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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 556 / 17.12.2010

Aufgeblättert

Vom Linkskommunisten zum Ustascha-Freund

1926 fuhr der kroatische Kommunist Ante Ciliga voll Begeisterung in die junge Sowjetunion. Dort wurde er schnell zum Kritiker der sowjetischen Entwicklung. Zunächst sympathisierte er mit der trotzkistischen Opposition, der er aber bald vorwarf, lediglich Symptome zu kritisieren. Seitdem reklamieren einige rätekommunistische und anarchistische Gruppen Ciliga für sich. Das könnte sich jetzt ändern. Denn der Berliner Verlag Die Buchmacherei hat Ciligas Schrift über seine Jahre in der Sowjetunion aufgelegt und auch seinen weiteren Werdegang nicht verschwiegen. Genau schildert Ciliga das Leben in Sibirien, wohin er in den 1930er-Jahren mit vielen anderen Oppositionellen deportiert wurde. Auch die soziale Realität beschreibt der Autor präzise. So hatte sich 15 Jahre nach der Oktoberrevolution die Lohnschere wieder weit geöffnet: SpezialistInnen konnten jetzt 20 Mal so viel verdienen wie einfache ArbeiterInnen. Doch Ciliga kam zunehmend auch zu äußerst zweifelhaften Urteilen. So behauptete er, viele Sowjetmenschen würden auf eine Besetzung durch NS-Deutschland hoffen. Obwohl er in die USA hätte emigrieren können, kehrte er in das von der faschistischen Ustascha regierte Kroatien zurück. 1944 floh er vor den Tito-Partisanen nach Deutschland. "Er war neugierig auf die sozialen Verhältnisse in Deutschland zwischen dem NS-Staat und den Massen", bagatellisiert der britische Historiker Stephen Schwartz im letzten Kapitel diesen Schritt. Anfang der 1990er-Jahre wurde Ciliga noch einmal auf unrühmliche Weise bekannt, weil der ultrarechte kroatische Präsident Tudjman Ciligas Angriffe auf die von der Ustascha ermordeten Juden wiederholte und damit einen internationalen Skandal ausgelöste. Als Stichwortgeber für Links- oder RätekommunistInnen taugt ein solcher Mann also keineswegs.

Peter Nowak

Ante Ciliga: Im Land der verwirrenden Lüge. Herausgegeben von Jochen Gester und Willi Hajek. Die Buchmacherei, Berlin 2010. 304 Seiten, 12 EUR

Die Reartikulation des deutschen Nationalismus

Selbst in der Linken scheint derzeit kein Konsens darüber zu herrschen, dass Nationalismus immer eine falsche, weil irrationale Form der Vergemeinschaftung ist - auch wenn er nicht gleich nach "Auschwitz" führt. Bestätigung finden notorische MiesmacherInnen nun in einem von der "Projektgruppe Nationalismuskritik" herausgegebenen Sammelband zur "Reartikulation des deutschen Nationalismus" seit der deutschen Vereinigung. Die AutorInnen widmen sich in theoretischen Reflexionen und konkreten Fallstudien verschiedenen Momenten dieses Prozesses, so dass insgesamt eine dichte Beschreibung des deutschen Normalisierungsdiskurses der letzten 20 Jahre entsteht - ob nun im geschichts- oder außenpolitischen Feld oder in nationalisierten Diskursen über Fußball und Popkultur. Theoretisch beziehen sich die meisten Beiträge auf Adorno, Foucault und teilweise auf marxistische Staats- und Hegemonietheorie. Argumentativ changiert man zwischen einer eher allgemein und analytisch gehaltenen Nationalismuskritik und einer essenzialisierenden Kritik am deutschen Nationalismus trotz "Auschwitz". Letztere wirkt in Zeiten des "Nation branding" im globalen Standortwettbewerb merkwürdig anachronistisch und scheint ihren Gegenstand zu verfehlen: Vielleicht ist der neue deutsche Nationalismus ja wirklich "normal"? Aufzudecken wären also gegenwärtige Interessenlagen und gesellschaftliche Zustände, die im reartikulierten "Nationalismus light" verschleiert werden sollen. In den Beiträgen des Bandes finden sich allerdings auch schon zahlreiche Ansatzpunkte für eine solche materialistische Analyse, und mit seinen HerausgeberInnen ist zu hoffen, dass die Diskussion fortgesetzt wird.

