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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 555 / 19.11.2010

Meine Währung, deine Währung

Weltmarktkonkurrenz und Spekulationswirtschaft zwischen zwei Krisen

Von der Wirtschaftskrise zum Währungskrieg - so oder so ähnlich lässt sich der gegenwärtige Tenor der Wirtschaftspresse zusammenfassen. Die Hauptkontrahenten: China und die USA, in den Nebenrollen Brasilien, Deutschland und Japan. Nach Sicht der chinesischen Führung überschwemmen die USA die Weltfinanzmärkte mit billigen US-Dollar und Staatsanleihen. Dadurch drücken sie den Wert des US-Dollar, heizen weltweit Inflation und Börsenspekulation an. Umgekehrt halten die USA China vor, sich durch eine künstliche Unterbewertung des Renminbi Wettbewerbsvorteile auf internationalen Gütermärkten zu verschaffen und Arbeitsplätze in anderen Ländern zu zerstören. Zudem würden sie global Rohstoffvorkommen und Unternehmen aufkaufen und diese damit der freien Konkurrenz entziehen.

Der Ton ist rauer geworden. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2008/2009 wurde in Politik und Medien über die US-amerikanisch-chinesischen G2 als Führungsduo der Weltwirtschaft spekuliert. Ganz Mutige verschmolzen beide Länder gar zu Chimerica. Zwei Jahre später klingt es über den Pazifik wie zu Zeiten des Kalten Krieges in den 1950er und 1960er Jahren - nur dass die Systemkonkurrenz seither von kapitalistischer Standortkonkurrenz abgelöst wurde. Diese Gereiztheit lässt ahnen, dass Regierungen und Zentralbanken vom Ende der Wirtschaftskrise durchaus nicht überzeugt sind und die Auswirkungen der nächsten Krisenrunde auf das von ihnen reklamierte Territorium zu minimieren suchen. In dem Bestreben, Krisenlasten auf andere Länder abzuwälzen, stehen die USA und China keineswegs allein da. Immerhin wurde das Wort Währungskrieg vom brasilianischen Finanzminister Guido Mentega in die Diplomatensprache eingeführt und sogleich begierig von StaatsvertreterInnen rund um den Globus aufgegriffen, um die Weltmarktanteile ihrer Heimatbourgeoisien im Namen fairer Wechselkurse und eines ebensolchen Wettbewerbs zu sichern. Ist der Währungskrieg die Fortsetzung der Wirtschaftskrise mit anderen Mitteln?

Spannungen zwischen USA und China

Über Jahre hatten sich die transpazifischen Wirtschaftsbeziehungen als Geschäft zu beiderseitigem Vorteil entwickelt. China bot dem Kapital aus westlichen Ländern rentable Anlagemöglichkeiten und erhielt dafür Zugang zu den Märkten des Westens. Trotz gelegentlicher Rempeleien nahm Chinas Weltmarktintegration seit den frühen 1990er Jahren rapide zu und wurde 2001 durch die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) auch institutionell anerkannt. Chinas boomende Exportindustrien absorbierten zumindest einen Teil der Arbeitskräfte, die im Zuge der Privatisierung und Rationalisierung staatseigener Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe entlassen wurden. Niedrige Löhne und fehlende Sozialversicherung in der Exportindustrie waren zwar schlecht für die ArbeiterInnen, aber gut für den Auslandsabsatz. Sie waren auch hilfreich, um die ArbeiterInnen im Westen zu Konzessionen in puncto Löhnen, Arbeitsbedingungen und sozialer Sicherung zu zwingen und die wachsende Zahl der arbeitenden Armen, also jener ArbeiterInnen, die der Importkonkurrenz bereits erlegen waren, mit billigen Konsumgütern zu versorgen. Besser verdienende Schnäppchenjäger im Westen schafften ganze Warenladungen "Made in China" in ihre Häuschen und stellten damit ihren Internationalismus unter Beweis.

Die Geschäfte mit China konnten sich dem Konjunktureinbruch 2008/2009 zwar nicht völlig entziehen, laufen aber bereits wieder prächtig; sicherlich prächtiger als die Weltwirtschaft insgesamt. Aber das Geschäftsklima hat sich verschlechtert. In China sind in- und ausländische Unternehmen einerseits den Ansprüchen einer zunehmend selbstbewusst auftretenden Arbeiterschaft ausgesetzt; andererseits sind sie auf eine Fortsetzung des hohen Wachstumstempos angewiesen, weil der Übergang zu produktiveren Fertigungsmethoden andernfalls zu einer Explosion der Arbeitslosigkeit führen würde, auf deren Regulierung die Politik nicht vorbereitet ist. Unter diesen Bedingungen kämen Aufwertungen des Renminbi, wie die USA sie fordern, höchst ungelegen. Sie würden Exporte weiter verteuern, zu sinkendem Absatz und daher geringerem Wachstum führen. Auf der anderen Seite des Pazifik ist "Made in China" immer noch beliebt - angesichts sinkender Einkommen sogar beliebter als je zuvor. Gleichzeitig wächst aber der Druck auf die Regierung, Jobs in den USA zu schaffen und die chinesische Konkurrenz endlich in ihre Schranken zu weisen.

