im übrigen Europa eine ausgestorbene Spezies.
Eine ökonomisch tragfähige und kulturell bedeutende Renaissance des Autokinos wird es wohl nicht geben. Dass die cineastischen Kultstätten überleben, hat zum einen mit Nostalgie und erfolgreichen Gebrauchtwagenmärkten zu tun, zum anderen vielleicht auch mit Ostalgie. Aus den Ländern der ehemaligen DDR nämlich kommt eine ganz andere, bescheidenere und spontanere Tradition des Autokinos, das Drive-In als Sommervergnügen, ohne viel technologischen Aufwand, aber mit Passion für das gemeinsame Event.
Autokino hat sich verwandelt von einem utopischen Ort der medialen, automobilen und sozialen Zukunft in einen Ort des nostalgischen Kults, eine Reise zurück in der Zeit, dorthin, wo das alles noch geholfen hat: jung sein, automobil sein, träumen können und über sich nichts als den weiten Himmel haben. Das Autokino ist zugleich Erinnerung an eine automobile, optimistische Gesellschaft vor Energiekrise und Satelliten-Fernsehen und lebendes Museum für einen Missing Link in der Kommunikationsgeschichte der Gesellschaft des Spektakels.
Markus Metz und Georg Seeßlen