Cornelia Siebeck

Projektgruppe Nationalismuskritik (Hg.): Irrsinn der Normalität. Aspekte der Reartikulation des deutschen Nationalismus. Westfälisches Dampfboot, Münster 2010. 259 Seiten, 24,90 EUR

Der Fall Carlotto

Wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann böse Überraschungen erleben. So ergeht es im Januar 1976 auch dem 19-jährigen Studenten Massimo Carlotto, Mitglied der linksradikalen Organisation Lotta Continua im norditalienischen Padua: Er entdeckt die Leiche einer Studentin, die mit 59 Messerstichen ermordet wurde, und meldet das Verbrechen der Polizei. Die nimmt ihn als Tatverdächtigen fest, er wird vor Gericht gestellt und zunächst freigesprochen, in zweiter Instanz aber zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nachdem der Kassationshof die Revision abgelehnt hat, flieht Carlotto nach Paris, dann nach Mexiko. Nach insgesamt sechs Jahren in Haft, fünf Jahren Exil und elf Prozessen mit 86 Richtern und 50 Gutachtern wird die Verurteilung zu 18 Jahren Haft bestätigt. 1993 wird er vom italienischen Staatspräsidenten Scalfaro begnadigt. Massimo Carlottos autobiografischer Bericht "Der Flüchtling" ist mehr als die Geschichte eines Justizskandals. Dem Autor geht es vor allem um das Leben auf der Flucht, das ewige Misstrauen, die Beziehungen zu anderen politischen Flüchtlingen, denen bei Verhaftung und Auslieferung der Tod droht. Ohne Selbstmitleid schildert er, zu welchen Deformationen seiner Persönlichkeit es unter diesen Lebensbedingungen kommt. Entstanden ist ein Buch, das - so der Autor - "zur öffentlichen Debatte nicht nur über Justizirrtümer, sondern auch über den Sinn von Strafen, über Strafanstalten und haftbedingte Krankheiten beigetragen" hat. Geschrieben wurde es schon 1994; jetzt liegt es endlich auch auf Deutsch vor.

Js.

Massimo Carlotto: Der Flüchtling. Roman. Aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2010. 184 Seiten, 18,95 EUR

Tag für Tag: Antifa

Seit 21 Jahren gibt es ihn nun schon: den Antifaschistischen Kalender. Und so manchem hat er mit seinen Texten und Tipps bei der politischen Arbeit weitergeholfen, vielleicht sogar den ersten Kontakt zum Feld des Politischen ermöglicht. Schwerpunktthema der Ausgabe 2011 ist Erinnerungspolitik. Der erste Artikel widmet sich den Orten Bad Nenndorf und Dresden, wo seit Jahren Naziaufmärsche stattfinden. Der Artikel jedoch kontrastiert die Aufmärsche in Bad Nenndorf nicht mit denen in Dresden, sondern mit dem dortigen bürgerlichen Gedenken. Das holpert ein wenig und führt zu etwas konstruierten Schlüssen. Wie kann das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Zukunft aussehen, fragt ein weiterer Artikel. Zu Recht verweist die Kalender-Redaktion darauf, dass sich die antifaschistische Bewegung verstärkt dem Thema "Islamfeindlichkeit" zuwenden sollte. Auch hierzu findet sich ein - zum Teil etwas unausgegorener - Artikel. Zu empfehlen ist der Bericht "Sinti und Roma, die haben eine Mentalität ...": Anhand zweier TV-Reportagen wird gezeigt, wie antiziganistische Stereotype konstruiert und Vorurteile bedient werden. Ein Rückblick auf die Gipfel-Proteste angesichts des zehnten Todestages von Carlo Giuliani rundet den ersten Textteil ab. Mit diversen Einträgen zu politischen Ereignissen und Jahrestagen leistet das Kalendarium einen wertvollen Beitrag zu mehr Geschichtsbewusstsein. Im Serviceteil findet man nicht nur ein ausführliches Adressverzeichnis. In kurzen Texte gibt es nützliche Tipps und wichtige Informationen zu Themen wie Sexismus, Rechtshilfe, Kommunikationssicherheit und Umgang mit Traumatisierung im Kontext politischer Arbeit.

Maike Zimmermann

Kalendergruppe (Hg.): Antifaschistischer Taschenkalender 2011. Unrast Verlag, Münster 2010. 7 EUR