Die US-amerikanische Kritik an Chinas unfairen Wettbewerbspraktiken wird von Unternehmen und Regierung in Deutschland unterstützt. Aus gutem Grund: Die Krise in Griechenland im Frühjahr dieses Jahres hat den Exportweltmeister Deutschland an die Grenzen der Handelsbilanzüberschüsse innerhalb der EU geführt; seit Griechenland und andere europäische Schuldnerländer an die Ausgabenkette des Kreditgebers Deutschland gelegt wurde, stehen deutschen Exporte in diese Länder unter Druck. Eine Ausweitung der Exporte in die USA käme deshalb gerade recht, wird aber jenseits des Atlantiks nicht begrüßt. So sehr sich die USA über Unterstützung ihrer Aufwertungsforderungen an China freuen, so sehr wundern sich die Deutschen, von den USA mit China in einen Topf aggressiver Exporteure geworfen zu werden.

Zwischenrufe aus Berlin, Brasilien und Tokio

Das Risiko, in ähnlicher Weise kritisiert zu werden, sind die Japaner bei ihrem Versuch eingegangen, die seit Krisenbeginn erfolgte Aufwertung des Yen durch Devisenmarktinterventionen zu stoppen. Die verbale Kritik aus Washington hielt sich in Grenzen, wohl weil die USA ihren von zwei Jahrzehnten Stagnation gebeutelten Vorposten an der chinesischen Küste schonen wollte. Dafür warf die US-Zentralbank Anfang November weitere US-Dollar-Milliarden in den internationalen Finanzkreislauf. Sie hoffte, damit die Binnenkonjunktur zu beleben, einen Teil ihrer Auslandsschuld mit billigem Geld zu tilgen und auch mal etwas für die eigenen Exporte zu tun.

Mit dieser Aktion bestätigen die USA die Kritik Chinas an einer unverantwortlichen Aufblähung der weltweit zirkulierenden Liquidität. Zusammen mit den Regierungen anderer aufstrebender Regionalmächte und den asiatischen Tigerstaaten fürchten sie, der Zustrom von US-Dollar könnte zu einem Spekulationsboom mit anschließender Finanzkrise in ihren Ländern führen. Entsprechende Erfahrungen sind in Asien und Lateinamerika aus den 1980er und 1990er Jahren noch in schlechter Erinnerung. Mittlerweile sind aber auch von der deutschen Regierung USA-kritische Töne zu hören. Noch vor kurzem hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble die Meinung seines US-Kollegen Timothy F. Geithner geteilt, dass chinesische Exporte die Konjunkturerholung im Rest der Welt behindern - vor allem im Westen. Jetzt warnt auch er, dass die US-Dollar-Schwemme zu Inflation führen und von dieser Seite die Krisenüberwindung bedrohen würde.

Angesichts einer Inflationsrate von 1,1 Prozent, selbst in den Boom-Ländern China und Brasilien beträgt sie nur 3,0 bzw. 4,9 Prozent, sind solche Warnungen doch arg übertrieben. Dafür kann der Chef der US-Zentralbank, Ben Bernanke, mit gewissem Recht auf die Erfahrungen der Japaner seit den 1990er Jahren hinweisen. Im Kampf gegen eingebildete Inflationsgefahren hatte die japanische Zentralbank mehrfach auf die geldpolitische Bremse getreten und damit zur Verfestigung ohnehin bestehender Stagnationstendenzen beigetragen. Näher an der Wahrheit sind die Befürchtungen der Boom-Länder des globalen Südens. Deren von Investitionen und Exporten getriebenes Wachstum bedarf nun wirklich keiner weiteren Beschleunigung durch ausländische Kapitalzuströme. Die Weltwirtschaft ächzt ohnehin unter Überkapazitäten. Die Investitionen von heute sind die Produktionskapazitäten von morgen und werden die Konkurrenz um Weltmarktanteile weiter verschärfen. Je mehr der Investitionsboom heute angeheizt wird, desto eher stellt sich das Problem, diese Kapazitäten durch zahlungsfähige Nachfrage auszulasten. China, Brasilien und einige andere steuern auf Überinvestitionskrisen zu. Verständlicherweise versuchen die Regierungen dieser Länder den Ausbruch dieser Krise hinauszuzögern und stemmen sich folgerichtig gegen den Zustrom ausländischen Kapitals, das den Boom heute beschleunigt und damit die Krise von Morgen vorverlegt.

