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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 555 / 19.11.2010

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Deutschlands neue Integrationsdebatte

"Kartoffeln!" So nennen uns die Kanaken, statt sich zu integrieren. Nicht nur blonde SchülerInnen müssen sich so rufen lassen, auch die Familienministerin bekommt Hass-Briefe in diesem Ton. Unglaublich! Da erlauben wir den Ausländern, hier zu leben, obwohl wir sie eigentlich nur gebeten hatten, unsere Autos zusammenzuschrauben und ein bisschen sauber zu machen, und dann kommen die uns so. Das ist deutschenfeindlich! Das ist Integrationsverweigerung! Das ist die Höhe! Multikulti ist erledigt.

Frühmorgens am Sonntag, dem 24. Oktober, wurde der 19-jährige Iraker Kamal K. am Leipziger Hauptbahnhof niedergestochen und verblutete. Mindestens einer der Täter ist seit Jahren in der rechten Szene aktiv. Der Fall fand in der Öffentlichkeit so gut wie keine Beachtung - während zugleich Berichte über "Integrationsverweigerer" und "Deutschenfeindlichkeit" an Neuköllner Schulen die Zeitungen füllen.

Nicht erst seit Sarrazin besinnt sich Deutschland auf seine Kernkompetenzen, z.B. das rassistische Ressentiment. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigte gerade wieder, wie weit verbreitet rechte Einstellungen sind. Insbesondere Islamfeindlichkeit und Rassismus gegenüber "Arabern" haben in den letzten Jahren noch zugenommen.

Während über die Realität - den Mord in Leipzig, den Anstieg rassistischer Einstellungen - vornehmes Schweigen herrscht, wird mit realitätsfernen Diagnosen Politik gemacht. Von zehn bis 15 Prozent "Integrationsverweigerern" spricht Innenminister de Maizière. Belege für diese Zahlen hat er nicht. Die Ergebnisse einer Umfrage, die sein Ministerium unter den Ländern durchgeführt hat, hält de Maizière unter Verschluss. Sie passen offenbar nicht zu seinen Äußerungen. Trägereinrichtungen der Integrationskurse erklärten, es gebe so gut wie keine AbbrecherInnen. Allenfalls wegen Schwangerschaft oder aufgrund eines Jobangebots blieben TeilnehmerInnen weg.

Wenn PolitikerInnen und JournalistInnen nun über Integrationsverweigerung schwadronieren und strengere Strafen für Integrationskurs-Schwänzer fordern, dann hat das mit der Realität in den Kursen nichts, mit kalkulierter rassistischer Hetze dagegen sehr viel zu tun - eine Ermutigung für die Mörder Kamal K.s und andere RassistInnen. Wieso Sarrazins Thesen Konjunktur haben, was die aktuelle "Integrationsdebatte" von vorigen unterscheidet und was sie mit der Realität der Einwanderungsgesellschaft zu tun hat, untersuchen wir auf den Themen-Seiten 13-16.