Die Dinge selbst in die Hand nehmen
Eine Bundestagsbelagerung gegen das Sparpaket
Wenn am 26. November über das Sparpaket abgestimmt wird, sollte sich jemand Gedanken über die Versorgung der Abgeordneten gemacht haben. Denn das Bündnis Wir zahlen nicht für eure Krise ruft dazu auf, an diesem Tag die Bahnmeile um das Parlament zu brechen und den Bundestag zu belagern. Wenn alles klappt, könnte es zu Szenen wie in Gorleben kommen. Dort mussten Polizeieinheiten stundenlang auf ihre Suppe warten, weil alle Zufahrtswege blockiert waren. Die InitiatorInnen der Aktion wollen den Schwung aus den Castor-Protesten nutzen und die neue Bereitschaft zum Ungehorsam auf das Feld der Sozialpolitik übertragen. Lea Voigt vom Bündnis über die Hintergründe der Belagerung.
ak: Ihr wollt am 26. November den Bundestag belagern, um gegen die Verabschiedung des Sparpakets zu protestieren. Was versprecht ihr euch von der Aktion?
Lea Voigt. Der von der Kanzlerin ausgerufene "Herbst der Entscheidungen" ist eine Kampfansage. Wir wollen an die Proteste im Wendland anknüpfen und die Arroganz der Mächtigen mit der Wut der Selbstermächtigung konfrontieren. Wir werden dafür sorgen, dass der Protest gegen die dreiste Politik der Regierung an diesem Tag nicht unbemerkt bleibt. Wir wollen ein unüberhörbares Nein zur als "Sparpaket" getarnten Politik der Umverteilung von unten nach oben formulieren. Davon wird uns auch die sogenannte Bannmeile rund um das Reichstagsgebäude nicht abhalten.
Die letzten "Krisenproteste" waren schwach besucht. Warum sollte das bei der Bundestagsbelagerung anders werden?
Ich finde, dass die letzten beiden Demos des Bündnisses Wir zahlen nicht für eure Krise eigentlich gar nicht schlecht besucht waren. Trotzdem hinken die Proteste in der Bundesrepublik - verglichen mit denen in anderen Ländern - natürlich hinterher. Das liegt auch daran, dass die Gewerkschaftsführungen ihrem Gerede von einem heißen Herbst bisher kaum Taten folgen lassen. Außerdem greift leider immer noch die neoliberale Standort- und Verzichtslogik, und es ist trotz einiger Achtungserfolge in der Mobilisierung nicht gelungen, die Frage nach den VerursacherInnen der Krise zuzuspitzen - gegen "die Krise" sind ja schließlich alle.
Gleichzeitig ist "Krise" für viele Menschen seit langem eine alltägliche Erfahrung: in prekären Jobs, auf dem Arbeitsamt oder als Angst vor Entlassung. Das ist das Gesicht der Krise, und das gab es auch schon unter Rot-Grün. Während soziale Zumutungen also ganz normal sind, bleibt die Krise der Weltwirtschaft für viele abstrakt. Mit dem "Sparpaket" konkretisiert sie sich nun aber. Die Dreistigkeit der Regierung, erst Milliarden für die Bankenrettung auszugeben und jetzt über "Sparzwang" zu schwadronieren, lässt sich plastisch darstellen. Es ist kaum zu übersehen, dass die Regierung die Umverteilung von unten nach oben mit allen Mitteln durchsetzen will. Die Ausgangsbedingungen für die Mobilisierung sind daher besser als zu Beginn der Krise.
Am stärksten betroffen von den Sparmaßnahmen sind BezieherInnen von ALG II. Die haben aber kaum gemeinsame Orte, sind oft nur vorübergehend erwerbslos und als Protestgruppe schwer mobilisierbar. Wie geht ihr mit diesem Problem um?
Es existieren durchaus mobilisierungsfähige Erwerbslosenstrukturen. Dennoch ist es ein Problem, dass die Bereitschaft, sich für die eigenen Interessen zu organisieren, oben besser ist als unten. Die Refinanzierung der "Schutzschirme" für Banken und Unternehmen auf unsere Kosten und die sogenannte Schuldenbremse im Grundgesetz werden wir alle in den nächsten Jahren zu spüren bekommen. Dass die Bundesregierung erst mal bei denjenigen zuschlägt, die am wenigsten haben und sich am wenigsten wehren, ist kein Zufall. In der Mobilisierung müssen wir daher rüberbringen: Das Sparpaket ist nicht das Privatproblem von Leuten, die im Moment ALG II beziehen. Hartz IV ist auch für diejenigen, die einen Job haben, eine permanente Bedrohung. Wenn dort gekürzt wird, erhöht sich für alle der Druck. Außerdem steht das Sparpaket der Bundesregierung im Kontext von massiven Kürzungen auf Länder- und kommunaler Ebene, die den gesamten Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich mit voller Härte treffen.
Wer macht mit bei der Bundestagsbelagerung?
Die Initiative kommt vom Berliner Bündnis Wir zahlen nicht für eure Krise. Es mobilisieren u.a. Gruppen aus der Interventionistischen Linken (IL), ver.di, DIE LINKE, die AWO sowie zahlreiche Einzelpersonen wie Dietmar Dath und Konstantin Wecker. Die aktuelle Liste gibt es auf auf der Webseite.
Aus Gewerkschaftskreisen war Kritik an der Belagerung des Bundestags zu hören, da sie sich gegen das Parlament als demokratischen Entscheidungsort richte und Politikverdrossenheit transportiere. Was entgegnet ihr darauf?
Dann schon eher Regierungsverdrossenheit, denn was ist lebendiger als ein lauter Widerspruch? Und: Ja, wir wollen den etablierten Politikbetrieb stören, weil die Regierungskoalition mit dem Sparpaket die Lebensbedingungen für Millionen Menschen noch mieser macht. Ob Afghanistankrieg, Hartz IV, Rente mit 67 oder Ausstieg aus dem Atomausstieg - ständig werden in diesem Parlament Entscheidungen gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung getroffen. Wir ermuntern Menschen dazu, nicht alles hin-, sondern die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Was passiert, wenn ihr tatsächlich vor den Bundestag gelangt?
Was heißt hier wenn? Wir werden zusammen mit hoffentlich Tausenden der Umverteilungspolitik der Regierung symbolisch die rote Karte zeigen. Und dies nicht irgendwo weit ab, sondern direkt am Ort des Geschehens, auf den Treppen des Reichstagsgebäudes.
Interview: Jan Ole Arps
Aufruf und UnterstützerInnen der Aktion: www.sparpaket-stoppen.de