Hand in Hand mit dem Investitionsboom im Süden und der großzügigen Ausweitung der umlaufenden Menge an US-Dollar gehen Spekulationsblasen auf Rohstoff- und Finanzmärkten. Infolge der Investitionen in Sachkapital werden mehr Rohstoffe nachgefragt. Der internationale Rohstoffhandel wird immer noch weitestgehend in US-Dollar abgewickelt. Die mit steigendem Umlauf an US-Dollar verbundene Abwertung ist für AnlegerInnen eine günstige Gelegenheit, auf steigende Rohstoffpreise zu spekulieren - tatsächliche Nachfragesteigerungen liefern eine plausible Begründung dafür - und die gewünschte Preissteigerung durch entsprechende Geschäfte herbeizuführen. Seit der Rezession 2008/2009, die auch die umgesetzten Mengen und Preise auf den Rohstoffmärkten nach unten gezogen hat, sind die Rohstoffpreise sehr viel schneller gestiegen als die nachgefragten Mengen. Scherenentwicklungen dieser Art werden gemeinhin als Inflation bezeichnet. Diese Art der Inflation ist auch auf den Weltfinanzmärkten zu beobachten.

Die Gewinnerwartungen, die in den gegenwärtigen Wertpapierpreisen zum Ausdruck kommen, wären selbst bei einer Fortsetzung des aktuellen Wachstums der Weltwirtschaft nicht zu erfüllen. Davon gehen aber selbst KonjunkturforscherInnen, die für das Abliefern von Wachstumsprognosen bezahlt werden, nicht aus. Nach Auslaufen der staatlichen Konjunkturprogramme, die vor zwei Jahren zur Kriseneindämmung beigetragen haben, wird sich das globale Nachfragewachstum abschwächen. Damit werden auch die zu realisierenden Gewinne sinken. Die Börsenabstürze in New York und anderswo sind noch in frischer Erinnerung. Die Weltwirtschaft hängt schon wieder am Faden von Spekulationsblasen.

Die Spekulationswirtschaft vor der nächsten Krise

Ist es nun alles Ben Bernankes Schuld, wie aus Beijing, Brasilien und Berlin zu hören ist? Ja und nein. Durch eine großzügige Liquiditätsversorgung wurde in den vergangenen drei Jahren die Entwertung von Aktienkapital und spekulativen Wertpapieren verhindert bzw. auf ein Maß beschränkt, das ein Reißen von Kreditketten und den totalen Zusammenbruch von Investitionsneigung und Zirkulationsprozess verhindert hat. Hieran haben sich übrigens auch die Zentralbanken in Frankfurt, London und Tokio beteiligt. Die Gefahren neuerlicher Börsenkrisen ahnend, halten sich die Frankfurter ZentralbankerInnen mit ihrer Kritik an den US-amerikanischen KollegInnen auch sehr zurück. Im Gegensatz zu Finanzminister Schäuble, der in Europa die Unabhängigkeit der Zentralbank bissig verteidigt, sich aber ungefragt als Berater der US-Zentralbank betätigt.

Ganz gleich, was man von den Streitereien der internationalen Wirtschaftspolitik hält: deren Ursache wird nicht benannt. Kapitalistisches Wirtschaften führt immer dazu, dass sich Produktionskapazität und Gewinnerwartungen einerseits und zahlungsfähige Nachfrage andererseits auseinander entwickeln. Gleichzeitig wird dieser Gegensatz vorübergehend durch Anlagestrategien überbrückt, die auf Wertpapiere auf den Finanzmärkten setzen. Wäre dieser Widerspruch und die Lösungsform nicht dem Kapitalismus eingeschrieben, bräuchten sich auch Zentralbanker nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob sie der Krise mal so richtig freien Lauf lassen sollen oder sie durch das Aufpusten neuer Spekulationsblasen eindämmen können. Diese Frage diskutieren freilich weder der Halbkeynesianer Bernanke noch die Dritte-Weg-Sozialdemokraten in Brasilien, die NominalkommunistInnen in Beijing oder die Konservativen in Berlin.

Ingo Schmidt